1 ...8 9 10 12 13 14 ...17 Es vergehen Sekunden, die wie eine Ewigkeit erscheinen. Aeia kämpft mit sich. Wenn es eins gibt, das sie sich mehr als alles andere auf der Welt wünscht, dann ist es ein Happy End für Naomi.
»Was muss ich tun?«
»Geh nach Ägypten!«
»Wenn ich gehe, dann kommt für mich nur ein Away-Team in Frage, welchem ich hundertprozentig vertraue«, sagt Aeia.
Meine Mutter verabschiedet sich, die Verbindung wird beendet. Ich kann es, einfach nicht verhindern, dass meine Gedanken mit mir Karussell fahren, meine Gefühle wie in einem Sturm durcheinandergewirbelt werden.
Ich soll einen Bodyguard bekommen, nach Russland reisen und ein Auserwählter unter den Begnadeten erlangt in ein paar Tagen abartige, göttliche Fähigkeiten und Aeia soll nach Ägypten reisen, mich allein lassen?
Wie soll ich mich verhalten?
Diese Informationen waren nicht für mich bestimmt. Ich habe sie belauscht.
Von wem haben sie gesprochen? Wer ist dieser Alexander, den ich treffen soll, der Hoffnung verspricht, dass ich wieder gesund werde?
Und was war das für ein Gerede von diesem Artefakt und dem Blutmond und den zehn Planeten? Zehn Planeten wohl gemerkt. Wow. Vielleicht sollte ich mich so verhalten, als hätte ich nichts gehört?
Ich bleibe noch sitzen, hoffe, dass niemand mitbekommen hat, was ich gehört habe. Ich muss mich beruhigen und wieder einen klaren Kopf bekommen. Ich entschließe mich, die geöffnete Tür in der Firewall zu checken und herauszufinden, wem es außer mir gelungen ist, TREECSS´ Sicherheitssystem zu hacken.
Ich lese Informationen aus. Einsen und Nullen, die sich zu Bildern, Ton und Text zusammensetzen.
Ich empfange Nachrichten, projiziere diese als Hologramm mitten in den Hörsaal, finde aber keine Spuren eines fremden Hackers. Hat tatsächlich einfach nur jemand Nachrichten gestreamt?
Ich betrachte die Neuigkeiten aus aller Welt.
Das Hologramm nimmt mich mit auf eine schaurige Reise.
Ich frage mich jedes Mal, warum es denn scheinbar unmöglich ist, über etwas Positives zu berichten?
Tag für Tag werden wir mit negativen Nachrichten überschüttet. Die schlimmsten Storys kommen vorne auf die Titelseite und die abendlichen Streams, Zuhause vor den Screens beginnen zunächst mit einer freundlichen Begrüßung des Sprechers, um dann aber schnell zur Tragödie des Tages überzuwechseln.
Wo bleiben eigentlich die positiven Nachrichten und Geschehnisse? Ganz ehrlich. Auf der Strecke! Oder gibt es gar keine? Was für eine schreckliche Vorstellung. Positives Denken! Wie soll das in den Köpfen Einzug halten - bei all den schlechten Weltnachrichten, mit denen wir permanent bombardiert werden.
Dennoch, bin ich irgendwie beruhigt, dass es womöglich doch nur Nachrichten sind, die ankommen und niemand Fremdes das TREECSS gehackt hat. Dass Davidi wegen den Neuigkeiten aus aller Welt einen persönlichen Zugang zur Außenwelt hat und lasse mich berieseln.
In Nordamerika ist die Arbeitslosenquote auf 46% angestiegen. Digitalisierung und Automatisierung sind daran schuld. Erstaunlich, wie gut die Menschen darin sind, Schuldzuweisungen und die Verantwortung von sich wegzuschieben. Haben nicht wir selbst die Digitalisierung der Welt vorangetrieben und die Roboter und vollkommen automatisierten Fabrikeinheiten geschaffen. Ein Roboter ist eine einmalige Investition, ein Mensch mit seinen Launen nur Ballast. Wo soll das alles noch hinführen?
Zugegeben, es fällt mir nicht sonderlich schwer, mir eine Welt vorzustellen, in der alles miteinander vernetzt ist. Zähle ich doch zu der Generation, die in einer digitalen Welt aufwächst. Und dann bin ich auch ziemlich speziell, denn wer außer mir kann sich denn sonst noch direkt mit einem Computersystem und Maschinen verbinden? Ich denke nur wenige oder gar keiner.
Ich sitze hier im Audimax und verfolge weiter die Nachrichten über die Medienanlage.
Immer geht es um die weltweite Vernetzung. Ich habe den Verdacht mittlerweile komplett abgeschüttelt, dass Herr Davidi oder jemand anderes mich irgendwo zeitgleich beobachten könnte, weil er mit dem Institut und diesem Raum vernetzt ist.
Ich sinniere über die moderne Welt. Jayden trägt, seit ich denken kann, ein Armband, das ihm mitteilt, wie viele Schritte er an jedem Tag über seinem persönlichen Soll getätigt hat. Von meinem Smartscreen werde ich aufgefordert, meinen Standort freizugeben, sobald ich das Gelände von TREECSS verlasse. Es gibt eine App, die kann mir dann mitteilen, welche meiner Freunde sich in der Nähe befinden. Ist doch witzig: Wenn ich mich langweile, schaue ich doch mal nach, wer gerade in der Nähe ist. Dann peile ich ihn an und laufe ihm zufällig über den Weg. Wenn er nicht auch gerade entdeckt hat, dass ich in der Nähe bin und panisch das Weite sucht.
Jeder Dritte trägt mittlerweile eine View. Kontaktlinsen die direkt mit dem Smartscreen verbunden sind und dir alle möglichen blödsinnigen Informationen auf die Sehlinse projizieren.
Ich habe Angst, dass zu Ende zu denken. Bis jetzt habe ich den Ortungsdienst ausgeschaltet, trage keine View. Aber vielleicht nutze ich beides doch eines Tages. Und vielleicht bitte ich in zwei oder drei Jahrzehnten meine Kinder ebenfalls, mir die Genehmigung zu erteilen. Ich halte kurz inne. Falls ich überhaupt die nächsten Tage überleben sollte. Ich verdränge diesen seltsamen Gedanken, führe meine Überlegungen weiter.
Wer den Ortungsdienst abschaltet, will nicht, dass ich weiß, wo er sich aufhält. Er hat also etwas vor mir zu verbergen. Meine Fantasie geht mit mir durch. Wie würden sich die Menschen verhalten, wenn sie wüssten, dass alles, was sie tun, aufgezeichnet und für jeden nachvollzogen, eventuell gar in Echtzeit verfolgt werden kann? Würden sie etwas Illegales tun? Andere betrügen? Fahrerflucht begehen? Beim Schreiben einer Klausur schummeln? Die totale Transparenz würde dafür sorgen, dass sich niemand mehr traut, etwas Unmoralisches zu unternehmen. Ich werde paranoid. Ich frage mich, wie weit wir davon entfernt sind oder wie dicht davor? Erschreckende Vorstellung, in so einer Welt zu leben. Seelenlos und gleichgeschaltet.
Das sind ganz schön tiefgreifende Gedanken für ein fast achtzehnjähriges Mädchen, wie ich es bin. Aber es sind die Erfahrungen, die uns ausmachen und nicht das Alter. Und Erfahrungen habe ich jede Menge gesammelt.
Die Nachrichtensprecherin schwenkt jetzt ihren Focus auf die Staaten des Vereinigten Europa. Hier sehen die Entwicklungen nicht besser aus. Arbeitslose und Hoffnungslose auf der einen Seite und die Multikonzerne, auf der anderen.
Nächster Halt:
Russland Sankt Petersburg!
Die bewegten Bilder zeigen nun die weltweite Antiterrororganisation, die ATON im Einsatz. Leuchtfeuer, Einsatz modernster Waffentechnologie, Krach, Explosionen und Rauch in schnell wechselnden Bildern, gemacht wie ein Actionfilm und keine Dokumentation, keine Berichterstattung, was dort wirklich vor sich geht. Ich frage mich, wer daran glaubt, was sie uns weismachen wollen? Ich will auf die Übersicht zurück, keine Sekunde länger Schreckensnachrichten oder Propaganda anschauen. Vielleicht gibt es wirklich auf der Welt nichts Gutes, über das es sich zu berichten lohnt. Ich bin im Begriff auszuschalten, als ich fast etwas übersehen hätte.
Prahlerisch und mit dem aufgesetzten Lächeln der Sieger führen Truppen der ATON eine kleine Gruppe gefangener russischer Terroristen ab. Es sieht so aus, als wären sie auf der Jagd gewesen und nicht im Krieg, als wären es ihre Trophäen und keine Menschen. Aber genau das ist der Punkt. Ich halte das Bild an. Standbild, spule die Zeit einige Sequenzen zurück. Stopp. Wieder Standbild, näher heranzoomen. Was ist das? Was hat da einer der Terroristen, dem sie die Arme über seinem Kopf in Handschellen gelegt haben? Sein Shirt ist hochgerutscht.
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