Hil Barast - NACHKLANG DER LEBENSSAITEN

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17 Lebenszenen während des dritten Reiches und danach :
In Kleinkinderschuhen zu Beginn des Dritten Reichs
Die Kindergruppe
Die Jungmädchen-Zeit
Familienbesuche
Sommerferien in der Lüneburger Heide 1944
August 1944
Französische Einquartierung, April/Mai 1945
Unterbringung der Flüchtlinge Ursel und Greta, Mai 1945
Marlenes Flucht aus Ostpreussen, Januar/Februar 1945
Christians Rettung von der sinkenden GUSTLOFF
Elsas Flucht aus dem Ermland, Januar 1945
Unsere Klassenlehrerin, Flüchtling aus Königsberg
Begegnung mit Otto D., geflüchtet aus Ostpreussen
Die liebe Tante Elise
Beängstigende Begegnung im Sept. 1945
Winter 1947
Lehrjahre

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Hil Barast

NACHKLANG DER LEBENSSAITEN

von 1936 bis 1949 während des dritten Reichs und danach : Kinderaugen, Augenzeugen, Zeugenberichte, Berichterstattung

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis Titel Hil Barast NACHKLANG DER LEBENSSAITEN von 1936 bis - фото 1

Inhaltsverzeichnis

Titel Hil Barast NACHKLANG DER LEBENSSAITEN von 1936 bis 1949 während des dritten Reichs und danach : Kinderaugen, Augenzeugen, Zeugenberichte, Berichterstattung Dieses ebook wurde erstellt bei

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Impressum neobooks

Kapitel 1

In Kleinkinderschuhen zu Beginn des Dritten Reichs

Wie oft hat man mich gefragt in Frankreich, wie ist es möglich, dass fast ein ganzes Land hinter diesem Hitler stand?

Historiker und Intellektuelle haben sich mit der Geschichte des Dritten Reiches auseinandergesetzt. Ich kann nur davon berichten, wie es am Rande meiner kleinen Stadt zu der Zeit ausgesehen hat.

Die Menschen, vor allem die Arbeiter, hatten wieder Hoffnung, schöpften Kraft, konnten ihre Familien besser ernähren; es gab Arbeit, das Leben verlief für viele geordneter. Der Arbeitswille und die Arbeitsfreude waren da. Sehr viel weiter sah man nicht in diesen Kreisen unserer Kleinstadt.

Als ich gegen die Pocken geimpft wurde - ich war wohl zwei oder drei Jahre alt – sagte der Hausarzt nicht „heb mal Deinen Arm hoch“, nein, er sagte „mach mal Heil Hitler“, und schon war ich geimpft.

Uns gegenüber auf der anderen Straßenseite war ein kleines Lebensmittelgeschäft. Der Besitzer liebte kleine Kinder, und ich muss wohl recht drollig gewesen sein. Immer wenn er mich am Fenster erblickte, grüßte er mit erhobenem Arm, d.h. Heil Hitler, und schnell hatte ich es raus, ebenso zurückzugrüßen.

Später, als meine Vettern zu den Pimpfen und ich zu den Jungmädchen gehörten, sagten wir zu Oma, sie müsste auch mit Heil Hitler grüßen. Darüber lachte sie und sagte im besten niedersächsischen Plattdeutsch:“lat mi man…“ Sie blieb bei „guten Morgen, guten Tag, guten Abend“, und so war es in der ganzen Familie.

Wenn ich in der Stadt einem meiner Lehrer begegnete, musste ich natürlich mit „Heil Hitler“ grüßten. Als ich später zur Oberschule ging, wurden wir in der Eingangshalle von einer Studienrätin und einem Studienrat begrüßt, die von uns erwarteten, dass wir mit „Heil Hitler“ grüßten. Machten wir das nicht korrekt, mussten wir umkehren und noch einmal grüßen. Schlimm war es für uns Mädchen nach 1945: wir wurden von denselben Studienräten in der Eingangshalle begrüßt, mussten aber einen Knicks machen, der uns mehr oder weniger gut gelang. Also hieß es umkehren und noch einmal knicksen.

Natürlich war uns das Judenproblem völlig fremd.

Oma kaufte gern in einem jüdischen Geschäft in Stolzenau ein, vor allem schöne Bettwäsche. Sie musste mit dem Zug dorthin fahren, etwa dreißig km. Aber sie liebte das und schätzte sehr den jüdischen Geschäftsmann, da er ihr immer ein Geschenk obendrein machte, z.B. eine schöne Tischdecke.

Ich erinnere mich noch, dass die Jungs meine Spielfreundinnen auf dem Hof – sie waren einige Jahre älter als ich – mit „Ischen“ riefen. Vati machte mich darauf aufmerksam, dass man dieses Wort nicht mehr sagen sollte. Sehr viel später fand ich in einem jüdischen Wörterbuch, daß „Ischen“ Mädchen bedeutet.

Ganz dunkel ist mir in Erinnerung, dass die Eltern Papiere ausfüllen mussten über ihren Stammbaum. Ich verstand nichts davon, aber ich hörte ihre Unterhaltung, dass Tante Line, Tante meines Vaters, die einen Schneider Meyer geheiratet hatte, sich Sorgen machte, was die Papiere ihres Mannes anging. Aber in der kleinen Dorfgemeinde hat man wohl nicht weiter nachgeforscht. Jedenfalls nähte der Onkel weiterhin Anzüge, Hosen, Mäntel u.s.f. für Vati und andere. Schlimm war, dass Vati immer ewig warten musste auf eine Hose oder eine Änderung. Oft fuhren wir mit unseren Rädern vergebens dorthin. Gab er anderen den Vorzug?

Und noch eine nicht sehr schöne Erinnerung habe ich, was das Wort „Juden“ anbetrifft: Als ich einmal in die Waschküche ging, die so dunstig war, dass ich unsere Waschfrau kaum erkennen konnte, sagte diese, als sie meine „laufende“ Nase sah: “Du hast ja einen Juden in der Nase.“ Übersetzt hieß das: “Deine Nase ist schmutzig.“

Ich wusste ja nicht mit meinen 3 oder 4 Jahren, dass es sich bei Juden um Menschen handelte. Einmal möchte ich noch auf unseren Lebensmittelhändler von gegenüber zurückkommen: Kurz vor meinem fünften Geburtstag fragte Mutti mich, welchen Geburtstagskuchen ich am liebsten hätte. Ohne zu zaudern antwortete ich wie immer: „einen Kranzkuchen = Frankfurter Kranz“. „Den werde ich Dir in diesem Jahr wohl nicht backen können, Herr Fiehne verkauft mir nicht genug Butter“ erklärte sie mir. So ganz glücklich machte mich das nicht.

Als wir am nächsten Tag in eben diesem Lebensmittelgeschäft einkaufen wollten, bat mich Herr Fiehne, ihm ein Liedchen zu singen, wie ich das immer tat. Aber diesmal wollte ich das nicht. „Ja, aber warum denn nicht?“ fragte er. Worauf ich prompt antwortete: „weil Du Mutti nicht genug Butter verkaufst für meinen Geburtstagskuchen.“ So steckte er heimlich ein halbes Pfund Butter in Muttis Einkaufskorb. Die Butter war 1938 schon rationiert.

Mein französischer Ehemann sagte mir erst jetzt, dass in Frankreich die Parole Görings „entweder Butter oder Kanonen“ bekannt war.

Mein Vater, der nicht sehr zufrieden war mit seiner Tätigkeit in der Glasfabrik, bemühte sich um eine andere Stelle. Bei einer Firma in Bremen, die Flugzeuge herstellte, konnte er anfangen, musste sich aber um eine Wohnung bemühen. So entschloss er sich, eine Stelle bei der WIFO anzunehmen, Firma, die die Wehrmacht mit Treibstoffen versorgte. Diese Firma lag etwa sechs km südlich der Stadt in Richtung Minden und war mit dem Fahrrad zu erreichen. So blieb er „im Lande“, konnte gelegentlich bei seiner Mutter einspringen, die es nicht ganz leicht hatte mit ihrem schwer behinderten Mann. Dazu kam, dass die WIFO Häuser baute für Arbeiter und Angestellte und damit das Wohnungsproblem gelöst war. Damals verließ man nicht bedenkenlos seine Heimatstadt; man war sesshaft.

So zogen wir um im Januar 1939. Meine Grundschule lag nur etwa 200 m von unserem Haus entfernt. Damals begann das Schuljahr im September. Wir Schulanfänger sollten alle mit unserem Roller, mit Blumen und Kränzen geschmückt, zum Schulfest kommen. Aber es kam anders: der Krieg begann.

Zu Beginn des Schuljahres wurde erst einmal die Fahne gehisst, und es wurde gesungen. Auch die Kleinen kannten ja schon das Lied „Die Fahne hoch“. Später lernten wir das Lied „Auf hebt unsere Fahne in den frischen Morgenwind“. Der Lehrer, der für den Lehrgarten verantwortlich war und der jeden Vogel kannte, wurde gleich eingezogen, leider.

Nach zwei Lehrerinnen, die recht streng waren, hatten wir einen Lehrer. Seine Aufsatzthemen waren aufschlussreich:

- Der 9. November 1923 (Putsch gegen Hitler)

- Die Helden von Stalingrad (4.2.1943)

- Fliegeralarm (13.2.1943)

- Volk, steh auf! (20.2.1943 (Goebbels ruft zum Kriegseinsatz auf am 19.2.1943)

- Horst Wessel (25.2.1943) S.A.-Mann, wurde von Kommunisten ermordet, war der Autor des Liedes (Horst-Wessel-Lied) „Die Fahne hoch“

Heldengedenktag (20.3.1943) Gedenktag im März der Gefallenen des 1.Weltkriegs

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