Wie auf glühenden Kohlen stand sie vor der Ampel, die einfach nicht auf Grün umspringen wollte. Der dichte Feierabendverkehr machte es ihr unmöglich, einfach die Straße zu überqueren, um das Schlimmste zu verhindern.
Innerlich stöhnte sie auf! Ausgerechnet heute passierte ihr dieses Missgeschick, wo ihr Freund Alex von einer zweiwöchigen Geschäftsreise wieder zurückkam.
Natürlich hatte sie heute auch nicht pünktlich Feierabend machen können, denn sämtliche Computer hatten sich zu einem Absturz verabredet. Bevor sie dann schließlich im nächsten Supermarkt einkaufen konnte, musste sie mehrere Ehrenrunden auf der Suche nach einem Parkplatz drehen – und fand trotzdem keinen.Kurzerhand parkte Laura im absoluten Halteverbot und sandte ein Stoßgebet zum Himmel mit der Bitte, dass alle Polizisten und Politessen dieses Bezirks gerade eine Kaffeepause machten.
Kaum war sie im Supermarkt, verkündete eine freundliche, weibliche Stimme durch die Lautsprecheranlage, dass in zehn Minuten Ladenschluss sei.
Im Eiltempo raffte sie ihren Einkauf zusammen. Und jetzt, nach all dieser Hektik, auch das noch! Endlich sprang diese saudämliche Ampel auf Grün.
Laura hastete los, stolperte und stürzte unsanft auf den Zebrastreifen. Die Henkel der Einkaufstüte rissen. Eier und Milchtüte samt dem Becher Creme fraîche klatschten auf die Straße. Tomaten und Äpfel kullerten über die Fahrbahn.
Ein mörderischer Schmerz ließ schwarze Pünktchen vor ihren Augen tanzen. Ihr rechtes Knie und ihre Handflächen brannten höllisch.
„Darf ich Ihnen behilflich sein?“
Wie durch Watte vernahm sie eine Männerstimme. Sie spürte, wie sie von zwei muskulösen Armen behutsam hochgezogen wurde.
„Können Sie gehen?“, wurde sie gefragt.
Erst jetzt war sie fähig, in das besorgte Gesicht des freundlichen Helfers zu blicken. Stahlblaue Augen, eingebettet in Lachfältchen, sahen sie an. Sein lockiges, braunes Haar verlieh ihm etwas Jungenhaftes. Die gesunde Bräune seines Gesichts verriet, dass er sich viel im Freien aufhielt.
„Danke“, murmelte sie. „Es wird schon gehen!“
Kaum setzte sie einen Fuß vor den anderen, taumelte sie auf die Seite und knickte um. Kurz entschlossen hob er sie hoch und trug sie über den Zebrastreifen. Ihr Kopf ruhte an seiner Brust. Der aromatische Duft eines würzigen Aftershaves verbunden mit dem Geruch von Leder wirkte so beruhigend auf sie. Sanft stellte er sie auf den Boden. Dann bückte er sich und besah sich ihr blutendes Knie genauer.
„Das sieht ja schlimm aus!“, murmelte er. „Wissen Sie was, ich habe gerade Feierabend. Ich fahre Sie schnell zur Unfallambulanz!“
Laura hatte sich mittlerweile einigermaßen wieder gefasst. Störrisch schüttelte sie den Kopf.
„Ich... ich muss nach Hause!“, widersprach sie heftiger, als sie wollte.
Dieser hilfreiche Unbekannte verwirrte sie – mehr noch, er brachte ihr Herz zum Klopfen! Das durfte nicht sein! Schließlich hatte sie einen Freund! Alex! Gewiss wartete er schon ungeduldig auf sie.
Gezielt wich sie seinem Blick aus und stammelte: „Würden Sie mir bitte ein Taxi rufen?“
„Möchten Sie ein bestimmtes Taxi?“, fragte er. Bedauern lag in seiner Stimme.
Hilflos zuckte sie mit den Schultern.
Lächelnd strich er ihr eine widerspenstige Strähne aus der Stirn.
„Ich mache Ihnen einen Vorschlag! Ich fahre Sie nach Hause!“
Als er ihre Abwehr gewahrte, hob er beschwichtigend die
Hände und erklärte: „Ich versichere Ihnen, ich bin ein ganz harmloser und manchmal hilfsbereiter Mensch! Übrigens, ich heiße Rolf Schneider! Wie Sie unschwer an meiner Uniform erkennen können, bin ich Polizist!“
Irritiert sah sie zu ihm hoch. Erst jetzt fiel ihr auf, dass er Uniform trug. Unbändige Wut kroch in ihr hoch! Ein Polizist also! Wahrscheinlich hatte sie es ihm zu verdanken, dass ihr Auto abgeschleppt wurde! Das bedeutete Scherereien ohne Ende und bestimmt eine dicke und saftige Geldstrafe dazu. Und Alex erst! Unpünktlichkeit wirkte auf ihn wie ein feuerrotes Tuch auf einen Stier.
„Ein Taxi ist mir lieber“, fauchte sie, ließ ihn abrupt stehen und hinkte weiter.
Rolf Schneider war über ihre heftige Reaktion überrascht und eilte der Humpelnden nach.
„Ich zeige Ihnen meinen Dienstausweis, wenn Sie mir nicht...“
„Lassen Sie mich bloß in Ruhe!“, unterbrach sie ihn unwirsch.
Sein verständnisloser Blick brachte Laura noch mehr in Rage und die Vorwürfe purzelten nur so aus ihrem schönen Mund: „Wahrscheinlich waren Sie das, der mein Auto hat abschleppen lassen!“
„Ihr... Ihr Auto?“, stammelte er verwirrt.
„Jawohl! Mein Auto!“, wetterte Laura böse und stocherte bei jedem Wort mit dem Zeigefinger auf seine Brust.
„Nun geben Sie‘ s schon zu, dass Sie meinen knallgelben, schnuckeligen Panda, der da drüben stand, auf Ihrem Gewissen haben, oder?“
Rolf Schneider schluckte, kratzte sich am Kinn und nickte verlegen.
Laura kochte. Das war ja noch schöner! Jetzt gab es dieser Kerl auch noch zu.
„Aber wenn Sie nun mal im absoluten Halteverbot parken, dann müssen Sie damit rechnen!“, verteidigte er sich lahm.
„Haben Sie eine Ahnung“, schleuderte Laura ihm ins Gesicht. „An jeder Stelle, die einigermaßen die Größe eines Parkplatzes hat, stellt das Ordnungsamt ein Verbotsschild auf! Ja was glauben Sie, wie verzweifelt ich war, als ich mich ins absolute Halteverbot stellte? Und wenn ich heute Abend mit meinem Freund noch Zoff kriege, dann habe ich das allein Ihnen zu verdanken!“
Von ihrem Wutausbruch völlig benommen, starrte er ihr nach. Wie ihre Augen blitzten, wenn sie böse war - und ihr Gesicht erst: von Zorn gerötet, leicht verschmutzt – einfach hinreißend!
Tja, alter Junge, seufzte er, diese Tour hast du dir wohl gründlich versaut. Bedauernd stemmte er die Arme in die Seite.
Auf der anderen Seite des Zebrastreifens lag eine zerrissene Einkaufstüte. Aus ihr lugten ein Salatkopf und der Zipfel einer Gurke. Der Rest des Inhalts lag mittlerweile zermatscht auf der Fahrbahn.
Nachdenklich zog er seinen Notizblock aus seiner Tasche. Rolf verspürte den unerklärlichen Drang, alles rückgängig machen zu müssen! Aber wie? Er konnte doch unmöglich bei seinen Kollegen anrufen und sagen: „Leute, könntet ihr mal ein Auge zudrücken?“
Nein! Ausgeschlossen! Schließlich war er Polizist!
Er drückte eine Kurzwahl in sein Handy und sagte: „Hallo, Pit! Ich habe eine Bitte an dich! Kannst du mir Name und Adresse geben? Das amtliche Kennzeichen...“
Laura hockte wie auf Kohlen auf dem Rücksitz des Taxis. Mit Puderdose und Taschentuch versuchte sie die Spuren ihres Sturzes zu beseitigen.
„Können Sie nicht schneller fahren?“, nörgelte sie.
Der Taxifahrer sah gelangweilt in den Rückspiegel.
„Mehr als fünfzig darf ich hier nicht!“, erklärte er geduldig. Solche Fahrgäste hatte er gerne, die ihn dazu überreden wollten, die Geschwindigkeit zu überschreiten.
Laura kam es endlos lange vor, bevor sie in die Straße einbogen, in der sie wohnte. Ihr Herz klopfte bis zum Hals hoch, als sie Alex erkannte, der vor ihrer Eingangstür stand.
O Gott, schoss es ihr durch den Kopf, ich habe noch nicht einmal aufgeräumt. Meine Einkäufe sind auch futsch. Rasch bezahlte sie das Taxi.
Gerade als sie ausstieg, kam Alex auf sie zu. Spöttisch musterte er sie von oben bis unten. Eine missmutige Falte grub sich in seine Stirn.
„Entschuldige“, stammelte sie atemlos, „dass ich zu spät komme, aber heute ist alles schief gelaufen, und dann hatte ich noch...“
„Dann will ich dich nicht länger stören!“, fiel er ihr eisig ins Wort. Grußlos ging er an ihr vorbei, setzte sich in seinen Wagen und fuhr davon.
Laura schluckte. Mit leerem Blick sah sie Alex Wagen hinterher. Auf einmal fühlte sie sich wie erleichtert. Jedes Mal, wenn sie mit ihm zusammen war, hatte sie das Gefühl, dass sie ständig etwas falsch machte.
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