Anna Lohg - Am Rande. Eine Bemerkung

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Üppig mit überflüssigen akademischen Abschlüssen dekoriert macht sich eine Aushilfe auf den Weg, den feinen Unterschied zu suchen. Wer maßt sich eigentlich an, den zu vergeben? Und überhaupt: Was soll das?
Die Suche führt zurück zu den Großeltern, hatten die sich doch zu Herrenmenschen erklären lassen. Deren Kinder riefen anschließend die Emanzipation aus, während die Gleichberechtigung bis heute nicht verwirklicht ist. Die nachfolgende Generation ließ sich dann über den Schulhof hetzen, den besten Noten hinterher. Kein Wunder, wenn die heute gebannt auf wirklich jedes Ranking starren. So geht es stets darum, irgendwen zum besseren Menschen zu küren – als ob es sowas gäbe. Und jene, die bei diesem Wettbewerb am Rande stehen, dürfen im günstigsten Fall die Drecksarbeit erledigen.
Und am Ende hat sich mal wieder eine Aushilfe um alles gekümmert: endlich ist der feine Unterschied gefunden, den keiner haben will.
Entlang von Heimat und Fremde, Armut und Reichtum, Gastarbeitern und Eliten ist dies eine wahre Geschichte – mit all ihren erbärmlichen Wendungen.

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Anna Lohg

Am Rande. Eine Bemerkung

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Inhaltsverzeichnis Titel Anna Lohg Am Rande Eine Bemerkung Dieses ebook wurde - фото 1

Inhaltsverzeichnis

Titel Anna Lohg Am Rande. Eine Bemerkung Dieses ebook wurde erstellt bei

Am Rande.

Eine Bemerkung.

II. Kapitel

III. Kapitel

IV. Kapitel

V. Kapitel

Impressum neobooks

Am Rande.

Am Rande. Eine Bemerkung.

2018

Alle Rechte vorbehalten

Anna Lohg

Inhaltsverzeichnis:

Am Rande.

Eine Bemerkung.

II. Kapitel

III. Kapitel

IV. Kapitel

V. Kapitel

"Sie sollten doch einen Rock anziehen.", lautet die Begrüßung.

"Willkommen im 21. Jahrhundert.", nuschele ich mehr zu mir selbst.

"Was?"

"Wir schreiben das 21. Jahrhundert.", sage ich laut und schaue ihn direkt an.

"Was tut das hier zur Sache?"

"Stimmt.", erwidere ich nachdenklich. "Eigentlich tut das gar nichts zur Sache. Das 21. Jahrhundert ist kosmisch betrachtet ein Witz und evolutionsgeschichtlich auch nicht der Rede wert."

"Was reden sie da?" Er verliert die Geduld, die er sowieso nicht hat.

"Ich meine, sie haben Recht.", wiederhole ich. "Das 21. Jahrhundert ist nichts weiter als eine willkürliche Zeiteinteilung ohne weitere Bedeutung. Ob sie von mir wollen, dass ich mir einen Rock anziehe oder auf dem Mars eine Sonde den Boden umpflügt, das steht in keinerlei Zusammenhang."

"Meine Güte!" Aus ihm spricht nunmehr pure Fassungslosigkeit. "Sie stellen sich an! Wer ihnen zuhört, könnte meinen, ich würde sie nötigen. Sie sollen zum arbeiten lediglich einen Rock anziehen, mehr verlange ich gar nicht!"

"Und wenn ich sie höflich darum bitten würde, einen Rock anzuziehen?"

"Werden sie hier nicht albern!"

Solcherlei Auseinandersetzungen sind mir inzwischen zum Klassiker geworden, sowas passiert mir andauernd. Sei es als Aushilfskellnerin, Tresenfachkraftassistentin oder Hostesschen überall die gleiche Chose. Angeblich seriöse Arbeitgeber, also nichts wo ich mein Hühnerbrüstchen an die frische Luft halten müsste, nee, aber unbedingt einen Rock anziehen. Ich kann Röcke nicht ausstehen und ich werde gewiss keine anziehen, bloß um zu beweisen, dass ich problemlos im stehen pissen kann. Aber es ist vollkommen gleichgültig was ich will, bei einem Einstellungsgespräch spielt das überhaupt gar keine Rolle. Und garantiert fällt irgendwann dieser eine auffordernde Satz.

"Dann kommen sie morgen in schwarzem Rock und weißer Bluse." Wahlweise in anderen Farben.

"Geht es auch in Hose?". Gewissenhaft stelle ich jedes Mal dieselbe Frage.

"Nein, das geht nicht.", heißt es dann. "Sie müssen im Rock erscheinen."

"Warum nicht in Hose?". Jedes Mal eine berechtigte Frage.

"Sie wollen sich doch nicht von den anderen abheben, oder?" Das soll ein Appell an meine Solidarität sein. "Sie ziehen einen Rock an, damit sie die gleiche Uniform tragen wie alle anderen."

"Wie?", tue ich überrascht. "Kommen die Jungs auch im Röckchen?" Das finden die meisten gar nicht komisch.

"Lassen sie den Unsinn." Als herrsche über die Definition von Unsinn absolute Einigkeit. "Frauen bedienen im Rock!" Das ist das Diktat, steht vermutlich schon so in der Bibel und sei daher unsinnsfrei.

"Das wird ihnen gar nicht gefallen." Normalerweise lasse ich mich auf solcherlei Auseinandersetzungen erst gar nicht ein, weil ich sowieso eine Hose anziehen werde, ich habe nämlich gar keinen Rock. Aber hin und wieder reize ich das Thema aus. "Wenn sie meine Beine sehen, werden sie sich wünschen, ich hätte eine Hose an."

"Wieso? Haben sie Warzen?" Fragen dieser Art changieren zwischen Mitleid und Ekel.

"Nein, Haare. Üppiges, langes, schwarzes Haar." Das ist gar nicht mal gelogen.

"Na, das hat doch eine einfache Lösung." Die Erleichterung über den Mangel an Warzen ist sichtlich, tröstlich weil es für seine ästhetischen Probleme eine leichte Abhilfe gäbe. "Dann rasieren sie sich die Beine. Das ist doch keine große Sache."

"Und was kommt als nächstes?", will ich dann wissen. "Haare färben, Nägel lackieren, Lippen röten, Rouge auftragen, Brauen zupfen, Wimpern tuschen, Schmuck anlegen, Duftwasser wechseln, Pupillen erweitern, Nase richten, Brust vergrößern, Hirn verkleinern?"

Weil das maßlos übertrieben sei, überlebe ich solche Einstellungsgespräche erst gar nicht. Nur wenn sich partout auf die Schnelle niemand sonst für die paar Tage Arbeit findet, bin ich eben das kleinste Übel und darf in Aushilfe machen. Allerliebst kriege ich noch mit auf den Weg, ich sei undankbar.

Undankbar über ein paar Tage in einem schlecht bezahlten Job als Aushilfe, für den ich mir ein Röckchen anziehen soll, um mir sodann unbedingt mein natürlich gewachsenes Beinkleid zu rasieren. Das scheint so normal, dass es niemandem auffällt, wie irre es eigentlich ist. Ganz abwegig wird es in grüngelb gestreifter Pluderhose mit bunten Girlanden behangen, um sich irgendeiner ungeheuer wichtigen und total niedlichen Corporate Identity zu fügen, damit das Betriebsklima nicht gestört werde, welches zweifellos sowieso schon gestört ist, wegen der total niedlichen Corporate Identity. Alles in allem ist das nicht sonderlich weit weg von Reifröcken und gepuderten Perücken. Allerdings würde ich mir unter Umständen für eine überbezahlte Festanstellung sogar die Nasenhaare zupfen, mich rasieren, frisieren, die Socken bügeln, die Schuhe polieren und mir eine Krawatte umbinden. Aber Knechte laufen grundsätzlich keine Gefahr, wegen hoher Bonuszahlungen um den Penis beneidet zu werden. Zumeist würde mir die gleichberechtigte Bezahlung oft genug schon ausreichen.

Aber Gleichberechtigung gibt es nur im Delirium, es bleibt der Wunsch einer Minderheit, während die Mehrheit denkt, diese sei längst verwirklicht. Zumindest habe ich das gedacht, bis ich da mit diesem Kollegen am Regal stehe. Da hantieren wir nebeneinander, Männchen und Weibchen, und machen beide die gleiche simple Arbeit. Zwei Aushilfen bei der Inventur in einem Lagerhaus, aber er kriegt mehr als ich, das sollte ich so nebenbei erfahren. Den Hals wollte ich mir gar nicht voll stopfen, das ist bei dem Lohn sowieso illusorisch, nee, ich wollte bloß wissen, was genau der Vorteil des Männlichen sei. Im Büro stelle ich meine Frage an die Lagerleitung, so ein schmieriger Typ, der mir unwillkürlich wie ein Wiederholungstäter vorkommt. Artig erkläre ich ihm, dass ich nicht mehr Geld wolle, nur Wissen. Denn Wissen sei die Macht, es beim nächsten Mal anders zu machen.

"Beim Einstellungsgespräch haben sie sich nicht gut verkauft.", offenbart mir dieser schmierige Quell des Wissens. Leider ist Wissenserwerb selten eine furchtbar einfache Sache, geht es doch meist darum, die verworrenen gedanklichen Elaborate von anderen zu verstehen. Und ich verstand überhaupt nicht, weshalb ich mich als Aushilfe hätte besser verkaufen sollen. "Frauen verkaufen sich immer unter Wert.", fährt er fort. "Sie sollten es machen wie ein Mann. Dick auftragen, vollmundig behaupten, sie könnten etwas sehr gut, auch wenn es nicht wahr ist. So machen es Männer, deswegen verdienen sie mehr als Frauen, weil sie mehr können." Tsss.

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