Und dann setzte leider nach beiden Inseminationen pünktlich die Blutung ein. Ich habe das als noch schlimmer empfunden als in der Zeit, bevor wir mit den Behandlungen begonnen hatten. Mir war vom Verstand her klar, dass die Chance auf eine Schwangerschaft auch mit der Insemination gering war, aber an dieses Fünkchen Hoffnung klammerte ich mich Monat für Monat.
Normalerweise bin ich psychisch ziemlich stabil, mich bringt so schnell nichts aus der Ruhe, auch nicht schwere Belastungen. Darum hätte ich auch vorher nie gedacht, dass mir die erfolglosen Versuche so viel ausmachen könnten. Mit meiner Trauer und meinem Aufgewühltsein nach jedem erfolglos verstrichenen Monat war ich ziemlich allein. Jetzt empfand ich meine aussichtslose Situation am Arbeitsplatz fast schon als Glücksfall. Wenn mich jemand fragte, was mit mir los sei, konnte ich es einfach auf meinen Vorgesetzten schieben. Das reichte allen als Erklärung für meine depressive Stimmung.
Ich war fast so weit, die Segel zu streichen und meinen Kinderwunsch aufzugeben. Simone bestärkte mich dann, dass wir doch eine In-vitro-Fertilisation erwägen sollten, weil diese Form der Behandlung sehr viel mehr erfolgversprechender sei. Vorher sollte man ihrer Meinung nach nicht ans Aufhören denken.
Die künstliche Befruchtung war dann noch einmal ein Riesenschritt für uns.
Ich hatte vor allem grossen Respekt vor der nötigen Selbstbehandlung mit den Spritzen. Am Anfang konnte ich mir nicht vorstellen, mich selbst täglich zu spritzen. Ausserdem hatte ich Angst vor einer Überstimulation meiner Eierstöcke. Das beschreibt ja jeder ärztliche Aufklärungsbogen als eines der Hauptrisiken. Schliesslich führt man dem Körper riesige Hormonmengen zu, was alles andere als normal ist.
Sollte man das Schicksal überhaupt derartig herausfordern? Oder sich nicht besser mit dem begnügen, was man so hat im Leben?
Und dann war da auch noch die Vollnarkose. Auch so etwas hatte ich bisher noch nicht erlebt. Ich war immer gesund gewesen, es würde das erste Mal sein, und ich hatte keine Ahnung, wie mein Körper darauf reagieren würde. Trotz aller Unsicherheit verzichtete ich komplett auf eigenes Surfen im Internet. Ich besuchte keine Blogs und verliess mich ausschliesslich auf die Informationen, die mir der Arzt gab.
Die In-vitro-Fertilisation hatte aber noch eine ganz andere Auswirkung: wir heirateten. Man hatte uns vorher darüber aufgeklärt, dass die Krankenkassen in Deutschland die Behandlung nur bei Ehepaaren bezahlen. Ich will nicht gerade sagen, dass wir sonst überhaupt nicht geheiratet hätten, aber das Finanzielle spielte tatsächlich eine Rolle. Die Behandlung kostet ja auch einen ordentlichen Batzen Geld. Auf jeden Fall hat sie unseren Schritt vor den Traualtar beschleunigt.
Gott sei Dank erwiesen sich alle Bedenken, die ich noch vor dem Start der Therapie gehabt hatte, als unbegründet. Die Stimulation mit den Hormonen und auch der operative Eingriff verliefen unkompliziert. Ich merkte die Medikamente überhaupt nicht in meinem Körper. Ich fühlte mich wie immer. Es wurden dann tatsächlich fünfzehn Eizellen gewonnen, und es fand auch eine Befruchtung statt. Man konnte sogar einige befruchtete Eizellen einfrieren, falls es nicht direkt klappen sollte.
Mir wurden einige Tage später zwei Embryonen eingesetzt. Danach hiess es zwei Wochen warten. In der Zwischenzeit gab es noch eine etwas unverständliche Computerauswertung der Kinderwunschklinik, welche unsere Chance auf eine Schwangerschaft ausrechnete. Bei uns wurde die Chance als gering bewertet, das Eintreten einer Schwangerschaft war also sehr unwahrscheinlich. Und so kam es dann auch.
Das war noch einmal ein Tiefschlag, der negative Schwangerschaftstest und das Schweigen darüber. Daniel und ich hatten abgemacht, dass ausser uns von diesem Schritt wirklich niemand etwas erfahren sollte, nicht einmal die Menschen, die schon wussten, dass wir in Behandlung waren. Das ist ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite ist es angenehm, dass man niemandem mitteilen muss, dass es nicht geklappt hat. Andererseits kann man sich aber auch keinem anvertrauen, selbst wenn man sich das wünscht. So hockten wir erst einmal mit unserer Enttäuschung aufeinander.
Wir brauchten nach der misslungenen IVF-Behandlung eine Pause. Von den vielen geernteten Eizellen hatten sich zwar nur wenige befruchten lassen, aber zum Glück hatten wir noch befruchtete Eizellen für wenigstens einen Auftauzyklus eingefroren.
Als wir dann so weit waren, noch einmal zu starten, bekam ich eine leichte hormonelle Vorbehandlung, die ich ebenfalls gut vertrug. Da wir keine Eizellen ernten mussten, waren keine Spritzen nötig. Am Wochenende vor dem geplanten Transfer halfen wir meinem Schwager beim Hausabbruch. Ich hatte mich richtig darauf gefreut und legte mich voll ins Zeug. Ich glaube, das war eine lang ersehnte Gelegenheit, mich richtig abzureagieren, den ganzen aufgestauten Frust einmal loszuwerden. Wahrscheinlich bin ich etwas zu wild vorgegangen. Jedenfalls passte ich nicht auf, weswegen mir ein grosser Mauerbrocken direkt auf den Rücken fiel. Kurz darauf konnte ich vor Schmerzen nur noch krumm gehen. Daniel drängte mich dazu, einen Notfallarzt aufzusuchen. Der Arzt gab mir schmerzstillende Medikamente. Aber da ich auf gar keinen Fall das Eintreten einer Schwangerschaft durch unvorsichtiges, falsches Verhalten von meiner Seite gefährden wollte, nahm ich das Medikament nicht. Ich konnte mich zwar kaum noch bewegen, aber ich biss die Zähne zusammen. Irgendwann würde es schon wieder besser werden.
Und ich wurde belohnt: Eine Schwangerschaft trat ein, mit der letzten eingefrorenen, befruchteten Eizelle, die noch vorhanden war. Es war ein wirkliches Wunder. Vor allem ein Moment bleibt für mich unvergesslich: als mein Frauenarzt zwei Wochen nach dem positiven Schwangerschaftstest im Ultraschall auf einen kleinen, weissen Punkt deutete, der fest vor sich hin pulsierte. Das kleine Herz hatte zu schlagen begonnen.
Inzwischen war ich über vierzig Jahre alt, es stellte sich daher die Frage, ob wir das Ungeborene genauer auf genetische Erkrankungen untersuchen wollten. Daniel und ich einigten uns auf den Ersttrimestertest, bei dem ein Ultraschall durchgeführt wird, um festzustellen, ob die Nackenfalte des Babys verdickt ist und eine Blutprobe von mir entnommen wird. Alles war ok. Darüber hinaus wollte ich keine spezielle weitergehende Diagnostik. Wenn mir jemand zu einer Fruchtwasserpunktion geraten hätte, weiss ich nicht, ob ich das tatsächlich hätte durchführen lassen. Das Risiko, das Kind wieder zu verlieren, wäre mir wahrscheinlich zu hoch erschienen.
Die Schwangerschaft war insgesamt super. Ich litt auch nicht an übermässigen Ängsten wegen der vorangegangenen Behandlung, ich freute mich einfach. Und so hatte ich auch eine völlig unkomplizierte natürliche Geburt.
Die ganze Schwangerschaft war so einfach gewesen und das Glück nach der Entbindung so riesig, dass wir über ein zweites Kind nachdachten. Aber dazu kam es nicht mehr, da sich zwei Jahre nach der Geburt herausstellte, dass ich eine schwere Krankheit hatte. Aber das ist eine andere Geschichte.
Mit dem Wissen von heute würde ich im Nachhinein einiges in meinem Leben anders gestalten: Ich würde nicht mehr über so viele Jahre die Pille nehmen. Viel zu lange hatte ich mich darauf konzentriert, nicht schwanger zu werden, mit gravierenden Nebenwirkungen, wie sich jetzt herausstellen sollte. Jahrelang war ich wegen Migräne medikamentös behandelt worden. Seit dem Absetzen der Pille bin ich keine Migräne-Patientin mehr.
Die Hormonbehandlung als Teil der künstlichen Befruchtung war meiner Einschätzung nach nicht so gravierend wie ich befürchtet hatte.
Ich bin jetzt wieder gesund und lebe viel bewusster. Zum Beispiel bin ich überhaupt nicht auf eine Vollzeittätigkeit und die Karriereleiter neben meiner Mutterrolle aus. Nach allem, was ich erlebt habe, bin ich froh, dass ich neben einer Teilzeit-Berufstätigkeit vor allem Zeit für meine kleine Familie habe.
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