Zum Glück waren gerade Ferien, so müsste ich wenigstens nichts in der Schule nachschreiben, falls das hier kein Traum wäre.
Nachdem ich mir kurz in den rechten Arm gezwickt hatte, musste ich entsetzt feststellen, dass es doch kein Traum war.
Obwohl ich mir sicher war, dass ich heute niemals einschlafen könnte, fielen mir nach kurzer Zeit die Augen zu.
Plötzlich spürte ich ein Rütteln.
»Hier, trink das und nimm das Brot!«, sagte eine Stimme, die vermutlich von dem Mann von vorhin kommen musste. Ich konnte das Gesicht nicht sehen, weil es unter der Brücke sehr dunkel war. Langsam trank ich aus dem Tongefäß. Später fiel mir ein, dass es Amphore hieß. Die Flüssigkeit schmeckte stark nach Alkohol und leicht süßlich zugleich. Allerdings war ich zu müde und zu durstig, um etwas dagegen einzuwenden, dass man einem 15-jährigen Jungen Alkohol gab. Nach dem kurzem Essen und Trinken holte der Mann eine Decke, die er in einem Stoffsack verstaut hatte. Grauenhafterweise stank diese Decke enorm und sie sah aus, als wäre sie schon seit ein paar Jahren nicht gewaschen worden. Als ich mich in die Decke „kuschelte“, juckte es überall an meinem Körper, vor allem dort, wo mich der Stoff an meiner bloßen Haut berührte. Wie viele Bakterien, Flöhe, Zecken und all das andere Ungeziefer da wohl in der Decke hausten, daran wollte ich gar nicht denken. Vermutlich würde ich nach einer zweiten Nacht unter diesen Umständen sowieso sterbenskrank sein.
Nachdem der Fremde den Rest aus der Amphore getrunken hatte, stellte ich zu meinem Erschrecken fest, dass er anscheinend mit mir die Decke teilen wollte. Langsam, um nicht in Panik zu verfallen, rutschte ich auf die Seite. Kurz darauf legte sich der Fremde zu mir.
Ein weiterer Schock jagte durch meinen Körper, als ich plötzlich eine verschwitzte Hand auf meinen Schultern ruhen fand. Langsam ging es mir doch zu weit! Was dachte sich der Kerl überhaupt? Vergeblich versuchte ich, seine Hand von meinen Schultern herunter zu bekommen. Nach einer Ewigkeit, wie mir schien, war ich zu müde, um es weiter zu versuchen, von ihm los zu kommen. Das war fast so wie in den Fernsehfilmen, in denen jemand einer schlafenden Person eine Fernbedienung oder etwas Ähnliches aus der Hand reißen möchte, aber es nach allen Bemühungen dennoch nicht schafft.
Mitten in der Nacht hörte ich ab und zu leise Stimmen, die von der Brücke herunterhallten. Einmal kam es mir fast vor, als hätte ich ein Auto gehört, was sich jedoch als eine lästige Fliege entpuppte, die mein Ohr als Schlafplatz benutzen wollte. Schnell hatte ich sie jedoch eines Besseren belehrt. Später hörte ich noch ab und zu das Bellen eines Hundes, das aber schnell wieder verklang.
Am nächsten Morgen wurde ich von einem Sonnenstrahl geweckt. Kurz darauf schoss mir ein Gedanke durch den Kopf: »War das wirklich geschehen?« Obwohl ich zum Glück keine Hand mehr auf meiner Schulter fühlte, vergewisserte ich mich, ob der seltsame Typ noch da war. Vor Erleichterung seufzte ich laut auf, denn ich konnte ihn nirgends mehr entdecken. War das doch alles nur Einbildung und ich befand mich immer noch in einem Traum und würde bald in meinem Zimmer aufwachen? Aua! Nein, doch nicht, nach einem weiteren kurzen Kniff in mein Knie war ich hellwach und musste tatsächlich feststellen, dass alles real war.
Nachdem ich mir mein Gesicht im Fluss gewaschen hatte, beobachtete ich die Menschen um mich. Männer und Frauen gingen an mir vorbei. Einige Männer trugen eine strahlend weiße Toga und beinahe alle Frauen hatten eine Tunika an.
»Aua!«, plötzlich rempelte mich einer dieser Männer an.
Hast du denn keine Augen im Kopf?« , brüllte der Kerl. Schnell verzog ich mich. Also war das wirklich kein Traum. Entsetzlich!
Aufgeregt erkundete ich die Gegend weiter. Überall waren diese gigantischen Villen aus Marmor, doch weiter vorne konnte ich einen großen Platz entdecken, auf dem sich eine große Menschenmenge versammelt hatte. Ich entschied mich, ganz nach vorne zu gehen, um zu erfahren, warum all diese Menschen dort standen. Als ich dort angekommen war, sah ich einen Mann, der auf einem kleinen Podest stand und den Leuten zurief:
»Römer, hört mich an, Caesars Machtgier hat schon tausenden Legionären das Leben gekostet! Er verbündet sich mit dem Feind aus Ägypten! Wir müssen ihn stürzen! Pompeius wird euch helfen, wieder einen geordneten Staat zu haben! Keine Diktatur mehr! Caesar nützt uns aus! Er beutet uns aus und baut riesige Paläste für sich selbst!«
Nun durchfuhr mich ein gewaltiger Schreck. War ich etwa im alten Rom gelandet? Wie konnte das sein? Angst durchströme meinen Körper. Ich war allem Anschein nach bei den antiken Römern gelandet und hatte keine Ahnung, wie ich wieder nach Hause kommen würde. Wie konnte das geschehen? Und hatte ich wirklich gerade den Namen Pompeius gehört? Irgendwie kam mir der Name sehr bekannt vor. Ja natürlich, meine Mutter hatte mir einmal von ihm erzählt. Ich glaube, es war einer der vielen Widersacher Caesars. Nach kurzer Überlegung kam ich zu einem grauenhaften und unvorstellbaren Ergebnis. Konnte es wirklich sein? Es war fast unmöglich, dennoch wusste ich es tief in mir, ich war mit der Erfindung meines Stiefvaters durch die Zeit gereist. Allem Anschein nach befand ich mich sogar in einer Zeit vor Christus, in der Zeit Caesars. Es war unbeschreiblich verrückt. Ich war durch die Zeit gereist und mitten in Rom gelandet. Jedoch die Kirsche auf der Sahne war, dass ich genau in Caesars Zeit aufgetaucht war. Ich glaube, er ist auch der römische Lieblingskaiser von meiner Mum. Einen kurzen Moment überlegte ich, ob ich nicht für meine Mum, Caesar um ein Autogramm bitten sollte. Aber allein der Gedanke brachte mich zum Lachen. Wahrscheinlich wusste Caesar nicht einmal, was ein Autogramm war.
Aber zurück zu Pompeius. Ich dachte nach, was ich von ihm wusste. Denn bevor Pompeius und Caesar Erzfeinde wurden, waren sie sehr gute Freunde. Wegen ihrer Freundschaft hatte Caesar sogar seine geliebte Tochter Julia mit Pompeius verheiraten lassen. Doch als sie starb, war die Freundschaft zwischen ihnen zerbrochen. Pompeius wand sich immer mehr den Senatoren und Caesar seinen eigenen Zielen zu.
Auf einmal kam eine große Schar an Legionären, die alle Menschen in meiner Umgebung sofort in großen Aufruhr versetzte. Binnen weniger Minuten war das Chaos perfekt. Ich wollte nur noch so schnell wie möglich zurück zur Brücke und mich dort verstecken. Aber so weit kam ich gar nicht. Ein Legionär packte mich und zerrte mich mit sich davon. Verzweifelt versuchte ich mich zu befreien, doch er hielt mich so fest, dass ich von Schmerzen durchströmt wurde. Nach dem zweiten Fluchtversuch hatte ich keine Kraft mehr, mich zu wehren. Widerwillig hielt ich ihm meine Hände hin, damit er sie fesseln konnte und ich nicht halb Huckepack durch ganz Rom geschleppt werden würde. Sehr schnell hatte er meine Hände mit einem Seil zusammen gebunden. Mit hängenden Schultern latschte ich hinter ihm her und nutzte diese Zeit, um ihn zu beobachten. Er hatte kurz-geschnittene blonde Haare und einen rasierten Bart. Seinen muskelbepackten Armen nach zu urteilen, würde er mich, falls ich mich weigerte, mitzugehen, sofort wieder Huckepack nehmen und mich wie einen Kartoffelsack durch die Straßen Roms schleppen. Ich schätzte ihn ungefähr auf 24 Jahre. Als er bemerkte, dass ich ihn musterte, schnauzte er mich an: »Hast du etwa noch nie einen Legionär gesehen? Aber, was sind das überhaupt für seltsame Lumpen, die du da trägst?«
Erst jetzt bemerkte ich, dass ich noch immer meine blaue Jeans, meine blauen Sneakers und mein grünes T-Shirt trug. Ich sah darin bestimmt aus wie eine Tomate, (die es bei den Römern noch nicht gab), denn mein Kopf fühlte sich so heiß an, dass er knallrot sein musste. Gedanken schwirrten durch meinen Kopf, wie seltsam es für die Römer sein musste, einen Teenager aus New York und noch dazu einen aus dem 21. Jahrhundert zu sehen. Zum Glück war ich nicht im Mittelalter gelandet, sonst hätte man mich bestimmt auf dem Scheiterhaufen geworfen und verbrannt. Oder gab es solche ähnliche Zeremonien auch schon bei den Römern? Wohin schleppte mich dieser Römer bloß?
Читать дальше