John ging mit seiner Hand über die leicht zerzausten Haare, zog seinen Gürtel zurecht und ging hinüber zur Bar, hinter der bereits Papageno auf seinen neuen Gast wartete. Dieser Pinguin war in der Tat ein besonderer Pinguin. Seine Art zu reden und zu gestikulieren hatte etwas von Laissez-faire an sich. Wie sein Vetter Antonio experimentierte er auch mit Dingen aus der Technik. Sein Aussehen hatte etwas Menschliches an sich, da er immer mit einer Kopfbedeckung zu sehen war. Er wollte cool aussehen und lief mit einem Cappy herum, dass er grundsätzlich verkehrt rum trug. Seine Kopfbehaarung war das coolste auf dieser Insel. Papageno war der Gelbhaar Punk. Er war der einzige Felsenpinguin, der Wert auf ein Hair Styling legte. Gabe es besondere Anlässe, dass er Besuch von seinen Freunden aus Tekcity Forest bekam, dann besorgte er sich von Diego eine Flüssigkeit, um sich seine Haare lila zu färben. Mit seinem lila Schal machte er einen versnobten und intelligenten Eindruck. Mann, war der eitel. Wow, damit sah er wirklich cool aus. Aber in der meisten Zeit widmete er sich seinem Hobby, dem digitalem Basteln. Einmal im Monat bekam er ein Paket aus Tekcity Forest. In diesem kleinen Städtchen wohnte sein Freund Diego Kabel-O-donna. Diego war ein Freund aus der Affenfamilie, genauer gesagt aus dem Clan der Gorillas und führte ein lebhaftes Geschäft in Hard- und Software.
An der Bar wurde John sofort von Papageno stürmisch begrüßt: „Halli Hallo, werter Gast aus der großen weiten Welt. Mein Name ist Papageno und ich freue mich tierisch, dir einen meiner meisterlichen Drinks aus der digitalen Küche anzubieten. Um im intellektuellen Sinne genau zu sein, kredenze ich dir ein Getränk aus meinem Flat Drink Tarif, der dir viele Megabytes Erfrischung bringen soll. Unter Freunden biete ich dir diesen Digital-Drink aus meinem low cost Segment an. Meine wirtschaftswissenschaftliche Überlegung ließ mich diese durchaus günstigen Drinks kreieren, helfen sie meinen Gästen und ein wenig mir. Wie war nochmal dein Name? Der King hatte mir zwar diese Info schon vor vielen Atemzügen kabellos mittgeteilt, ich hatte aber noch keinen freien Speicher zur Verfügung. Jetzt wirst du Zeuge bei meinem ersten fernbedientauglichen Drink.“
John, der es sich an der Bar gemütlich gemacht hat, wartete schon sehnsüchtig auf seine Erfrischung. Der lange Flug hatte ihn sehr durstig gemacht. „Hi Papageno“ antwortete John dem Pinguin, „nett dich kennenzulernen. King hat mir schon von dir erzählt. Mein Name ist John. Ich könnte einen guten Drink jetzt gebrauchen.“
Papageno nahm eine kleine Fernbedienung in seine rechte Flosse und initiierte dadurch ein rhythmisches Arbeiten der Cocktailmaschine hinter ihm, die seinen Lieblingscocktail, den Happy Fruit`n Ice Drink, produzierte. Jeder, der John kannte, hätte davon überzeugt sein müssen, dass es ihm gut ging. Nein, es ging ihm sogar sehr gut. Das wäre doch ein Leben für ihn gewesen, oder? Nichts zu tun und das Leben Leben sein lassen.
Oh Johnny, ich kann Dich gut verstehen. Das hätte mir auch gefallen. Nein, ich kann dich sogar sehr gut verstehen. Du siehst, dass alle gut drauf sind, das Wetter ist fantastisch, die Sonne scheint, du fliegst gratis durch die Lüfte, usw. usw. und das steckt an. Wow, das schöne Leben hat dich angesteckt Das Leben ist fantastisch. La dolce Vita. Hmmm, warte mal. Johnny, nur nicht so schnell. Vor lauter Sonne und vor lautem Mir-geht-es-super hast du etwas vergessen. Ich hab da was für dich. Das Leben ist doch in Wirklichkeit ein bisschen anders. Aber wirklich nur ein bisschen. Schau doch mal nach oben. Schau jetzt nicht zur Bar und nicht zu dieser Maschine, die dir ein Getränk mixen soll. Schau auch nicht in das tierisch vergnügte Gesicht des Pinguins da hinter der Bar. Nein, vergiss das mal kurz und schau einfach mal nach oben. Sieh nach oben in Richtung wolkenlosen Himmel. Ich habe da echt was für dich. Naja, ist zwar nicht ganz so toll wie hier, aber….
Johnny war hin und weg von der Maschine, die für ihn einen Erfrischungsdrink anfertigte. Das war ganz nach seinem Geschmack. Hatte da aber eben nicht einer von den Beiden gerade gemeint, er solle doch mal kurz nach oben schauen? Okay, Johnny lächelte noch vom Anblick des Glases, das die Maschine für ihn füllte und sein Blick ging rasch in Richtung Himmel, als er am sonst wolkenlosen Himmel, weil es in Lebendig Wasser immer noch keine Wolken gab, ein Gebilde sah, dass einem durch Zigarettenrauch geblasenem Ring gleichkam. So einen Ring kannte er von seinem Dad, GOTT habe ihn selig, als er ihm, also, als sein Dad ihm, little John, Kringel vom Zigarettenrauch machte. Oh ja, das fand der kleine unbescholtene und brave Little John schön und lustig. Little John fixierte diesen Kringel ganz genau und nahm dann seinen Zeigefinger, um mit ihm diesen Kringel kaputt zu machen. Ganz kaputt war der Ring, dessen Überreste der Kleine wegpustete. Und little John lachte sich fast kaputt und rief zu seinem Dad: „Nochmal Dad, nochmal Dad!“ Und genauso einen Ring sah Cartoon John nun am Himmel. John lächelte und verfolgte die Bewegung, die dieser Ring machte. Aus diesem Ring formte sich ganz elegant und heimtückisch ein Gesicht. Johns Augen wurden größer und sein Lächeln wurde flacher und flacher, bis aus seinem lächelnden Gesicht ein ängstliches Gesicht wurde. John sah nämlich, dass dieses Gesicht die feinen Umrisse seines Daddys bekam. In diesem Fall schaute dieses Daddy-Kringel-Gesicht ihn sogar verdammt ärgerlich an. So ärgerlich schaute ihn immer sein Daddy an, wenn er eine 5 von der Schule nach Hause brachte. Dann nämlich war es Zeit für Little John, in die Küche zu gehen, um den riesengroßen Teppichklopfer zu holen, den sein Daddy ihm dann kräftig auf seinen Hintern schlug. Sein Daddy wiederholte beim Schlagen die Worte: „Lerne, mein Sohn, lerne, mein Sohn. Nur so kommst du durchs Leben, mein Sohn. Lerne“ Dabei schaute sein Dad sehr, sehr ärgerlich. Und dieses Gesicht kam aus dem Himmel hinab, hinunter zu Cartoon John. Es sprach auch dieselben Worte. „Lerne mein Sohn, lerne, mein Sohn. Nur so kommst du durchs Leben.“ Cartoon John schaute stark verängstigt zu King, dann zu Papageno. Er wollte gerade rufen: „Bitte helft mir doch“, als das Gesicht seinen Mund öffnete, und der Mund groß und größer wurde. Der Mund verzog sich, nicht um Kringel zu blasen, sondern um zu saugen. John wurde von diesem Sog erfasst und das Gesicht nahm den 58 jährigen gezeichneten Amerikaner hoch in die Luft. John wurde förmlich wie von einem Wirbelwind schnell gen Himmel gesaugt. Die Wolke, eben noch Gesicht, schlängelte sich nun um John von den Füßen bis zu seinen Haaren und entführte ihn aus dem Land Lebendig Wasser. John wurde durch die Pforte, vor der er am Anfang von der jungen Kaiserin begrüßt wurde, in eine andere Welt befördert, in der der liebe und lächelnde John nichts mehr zu lachen hatte. Vorbei mit der glücklichen Welt, in der die Sonne ohne Wolken unendlich schien, in der alle Lebewesen, alle Tiere und Pflanzen über und in dem Wasser glücklich waren, in der dieser heillose Ich-will-hier-unendlich-leben-und-nie-sterben Zustand jeden ansteckte, der hierher kam. Nein, lieber John Feelgood, du hast nun die süßesten Schokoladenseiten, die herrlichsten Sonnenseiten des Lebens, in dem das meiste frei erfunden ist, kennengelernt.
20. Das neue Leben, der erste Versuch
Und so passierte es an einem regnerischen Tag um 14.36 Uhr, dass sich die Finger des im Bett liegenden John Feelgood rührten. John war Rechtshänder, also kam von der rechten Hand die erste abtastende Bewegung in Richtung Radio. John liebte die Musik zu jeder Tages- und Nachtzeit. Okay, er hatte gut geschlafen und wie jeden Morgen wollte er die LCC Radio 3 Frühaufdreher hören. Die Moderatoren im Studio waren zu Dritt hinter den Mikros. Eine Frau und zwei Männer. Alle Drei brachten News, seriöse und lustige Unterhaltung und Gags von 5 – 9 Uhr. Er bewunderte sie. Sie waren von Anfang an bestens gelaunt. Der eine Typ sprach im ausgeprägten Dialekt und gab seinen Sprüchen sinnvolle Lachpointen. Die hatten Niveau. Aber an diesem Morgen hatte das Radio gestreikt. Er lag auf dem Rücken, erreichte in dieser Körperlage nicht seinen Nachtschrank, also wollte er sich auf die rechte Seite drehen, um den Radiowecker selber einzuschalten. Aber irgendetwas hinderte ihn daran, sich zu drehen. Er musste nachdenken. Und das schon am frühen Morgen. Wie sonst auch, wenn er nachdenken musste, ging er über die Stirn und rümpfte dann seine Nase. Heute aber klappte das nicht, da John arge Probleme hatte, seine Stirn überhaupt zu berühren. Es war da etwas hartes, was seine Stirn berührte. Also musste er wohl oder übel seine Augen aufmachen. John erschrak, als er nicht das gewohnte Fenster sah, in das die Sonne jeden Morgen hereinschien. Er sah nicht seine Regalwand, in der er seine Rock and Blues CD `s liebevoll eingeordnet hatte. Er konnte nicht den Sternenhimmel an seiner Decke erkennen, den er mal vor Jahren da aufgemalt hatte. Stattdessen sah er in ein Gesicht, in ein fremdes Gesicht. Dieses Gesicht lächelte ihn an. Spätestens jetzt war John wach. Der Schrecken wurde größer, als er dieses Gesicht, ob lächelnd oder nicht, nirgendswo einordnen konnte. Es war ihm fremd, jetzt bekam er Angst. Und immer dann, wenn er Angst bekam, packte er sich an sein linkes Handgelenk, um den Puls zu prüfen. Das mit dem Puls haute auch nicht hin. Was war denn nun schon wieder? Er schaute auf seine rechte Hand und erblickte den Grund, warum er seinen Puls nicht fühlen konnte. Eben, weil seine rechte Hand verbunden war. Jetzt wurde ihm das alles zu viel. „Was ist hier los? Was passiert hier? Was habt ihr mit mir gemacht? Wer sind Sie überhaupt? Verdammt, wer sind Sie? Wo bin ich hier? Wo ist das Radio? Ich höre keine Musik? Hilfe!! Hallo. Hört mich denn keiner? Hilfe!“ John erkannte auch seine eigene Stimme nicht mehr. Diese Stimme war nicht seine. Jetzt hatte er das Gefühl, auszuflippen. „Hey, Hilfe, verdammt. Bitte helfen Sie mir“ Das für ihn fremde aber lächelnde Gesicht beugte sich über ihn, ihre Hände fassten sehr sorgsam seine Schultern an und mit einer mütterlich behutsamen Stimme sagte es: „Ruhig, ganz ruhig bleiben, Mr. Feelgood. Es passiert Ihnen nichts. Bleiben Sie ganz ruhig. schhhhh“ John fühlte ihre feminine Natur. Frauen hatten schon immer eine ganz besondere Ausstrahlung auf ihn gehabt. Für John hatte sich das Leben meistenteils mit und unter Frauen abgespielt. Aber erst viel später sollte es sich herausstellen, dass Frauen die Hauptrolle in seinem Leben spielen würden. Die Frau im Zimmer, die neben seinem Bett stand, wirkte auf ihn beruhigend. Ganz langsam sortierten sich seine Gedanken. Er schaute sich genauer seine rechte Hand an, dann seine Umgebung, dann beäugelte er diese Frau von oben bis unten und erkannte, dass sie eine Krankenschwester sein musste. Der Raum, in dem er lag, musste definitiv ein Krankenzimmer gewesen sein. Die helle, fast sterile Wand- und Deckenfarbe, der Geruch und das Bett neben ihm, in dem auch ein Mann lag, ließ nur diesen Schluss zu. John hatte sich etwas abgeregt, blickte die Schwester an: „Hi, wie komme ich hierher? Was ist mit mir passiert? Seien Sie bitte so nett und erzählen Sie es mir. Bitte erzählen Sie mir alles.“ fragte er Schwester Clarissa, die bereits im 1. Monat schwanger war. Sie hatte viele Jahre Erfahrung im Umgang mit Patienten, die schwerverletzt im Krankenhaus lagen und sie war sich der kranken Situation bewusst, in der Mr. Feelgood war. Er hatte unter anderem eine schwere Kopfverletzung erlitten, die ihm vorübergehend sein Kurzzeitgedächtnis lahm legte. So fragte er jeden Tag, nach dem Wecken und nach dem Mittagsschlaf, Schwester Clarissa nach den Gründen seines Krankenhausaufenthaltes. John lag seit 8 Wochen in der Sherwood County Universitätsklinik, wovon er die ersten 6 Wochen als beatmeter Patient auf einer Intensivstation verbrachte, dessen Überlebenschancen zu der Zeit gering waren. Er hatte es aber geschafft, er hatte den ersten Kampf gewonnen. Der Tod blinzelte ihm zu, John blinzelte zurück. Die Nebenwirkungen des Schädelhirntraumas aber waren ausgeprägter Natur. Nicht nur, dass er jeden Tag nach dem Wecken und nach dem Mittagsschlaf Schwester Clarissa dasselbe fragte, warum und wieso er im Krankenhaus lag, dazu kam eine ausgeprägte Logorrhoe. Unterhielt sich John, dann war er stets der perfekte Gesprächspartner in Form eines Monologes. Schwester Clarissa musste die letzten drei Wochen jeden Tag dasselbe erzählen, warum Mr. Feelgood auf Station lag. John wollte jeden Tag alles von neuem wissen. Schwester Clarissa hielt sich aber trotz seiner charmant gehaltenen Bitten an ihre Vorschriften und überließ dem Stationsarzt Dr. Redroof diese Auskunft. Bei der nächsten Visite würden die Diagnosen zur Sprache kommen. John indes schaute sich die Schwester genauer an. Wie sich eben ein Mann eine Frau genau anschaut. Er fing bei den Haaren an, die aus hygienischen Gründen streng zusammengebunden sein mussten. Er stellte sich gerade vor, wie diese Haarpracht wäre, hinge sie lang an ihren Schultern hinunter. Sie hatte dunkles Haar und die Phantasie von John verlieh diesem göttlichen Bild einen Windstoß.
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