Kinderwunsch 3.0
Berichte aus der Tabuzone
Dr. Patricia Faas
Kinderwunsch – ein intimes biologisches Bedürfnis im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit
Wer heute an moderne Fortpflanzungsmedizin denkt,
sieht vor seinem inneren Auge in Kulturschalen gelagerte Eizellen und sterile Labors, in denen Stickstoffnebel wabern. Vermummtes medizinisches Personal bewegt sich lautlos und vorsichtig zwischen Mikroskop und Brutschrank hin und her, Reagenzgläser mit künstlich befruchteten Embryonen in den Händen.
Für die meisten Menschen, die sich ein Kind wünschen, ist das eine befremdliche Vorstellung.
Seit einiger Zeit gibt es in den Medien eine ausführliche Berichterstattung zum Thema Unfruchtbarkeit und ihrer Behandlung. Es kursieren Schlagwörter wie künstliche Befruchtung, ICSI, Geschlechterselektion, Auswahl von Embryonen und Social Freezing, ganz so, als sei die Fortpflanzungsmedizin dafür da, einem in der Regel zahlungskräftigen Zielpublikum einen bestimmten Lebensstil – Elternschaft als Teil eines anspruchsvollen Lebensplans – und dazu noch wunschgemäss designte Nachkommen zu ermöglichen.
Meine Erfahrung als praktizierende Gynäkologin mit Schwerpunkt Fortpflanzungsmedizin sieht jedoch anders aus. Paare, die sich fürs Nachhelfen beim Kinderkriegen entscheiden, haben meist keine andere Wahl und nur einen Wunsch: überhaupt ein Kind in die Welt zu setzen, nach Möglichkeit ein gesundes. Geschlechterselektion ist kein Thema, in der Schweiz und in Deutschland ohnehin nicht erlaubt. In den seltensten Fällen sind Lifestyle-Gründe für die Behandlung verantwortlich, auch wenn einige Berichte in den Medien das gern nahelegen möchten. Meist wird darin das Bild der anspruchsvollen, urbanen Kundschaft gezeichnet, die sich mit all den medizinischen Möglichkeiten ein Designerbaby im Labor zurechtschneidern lassen möchte.
Aus meiner Sicht ist es Zeit, nicht nur über kinderlose Paare zu sprechen, sondern mit ihnen. Kaum ein Paar begibt sich freiwillig in reproduktionsmedizinische Behandlung. Häufig wird mit diesem Schritt sehr lange gewartet. Das Schweizer Register für assistierte Fortpflanzung, FIVNAT, gibt in seinem neuesten Jahresbericht mit Daten aus dem Jahr 2016 das Durchschnittsalter der Frauen, die sich einer In-vitro-Fertilisation unterziehen, mit 36,3 (1), das Deutsche IVF-Register, DIR, im Jahrbuch 2017 mit 35,7 Jahren (2) an.
Auch Frauen, die ihre Eizellen einfrieren lassen, treibt meist nicht freudige Sorglosigkeit zur Beratung, sondern die Befürchtung, zu dem Zeitpunkt, zu welchem sie eine Familie gründen können oder wollen, eventuell bereits unfruchtbar zu sein. Mitunter leiden sie an einer schweren Erkrankung, die sie veranlasst, Eizellen für ein oftmals hypothetisches Danach aufzubewahren. In vielen Fällen fehlt Frauen im gebärfähigen Alter auch einfach der richtige Mann fürs Leben.
Wie geht es den Frauen und Männern, wenn es nicht klappt? Wie tasten sie sich an die lebensbestimmenden Entscheidungen heran, die ihnen abverlangt werden, wenn die Reproduktionsmedizin den Hebel ansetzt? Was passiert in der eigenen Gefühlswelt, was mit dem Verhältnis zum Partner? Wie offen kann man mit Freunden, Freundinnen und Familie über Unfruchtbarkeit sprechen? Wie lebt man weiter, wenn man sich trotz aller medizinischer Hilfe seinen Kinderwunsch nicht erfüllen kann?
Was berichten Frauen über das Konservieren ihrer Eizellen?
Darum geht es in diesem Interviewband.
Es kommen Frauen und Paare zu Wort, die über ihre Erfahrung mit künstlicher Befruchtung berichten: bei denen es geklappt hat oder auch nicht, die sich für Adoption oder Eizellspende entschieden oder den Kinderwunsch aufgegeben haben, die schlussendlich spontan schwanger geworden oder kinderlos geblieben sind. Zwei Frauen haben aus unterschiedlichen Gründen ihre Eizellen vorsorglich einfrieren lassen und berichten darüber.
Sie leben in der Schweiz oder in Deutschland, auf dem Land genauso wie in der Stadt.
Die Idee zu diesem Buch kam mir im Laufe der Jahre, in denen ich Paare mit Kinderwunsch beraten und behandelt habe. Wer kurz davor steht, sich einer In-vitro-Fertilisation zu unterziehen oder wer die Einpflanzung einer gespendeten Eizelle erwägt, hat oft Schwierigkeiten, an nicht-technische Informationen zu diesem Thema heranzukommen oder mit jemandem zu sprechen, der ähnliche Erfahrungen gemacht hat. Das liegt auch daran, dass man sich über Unfruchtbarkeit nicht so einfach austauschen kann.
In etwa fünfzehn Prozent der Bevölkerung sind im Laufe ihres Lebens mit Unfruchtbarkeit konfrontiert. Sobald man selbst betroffen ist, steigt der Bedarf an Information sprunghaft an. Gleichzeitig wird es für viele betroffene Paare schwierig, sich miteinander über dieses Thema auszutauschen. In unserer Gesellschaft sprechen wir heute locker über Transsexualität und homosexuelle Partnerschaften, über Libido und Sexualpraktiken, aber sobald ein unerfüllter Kinderwunsch im Raum steht, fehlen uns dafür oft die Worte. Sterilität ist häufig noch immer ein Tabu.
Der Wunsch nach einem Kind ist eine sehr private Angelegenheit, eine Sache zwischen zwei Menschen, Mann und Frau, intim, miteinander geteilt, ein tiefes, biologisch verankertes Verlangen, das eine gewaltige Wucht besitzt.
Wenn «es» klappt, spricht niemand darüber, ist es selbstverständlich. Wenn nicht, fühlen sich viele Betroffene mit diesem Thema allein.
Gleichzeitig zeigt es sich, dass Kinderwunsch und Kinderwunschbehandlung sehr viel mehr als rein private Themen sind, sogar weitreichende politische und ethische Dimensionen besitzen. Kaum eine medizinische Prozedur ist so stark gesetzlich geregelt wie der Umgang mit Keimzellen. Was in einem Land erlaubt ist, ist ein paar Kilometer weiter, jenseits der Landesgrenze, verboten. Diese unterschiedlichen gesetzlichen Realitäten, die moralischen Bewertungen und die daraus entstehenden Verunsicherungen schwingen in den meisten hier geschilderten Geschichten mit, manche werden sogar sehr stark davon geprägt.
Anhand der Berichte wird auch offensichtlich, wie unterschiedlich die finanzielle Regelung durch die Krankenversicherungssysteme ist. Wird in Deutschland unter Umständen geheiratet, damit die Krankenkasse eine In-vitro-Behandlung mitfinanziert, ist die Erstattung der IVF-Kosten in der Schweiz, ganz unabhängig vom Zivilstatus, prinzipiell ausgeschlossen. In Österreich gibt es einen Nationalfonds, der unter bestimmten Voraussetzungen die Finanzierung mitträgt.
Die von mir befragten Paare äussern sich auch zum Stellenwert der Familie, zur Stellung von Mann und Frau in der Gesellschaft und in der Partnerschaft und zu ihrem persönlichen Wertgefühl – mit Kindern oder ohne.
Ein Interviewband kann natürlich nicht alle Fragen beantworten. Aber er kann versuchen, einen Teil der Informationslücke zu schliessen. Die Frauen und Paare, die hier zu Wort kommen, haben in grosser Offenheit über ihre Erfahrungen, Gefühle und Lösungen berichtet. Die meisten waren begeistert von diesem Projekt, weil sie sich selbst so ein Buch gewünscht hätten, als sie auf der Suche nach Information waren. Insofern ist dies hier auch ein Mutmacher-Buch. Die Geschichten zeigen: Die anfängliche Überforderung mit der Problematik kanalisiert sich, die Verwirrung über die verschiedenen Möglichkeiten lichtet sich. Es geht weiter mit dem eigenen Leben. Jedes Paar findet seinen Weg.
Das Buch spart gleichgeschlechtliche Paare, Paare mit Samenspende und auch Frauen, die mittels Samenspende Mutter werden wollen, bewusst aus, denn dazu gibt es bereits entsprechende Literatur.
Ich bedanke mich von ganzem Herzen bei den Frauen und Männern, deren Geschichten ich erfahren und aufzeichnen durfte, für ihr Vertrauen und die Nähe.
Die Gespräche mit ihnen haben einen grossen Eindruck bei mir hinterlassen. Sicher tragen sie auch zu meinem eigenen, noch bewussteren, Umgang mit der Problematik bei. Selbstverständlich wurden Namen, Wohnort und Berufe von allen Befragten so verändert, so dass keine Rückschlüsse auf die jeweiligen Personen möglich sind, sofern sie nicht ohnehin im Schutz der Anonymität berichtet haben.
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