Ich drückte Poppys Hand, um ihr zu signalisieren, dass ich für sie da war, dass sie nicht alleine mit ihrem Kummer war. Sie erwiderte die Geste und schniefte laut.
»Wie willst du jetzt weiter vorgehen?«
Poppy seufzte und zuckte hilflos mit den Schultern.
»Ich schätze, ich muss mir bewusst werden, was und wen ich will. Bevor ich das nicht weiß, kann ich keinem der beiden in die Augen schauen.«
Ich nickte zustimmend. Was dies betraf, gab ich Poppy recht. Sie würde sich definitiv Gedanken darüber machen müssen, für wen der beiden ihr Herz schlug. Ich vermochte mir gar nicht vorzustellen, wie schwierig das für sie sein musste.
»Danke Drea«, hörte ich Poppy plötzlich sagen. Überrascht hob ich den Blick und sah ihr in die Augen. Trotz des Kummers, den man in ihnen erkannte, strahlten sie Dankbarkeit aus.
»Wofür denn?«
»Dafür dass du mir zuhörst und mich nicht verurteilst. Schließlich ist Lukas dein Bruder«, erklärte sie bedächtig. Mit einem Mal begriff ich, weshalb Poppy so sehr gehadert hatte, mit mir über die ganze Sache zu reden. Der wahre Grund für ihr Zögern war, dass sie Angst gehabt hatte. Angst davor, dass ich hätte sauer sein können, wie Lukas.
Sofort schenkte ich ihr ein Lächeln.
»Poppy, du weißt, dass ich dich niemals für das was du fühlst, verurteilen würde. Und ja, Lukas ist mein Bruder, aber du bist auch meine beste Freundin. Das bedeutet doch auch etwas, oder nicht?«
Mit einem Mal schien all die Anspannung von ihr abzufallen. Sie erwiderte mein Lächeln und nickte.
»Ja, das tut es.« Für ein paar Sekunden herrschte Stille zwischen uns und schweigend dankten wir dem jeweils anderen.
»Lass uns über was anderes reden, dieses Thema ist deprimierend genug«, woraufhin sie nach ihrem Kaffee griff und ihn in einem Zug leerte.
»Freust du dich schon auf unsere Abschlussfahrt?«, fragte sie beiläufig und nahm den Plastikdeckel von ihrem Becher, um nochmal zu überprüfen, ob er auch wirklich leer war. Mir dagegen geisterten Poppys Worte durch den Kopf.
»Abschlussfahrt?«, wiederholte ich verständnislos. Poppy sah von ihrem Tun auf und hob belustigt eine Braue.
»Ja, unsere Abschlussfahrt, Drea, in drei Wochen.«
Schlagartig fiel mir wieder ein, dass bereits seit Ende letzten Schuljahres unsere Abschlussfahrt geplant war, schließlich waren wir nun im letzten Jahr der High School angelangt.
Für gewöhnlich fuhren die Absolventen gegen Frühjahr in eine Art Ferienlager hier in Washington in der Nähe Ellensburg. Unser Jahrgang allerdings hatte die Idee, die Fahrt vorzuverlegen, um den Winter in den Bergen verbringen zu können. Zu unseren Gunsten, besaß einer unserer Lehrer Kontakte nach Mount Rainier und so bekamen wir für die fünf Tage ein preiswertes Angebot. Mount Rainier war ein Nationalpark, etwa zwei Stunden von Seattle entfernt.
Durch den ganzen Stress der letzten paar Monate, hatte ich den Ausflug völlig vergessen.
»Daran hatte ich überhaupt nicht mehr gedacht«, gestand ich.
»Ohje«, Poppy räusperte sich, doch der Ansatz eines leichten Lächelns erschien auf ihrem Gesicht. »Na dann weißt du sicherlich auch noch nicht, welche Lehrer mit von der Partie sein werden.«
Nun konnte sie sich das Grinsen nicht mehr verkneifen und wackelte verschwörerisch mit den Brauen.
»Nein, bitte nicht«, stöhnend ließ ich den Kopf auf die Tischplatte fallen.
»Ganz richtig, hallo Mr Adonis«, bestätigte sie meine dunkle Vorahnung, sofort fuhr mein Kopf wieder nach oben.
»Mr Arschloch«, korrigierte ich sie mit strengem Blick und Poppy brach in schallendes Gelächter aus.
Eigentlich hatte ich seit der Mittelstufe gemeinsam mit Poppy, Timmy und Danny auf diese Abschlussfahrt hin gefiebert. Ein letztes Mal mit dem ganzen Jahrgang und den engsten Freunden zusammen wegfahren, die Schulzeit Revue passieren lassen und ein allerletztes Mal gemeinsame Erinnerungen sammeln.
Nun, da ich erfahren hatte, dass Logan mitfahren würde, war ich mir jedoch gar nicht mehr so sicher, ob ich diesen Kurzurlaub so richtig genießen konnte. Ich würde Logan dauerhaft um mich haben. Ihn den ganzen Tag über von morgens bis abends sehen, womöglich auch mit ihm reden müssen.
»Sieh es doch nicht so negativ. Möglicherweise ist es eine gute Gelegenheit, um euch wieder näher zu kommen und euch vielleicht mal auszusprechen.«
»Poppy! Ich dachte, wir mögen Mr Arschloch nicht mehr? Außerdem ist das Thema Logan Black vom Tisch«, ich warf ihr einen vielsagenden Blick zu. Gerne als Poppy zu einem Gegenargument ausholen wollte, setzte ich dem Ganzen noch die Krone auf. »Zudem lässt du die Tatsache außer Acht, dass es sich bei ihm um unser Lehrer handelt. Unser Lehrer, verstehst du das?«
»Ja, aber nicht mehr lange. In ein paar Monaten hast du deinen High School Abschluss in der Tasche und dann interessiert es keine Menschenseele mehr«, wieder wackelte sie verschwörerisch mit ihren Augenbrauen.
Wenn es doch nur so einfach wäre, wie Poppy es behauptete. Leider war die Tatsache, dass es sich bei Logan um meinen Lehrer handelte, nicht das einzige Hindernis, das zwischen uns stand. Auch seine Vergangenheit schien eine große Rolle zu spielen und ihn von einer ernsthaften Bindung abzuhalten.
Poppy bemerkte wohl meine Traurigkeit und die Sehnsucht, die bei diesem Thema Besitz von mir ergriff und startete ein Ablenkungsmanöver. Sie kannte mich einfach zu gut.
»Komm schon Drea«, sie erhob sich und nahm ihr Tablett vom Tisch. »Lass uns die Geschäfte unsicher machen.«
Ich löste mich aus meiner Starre und versuchte die Gedanken an Logan Black vorerst zu verdrängen. Ich folgte ihrem Beispiel und brachte mein Tablett ebenfalls weg. Danach traten wir hinaus in die Kälte. Der Nachthimmel wies wieder einmal diese violette Farbe auf, die weiteren Schnee ankündigte.
Ein Blick auf meine Armbanduhr verriet mir, dass es bereits kurz nach neun Uhr war. Glücklicherweise war heute Black Friday, der Freitag nach Thanksgiving. Da Thanksgiving immer auf den vierten Donnerstag im Monat fiel, war der darauffolgenden Tag kennzeichnend für den Start in ein traditionelles Familienwochenende und Beginn der Weihnachtseinkaufsaison. In dieser Freitagnacht hatten etliche Geschäfte vierundzwanzig Stunden geöffnet.
Dementsprechend herrschte nun auf den Straßen Seattles auch das pure Chaos. Unzählige Menschen waren unterwegs, die dieses Event nutzten, um ein paar günstige Schnäppchen zu ergattern.
Es war ein wunderschöner Abend. Um uns herum funkelten die Weihnachtslichter in den verschiedensten Farben. Ein Duft von Zimt, Äpfeln und Mandeln lag in der Luft. Viele Essensstände säumten die Straße und versuchten mit diesem besonderen Ereignis einen ordentlichen Umsatz zu erwirtschaften.
Drei Stunden später türmten wir unsere Einkaufstüten auf dem Rücksitz meines Autos. Ein Blick auf die Rückbank und man erkannte allein schon an der Masse unserer Einkäufe, dass Poppy und ich beide Liebeskummer hatten. Nun verstand ich, weshalb meine Mom mir immer gesagt hatte Frustshopping würde arm machen. Doch das war es mir wert gewesen. Poppy und ich hatten sogar für unseren Winterball im Januar schicke Kleider gefunden.
Schon als ich es im Geschäft an dem Kleiderständer sah, wusste ich sofort, dass ich dieses Kleid haben musste. Es war ein echter Hingucker. Es war bodenlang und die Farbe schimmerte in einem leuchtenden Königsblau mit einem raffinierten, hohen, seitlichen Beinschlitz.
Poppy dagegen hatte sich einen schwarzen bodenlangen Zweiteiler ausgesucht. Der Rock war knielang und umschmeichelte locker ihre Oberschenkel. Das Oberteil bestand aus einem bauchfreien Tanktop, welches man in der Mitte schnüren musste. Es stand ihr hervorragend und war definitiv genau nach Poppys Style.
Erschöpft kamen wir kurz nach Mitternacht bei Poppy zuhause an, denn ich war viel zu müde, um jetzt noch nach Hause zu fahren. Also schrieb ich meinem Dad eine kurze SMS, dass ich bei Poppy übernachtete. Wie immer zog Poppy sich noch einen ihrer Marvel Filme herein. Ich dagegen fiel bereits nach den ersten zehn Minuten in einen tiefen Schlaf.
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