Johanne Jakobian
Bedrohte Autorinnen
Schriftstellerinnenporträts
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Inhaltsverzeichnis
Titel Johanne Jakobian Bedrohte Autorinnen Schriftstellerinnenporträts Dieses ebook wurde erstellt bei
Vorwort Vorwort Dieses Buch stellt Autorinnen vor, deren Namen mehr oder weniger geläufig sind, von deren Werk aber auch bei kundigen Lesern keine Vorstellung lebt. Ich nannte sie Bedrohte Autorinnen : Noch kann die Erinnerung an sie und ihr Werk verschwinden wie eine aussterbende Pflanze. Seit 2009 schrieb ich monatlich für Amelia , den Newsletter der Autorinnenvereinigung e. V., Artikel über dieses Thema. 23 Folgen informierten über jeweils eine Autorin, die im Erscheinungsmonat geboren wurde oder gestorben war. Jede zweite Bedrohte Autorin war Kind des 19. Jahrhunderts. Mit Ingeborg Bachmann und Karin Struck erreichen wir fast die Gegenwart, mit Sappho tauchen wir in die Antike. Die Auswahl ist subjektiv und wendet sich ausdrücklich an Frauen, die selber schreiben. Es ging mir darum, so knapp wie möglich Leben und Werk zu charakterisieren und Lust am Lesen und Entdecken zu erregen. Meistens demonstriert ein Textbeispiel typische Stilmerkmale. Abschließend nenne ich ein Werk, das sich als Lese-Einstieg eignet. Die elektronische Publikation bringt die Bedrohten Autorinnen in alphabetische Reihenfolge. 21 wurden von mir, zwei von Sylvia Tornau porträtiert. Stefanie Jerz hat die Veröffentlichung vorbereitet und durch ihre Recherche-Arbeit auf den neuesten Stand gebracht. Jeder, der weiterlesen möchte, wird ihr dankbar sein. Mein persönlicher Dank gilt darüber hinaus J. Monika Walther und Elisabeth Roters-Ullrich. Sie haben mein Vorhaben mit ihrer Anerkennung begleitet und auch die Publikation angeregt. Mehrmals ermutigten sie mich, die Artikelserie fortzusetzen. Ich konnte mich nicht dazu entschließen, denn je mehr Bedrohte Autorinnen ich kennenlernte, umso trauriger machten sie mich. Berlin, im August 2013 Johanne Jakobian
Ingeborg Bachmann Ingeborg Bachmann 1926 bis 1973 in Österreich, Italien, Deutschland und der Schweiz "Bachmann?", fragte eine junge Kollegin 2007 in Rheinsberg, "Ist das nicht Trivialliteratur?" Für mich war diese Frage ein Schock. Ich verehre Bachmann seit meiner Jugend, ununterbrochen und immer wieder neu. Später las ich eine Rezension des Bachmann-Celan-Briefwechsels, die Celan als Dichter pries und Bachmann mit Adjektiven wie "gefällig" sowie "seinerzeit viel gelesen" kennzeichnete. Auch die Wikipedia-Biografie ist ein Witz, der sich über Liebhaber und Krankheiten auslabert und so gut wie nichts über das Werk verrät. Seit ich sie las, zweifle ich nicht mehr daran, dass Bachmann eine Bedrohte Autorin ist. Ingeborg Bachmann, promovierte Philosophin, schrieb Hörspiele, Erzählungen, Romane und vor allem Lyrik. Um ihr Werk vorzustellen, sind zwei Zeilen zu wenig, klar. Es ist aber möglich, einen Grundakkord anzuschlagen, zum Beispiel diesen: Was wahr ist, streut nicht Sand in deine Augen, was wahr ist, bitten Schlaf und Tod dir ab. Bachmann behandelt die großen Themen Liebe und Tod, Natur und Einsamkeit. Wer ihre Sprache pathetisch nennt, mag Recht haben, denn pathos heißt primär Leiden, dann auch Leidenschaft. Wer aber in ihren Gedichten Modisches und Gefälliges sieht, hat keine Augen im Kopf. Sie geht ihre Themendirekt an und bannt sie durch nie gesehene, unverbrauchte, unvergessliche Bilder. Liebe Kolleginnen: Bachmann ist die größte deutsche Lyrikerin seit der Droste. Lasst sie euch nicht klein reden. Als Einstieg empfohlen: Alles was ihr bekommen könnt. Zur weiteren Recherche hier
Djuna Barnes Djuna Barnes 1892 bis 1982 in den USA und in Frankreich Ich sehne mich danach, mich der Länge nach auszustrecken auf einer Couch und die Männer im Flur stöhnen zu hören, weil ich unpässlich bin. Ah, wie charmant! Ich lechze danach, mich der Kunst hinzugeben. Ich fühle mit meinem natürlichen, unverbildeten Instinkt, dass ich irgendeiner neuen Bewegung viel bedeuten könnte, vorausgesetzt, ich könnte mich ihr anschließen, ehe sie schon zu viel bewegt hat. Außerdem wünsche ich mir, ich hätte eine übersinnliche Wahrnehmungsgabe. Wer beim Lesen nicht allein lächeln musste, sondern auch die Frau zu sehen meint, der solche Worte in den Mund gelegt wurden, sollte Barnes kennenlernen. Die berühmteste Unbekannte der Literatur im 20. Jahrhunder t wird zwar in einem Atemzug mit Joyce, Hemingway, Eliot und anderen Pariser Amerikanern der 20er Jahre genannt, aber meist auf ihre Partner beiderlei Geschlechts reduziert. Die feministische Literaturwissenschaft stellte stattdessen Barnes' Familiengeschichte in den Vordergrund, deren schaurige Verstrickungen ans antike Drama erinnern. In beiden Fällen erfährt man wenig von der Autorin, umso mehr von ihrer Biografie. Warum sollen wir Barnes lesen? Ihr Thema ist: Was Familie bedeutet, was Liebende einander antun. Daran hat sie sich jahrzehntelang abgearbeitet. Einen Nebenstrang bildet die Gesellschaftssatire (s. o.). Da ist Barnes' Sprache voll unverbrauchter Bilder (und meisterhaft übersetzt). Ihre Figuren hinterlassen Widerhaken. Sie ist witzig, sie ist brillant, eine Meisterin skurrilen Humors. Als wichtigstes Werk gilt ihr Roman Nightwood , deutsch: Nachtgewächs , dessen Entstehen T. S. Eliot begleitet und gefördert hat. Als Einstieg empfohlen: Aller et retour , in Nichts ist so wie es scheint , Fischer 1993. Über 10 Seiten und wenige Tage versucht eine vitale Mutter, die 17-jährige Tochter vor einem leblos-konventionellen Dasein zu bewahren. Frustriert reist sie ab. Ihr Resultat: "Herrje, wie überflüssig". Zur weiteren Recherche hier
Vicki Baum Vicki Baum 1888 bis 1960 in Österreich, Deutschland und den USA Menschen im Hotel , wer kennt sie nicht, die Muster-Schmonzette, die wir - Hand aufs Herz - alle verschlungen haben? Baums Autobiografie Es war alles ganz anders ist vielleicht nicht wortwörtlich zu nehmen. Sie zeichnet aber ein lebendiges Bild von liebloser Kindheit und jüdischem Bürgertum in Wien. Wie ihre Zeitgenossin Colette lernte Baum, von Beruf Harfenistin, in der Ehe mit einem Journalisten, für Geld zu schreiben. Der große Erfolg kam nach dem Ersten Weltkrieg. Baums Romane enthielten genau die Inhalte, die einem großen Publikum an "Modernem" zumutbar waren. Sie wurde zur erfolgreichsten Berliner Autorin der 20-er Jahre. Um die Bühnenversion von Menschen im Hotel , den bekanntesten ihrer 32 Romane, zum Hollywood-Drehbuch umzuschreiben, ging Baum 1931 in die USA. Das Dritte Reich machte daraus ein lebenslanges Exil. Warum sollten wir Baum lesen? Ich weiß, was ich wert bin; ich bin eine erstklassige Schriftstellerin zweiter Güte , sagt sie über sich. Ihre Inhalte sind zeitgebunden, was sonst. Von ihrer Technik und den virtuosen Plots können wir nur lernen. Als Einstieg empfohlen: Jape im Warenhaus , in Der Weihnachtskarpfen. Erzählungen , Kiepenheuer & Witsch 1993. Rolf Hochhuth nahm diese Erzählung in den 50er-Jahren in seine Anthologie Die großen meister. Die deutschen Erzähler des 20. Jahrhunderts auf. Zur weiteren Recherche hier
Tania Blixen Tania Blixen 1885 bis 1962 in Dänemark und Kenia Der Film Jenseits von Afrika hat den Namen Tania Blixen bekannter gemacht als ihr gleichnamiges, erstes Buch. Es entstand in Kenia, wo Blixen mit ihrem Mann, später mit einem Bruder, 17 Jahre als Kaffeefarmerin lebte. Geldmangel zwang sie zur Rückkehr in den wenig heimatlichen Schoß der Familie. In Blixens Erstling findet sich bereits der Satz: Das Gras war ich, die fernen unsichtbaren Berge waren ich, ich strich mit dem sanften Nachtwind durchs Dorngeäst. Wer über solche Sätze nachdenkt, kommt nicht um die Worte Zauber und Rätsel herum. Bei Blixen wird Überkommenes ungültig, das Ich sich fremd. Es entdeckt sich in der Entgrenzung, die immer auch Flucht ist und nicht in eine andere, "wirkliche" Wirklichkeit führt. Es passt zu Tania Blixen, dass sie eigentlich Karen hieß und in der angelsächsischen Welt als Isak Dinesen bekannt ist. Als Einstieg empfohlen: Alkmene , in: Wintergeschichten , btb 2013. In dieser Erzählung wird ein Kind von der sehnsüchtigen Elternliebe sozusagen aufgefressen. Wer das zu düster findet, liest Babettes Fest , in: Babettes Fest und andere Erzählungen , DVA 2006: Lose zusammenlaufende Handlungsfäden werden zum Glücksknoten für eine Nacht. Zur weiteren Recherche hier
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