„Ach, und dazu gehört wohl auch, dass du deiner Frau ein Kind gemacht hast, was?“
Sie wusste genau, dass sie ihn damit treffen konnte.
„Dir macht es wohl offenbar riesigen Spaß, mir diesen Fehlschuss immer wieder unter die Nase zu reiben!“
Seine Stirn zeigte leichte, aber doch sichtbare Zornesfalten.
„Es gibt eben dumme Fehler, die nicht verzeihbar sind. Du bringst es noch fertig, und Yasmine wird wieder schwanger!“, konterte sie, doch sofort nach dieser kleinen Giftspritze trat sie auf ihn zu und streichelte ihm versöhnlich über die Wange.
„Du weißt es doch: Kinder schaden der Karriere, mein Lieber.“
Chris fasste ihre Hand, die immer noch an seiner Wange lag.
„Es ist nun mal so, wie es ist“, meinte er lakonisch. Barb Eichstätt löste sich energisch von ihm und meinte spöttisch: „Ach, der Herr ergibt sich in sein Schicksal.“
Chris Eichstätt, der den Familiennamen seiner Frau angenommen hatte, winkte mit der Hand ab und verließ ihr Atelier. Schon in der offenen Tür stehend, drehte er sich noch einmal zu ihr um und meinte resigniert: „Weißt du denn was Besseres?“
Die Frau des Unternehmers schaute ihm mit einem viel sagenden Lächeln hinterher.
Das Telefon läutete ununterbrochen; das Handy auf dem Schreibtisch vibrierte, doch das interessierte Viktor Eichstätt nicht im Geringsten. Er brauste mit dem Kinderwagen in seinem riesigen Büro hin und her und war geradezu verzückt von dem Gejauchze des Babys. Der Unternehmer hatte seine Umgebung völlig vergessen und auch als die Sekretärin es nach mehrmaligem Anklopfen wagte, die Tür ausnahmsweise ohne das gewohnte ‚Herein’ zu öffnen, musste sie sich erst lautstark bemerkbar machen, um zu sagen, dass ein wichtiger Kunde in der Leitung ‚hänge’.
„Lassen Sie ihn hängen, Frau Brodersen, lassen Sie ihn hängen! Sie sehen doch, dass ich gerade einen sehr wichtigen Besucher habe oder etwa nicht?!“ Augenzwinkernd machte er seiner Sekretärin deutlich, dass sie den Kunden vertrösten und ihn mit dem Enkel allein lassen sollte. Bärbel Brodersen war einiges gewohnt, aber sie wusste auch um den momentanen wirtschaftlichen Einbruch im Unternehmen und dachte dabei natürlich an ihren Job. Ihr musste also schon wieder eine triftige Ausrede dafür einfallen, dass der Chef sehr bald zurückrufen würde.
Kaum hatte sie das Büro ihres Bosses verlassen, den sie über alles schätzte und auf den sie nichts, aber auch gar nichts kommen ließ, da klopfte es an ihrer Tür zum Vorzimmer und gleich darauf trat Yasmine ein, beschwingt und offenbar gut gelaunt.
„Hallöchen, Bärbel, wie steht’s, wie geht’s? Hat mein Dad schon wieder die Erde erreicht oder schwebt er immer noch auf ‚Wolke Sieben’?“
„Ach hören Sie bloß auf, Yasmine! Wenn Ihr Vater sich so um seine Kunden kümmern würde wie um seinen Enkel, dann bräuchten wir uns alle weniger Sorgen zu machen.“
„Ist es denn wirklich so schlimm?“
Die Sorgen in der Stimme der Sekretärin waren nicht zu überhören.
„Wenn Sie wüssten, Yasmine, aber ich bin ja nur die kleine Angestellte, und was versteht die denn schon vom Geschäft, nicht wahr!?“
Yasmine war klar, auf wen sie anspielte, natürlich auf Chris, ihren Mann, der die kleinen Mitarbeiter gern übersah und sie oft spüren ließ, dass sie keine Meinung ungefragt zu äußern hätten. Die Tochter des Unternehmers zuckte mit den Schultern, so als wolle sie sagen: ‚Sie haben ja recht, aber was soll ich tun?’
Für einen kurzen Moment legte sie ihre Hand auf Bärbels Schulter und betrat ohne anzuklopfen das Heiligtum ihres Vaters. Der hatte seinen Enkel gerade aus dem Wagen genommen und ihn unter lautem Gekreische hoch geworfen und wieder aufgefangen.
„Wenn du ihn weiter so verwöhnst, dann kann aus Cyril-Amadeus ja gar nichts werden“, meinte Yasmine lächelnd. Sie sprach ihren Sohn immer komplett mit dem Doppelnamen an und ärgerte sich, wenn andere in ihrer Familie das nicht taten.
„Ach weißt du Yasmine, der Kleine ist mein Ein und Alles, und am liebsten würde ich ihn schon heute auf meinen Stuhl setzen. Du weißt doch, wenn zwei sich streiten…“
„Aber Papa, du kennst doch meine Meinung, wie ich zu der Übernahme der Geschäftsleitung stehe. Ich liebe Chris, aber als Chef deiner Brauerei, das kann ich mir im Augenblick bei ihm nun überhaupt nicht vorstellen.“
Das war ihre ehrliche Ansicht. Und auch gegenüber ihrem Mann machte sie keinen Hehl daraus. Natürlich wusste sie auch, wie er darüber dachte, und gelegentlich kam es deswegen auch zum Streit zwischen den beiden, manchmal recht heftig sogar.
„Am liebsten wäre es mir, wenn du…“
„Hör’ auf damit, Papa!“, unterbrach Yasmine ihren Vater mit strengem Blick. „Du weißt, ich möchte einen ganzen Sack voller Kinder, wenn auch durch Adoption und beides geht nicht!“
Ihr Vater schaute sie nachdenklich an, liebkoste seinen Enkel und legte ihn behutsam in den Kinderwagen zurück, doch das gefiel diesem gar nicht und er zeigte seinen Unmut mit lautem Gezeter.
„Vielleicht überlegst du dir das doch noch mal“, meinte er und sie hörte etwas Trauriges in seiner Stimme. „Oder ich warte, bis du soweit bist, nicht wahr, Cyril-Amadeus?!“
„Aber Paps, du hast doch einen Sohn, wenn ich dich daran erinnern darf. Trau’ ihm doch einfach was zu. Er hat ‚Biss’ und auch das Können, glaub’ mir.“
Sie trat dicht vor ihren Vater. Auch bei ihm musste sie sich auf die Zehenspitzen stellen, um ihm einen Kuss zu geben, schnappte sich den Kinderwagen mit dem immer noch protestierenden Sohn und verließ eilig das Büro. Sie hörte nicht mehr die leise Stimme ihres Vaters, als er sich auf seinen Bürosessel fallen ließ: „Wenn ich nur wüsste, wie ich sie überzeugen könnte.“
Er tat das, was er immer machte, wenn er nichts zu tun hatte: Kreuzworträtsel lösen. Gleich hatte er es geschafft. Mit einem kleinen Quäntchen Glück könnte diesmal ein DVD-Player als Gewinn herausspringen. Der arbeitslose Elektriker zuckte mit den Schultern.
„Wann hatte ich zum letzten Mal im Leben Glück gehabt?“, murmelte er vor sich hin, steckte den Lösungsbogen in einen Briefumschlag und verschloss ihn sorgfältig.
Der Mann schaute sich in seiner 30 qm kleinen, bescheidenen Mansardenbude in Flensburg-Harrislee um. Sein Blick war traurig. Was war nur aus ihm geworden. Vor knapp elf Jahren hatte er so ziemlich alles verloren, was Lebensqualität bedeutet, seine Arbeit, seine Frau und auch seine Kinder, die er nach der Scheidung nie wieder gesehen hatte. Es war seiner Ex-Frau gelungen, ihn in den Augen seiner beiden Mädchen als einen brutalen Schläger hinzustellen, der es nicht verdient hatte, Vater genannt zu werden. Anfangs hatte er aufbegehren wollen und bitterböse Briefe geschrieben sowie gerichtlichen Beistand gesucht und nicht erhalten. „Das Gericht kann Ihnen kein anteiliges Sorgerecht zusprechen“, hatte damals die Richterin gemeint. „Schließlich haben Sie Ihre Frau krankenhausreif geschlagen und sind ohne Arbeit“, war ihre beißende Begründung gewesen. So etwas konnte auch nur eine Frau sagen. Seine mehrfachen Befangenheitsanträge gegen diese Richterin waren natürlich abgeschmettert worden. Und in der Zeit danach, da war es nur noch bergab gegangen mit ihm. So richtig in Arbeit gekommen war er nicht mehr; immer mal wieder Gelegenheitsjobs, aber nie etwas Festes.
Ehrlicherweise musste er sich eingestehen, den Verlust seiner letzten Arbeitsstelle selbst verschuldet zu haben. Aber das war ja nicht aus irgendeiner Laune heraus geschehen. Diese arroganten Herren in der Chefetage, die waren mit ihm mehr als mies umgegangen. Gelegentlich klopfte er sich noch heute stolz auf die Schulter, wenn er daran dachte, was er alles daran gesetzt hatte, diese lausigen Typen von der Geschäftsleitung in der Zeit nach seinem Weggang aus der Fassung zu bringen. Rache war sein Motiv. Gewiss, ein primitiver Beweggrund, aber seine Aktionen hatten Wirkung gezeigt. Er war sich nicht zu schade gewesen zu schnüffeln und dabei herauszufinden, dass der Sohn des Unternehmers schwul war und seine sexuelle Befriedigung in entsprechenden Kreisen suchte. Seine Erpressungen brachten ihm zumindest eine kleine Aufbesserung seiner Stütze. Sein Gefühl, nicht zu hohe Schweigesummen zu kassieren, war richtig gewesen, denn es wurden ohne größeres Murren mal 2000, mal 1500 Mark und nach der Währungsumstellung gelegentlich auch 1500 € gezahlt, immer wieder an ein und derselben Stelle im Kaufhaus in der Fußgängerzone in Flensburg.
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