»Und? Was sagst du?« Ihre hoffnungsvollen, großen Augen blicken mich fragend an. Ich habe keine andere Wahl, als etwas Positives über meine Verwandlung zu sagen.
»Schön!« Hoffentlich bemerkt sie nicht den ironischen Unterton, der meiner Meinung nach kaum zu überhören ist. »So anders. Hast du wirklich gut gemacht!« Abgesehen von der Schminke und den hohen Schuhen ist es eigentlich ganz in Ordnung. Sie hatte für mich ein cremefarbenes Etuikleid ausgesucht, über dem ich noch eine passende Jacke trage. Meine Haare sehen eigentlich aus wie immer, nur noch etwas voluminöser und glänzender. Alles in allem, doch nicht so übel. Ich muss mich wahrscheinlich einfach erstmal daran gewöhnen.
»Gefällt es dir wirklich? Ich finde es klasse. Es holt irgendwie das Beste aus deinem Typ heraus!« Sie scheint nichts von meiner leichten Abneigung gegenüber meines neuen Aussehens bemerkt zu haben.
»Können wir jetzt bitte los? Es ist schon nach elf und ich würde gerne noch so viel sehen heute.« Erst jetzt fällt mir auf, dass wir über zwei Stunden mit dieser vollkommen überflüssigen Prozedur verbummelt haben. Ich könnte jetzt schon dreimal auf dem Eiffelturm gewesen sein.
»Ja, wir machen uns jetzt auf den Weg. Immer mit der Ruhe! Paris läuft uns bestimmt nicht weg!« Wir finden schnell unsere passenden Handtaschen in Marguerites Kleiderschrank und machen uns auf den Weg nach unten. Als wir in der großen, mit Marmor übersäten Eingangshalle stehen, ruft Marguerite laut einen Namen. »Eleazar!« Ich zucke zusammen. Ein großer, stattlicher Mann in einem schwarzen Anzug tritt aus dem Salon zu uns. Ich habe ihn schon einmal gesehen, als er Onkel Pierre und mich vom Bahnhof abgeholt hat. Erst jetzt fällt mir auf, wie gut er aussieht und dass er sehr muskulös unter seinem Anzug zu sein scheint.
»Nous tenons à manger pour le déjeuner à La Coupole!« Langsam versuche ich in meinem Kopf ihre Worte zu übersetzen, aber ihr Akzent ist wirklich grauenhaft. Warte mal! Essen gehen? Jetzt?
»Marguerite! Wir wollten doch zum Eiffelturm? Außerdem habe ich überhaupt keinen Hunger.« Die rücksichtsvolle Marguerite von eben scheint verschwunden. Werden wir hier denn jemals das machen, was ich möchte?
»Man kann nicht so ein riesiges Bauwerk besteigen, ohne vorher etwas Anständiges gegessen zu haben. Aber vor allem muss ich dir zuerst unsere Kultur und das Wesen von Paris zeigen, du kleines Dummerchen!« Sie tippt mir mit dem Zeigefinger zweimal an die Stirn, wie eine Mutter, die ihr Kind zu tadeln versucht.
»Allez-y! Wir wollen doch keine Zeit verlieren.« Eleazar eilt zur Tür und geleitet uns nach draußen. Es ist wirklich ein herrlicher Tag, schon beinahe zu warm für meine Jacke. Ich frage mich nur, wie ich den ganzen Tag auf diesen Absätzen überstehen soll. Eleazar verabschiedet sich für einen Moment, um den Wagen vorzufahren.
»Glaub mir Emilia! Das „La Coupole“ wird dir gefallen. Du musst unbedingt die Sauce Bernaisse probieren! Danach willst du nichts anderes mehr essen.« Ein Glück! Eleazar kommt mit dem Wagen vorgefahren. Ihr Geplapper kann wirklich unerträglich sein. Aber eigentlich meint sie es ja nur gut. Ich muss endlich aufhören ihr gegenüber so skeptisch zu sein und mich ein bisschen locker machen.
Nach einer kurzen Autofahrt sind wir am „La Coupole“ angekommen. Ich hatte vorher schon einmal von diesem Restaurant gelesen und weiß, dass es hier nur die edelsten Speisen gibt, die aber auch edle Preise haben. Meine Eltern hatten mir genug Geld mitgegeben, um für vier Monate gut auszukommen, aber wenn ich mit Marguerites Lebensstandard mithalten wolle, wäre ich nach einer Woche blank. Für heute, kann ich jedoch eine Ausnahme machen. Ich hoffe, sie versteht, dass ich mir in Zukunft solche luxuriösen Späße nicht erlauben kann.
Vor dem Restaurant ist eine Art Terrasse, auf der einige Tische stehen, die durch einen schwarzen Eisenzaun und verschiedene Pflanzen, von der Straße abgegrenzt sind. Es sieht sehr gemütlich aus und wir setzen uns an einen der schönsten Tische. Zwei Vorspeisen und eine Karaffe mit lieblichen Weißwein werden uns serviert. Ich probiere von allem ein wenig, da ich eigentlich vom Frühstück noch pappsatt bin. Marguerite isst noch weniger als ich, insgesamt wahrscheinlich nur drei Bisse. Sie beschränkt sich mehr auf den Wein und auf die jungen Männer einige Tische weiter, die uns unentwegt anstarren. Bei dem Gefühl so beobachtet zu werden, fühle ich mich sichtlich unwohl.
»Jetzt zapple doch nicht so rum!« Marguerite spielt mal wieder Mutti und tadelt mich jetzt nun schon zum wiederholten Mal. »Sie schauen uns an.« Mit ihrer Hand macht sie eine leichte Bewegung in Richtung der drei Herren.
»Ist mir gar nicht aufgefallen.« Mein nervöser Blick wandert abwechselnd von meinen Händen zu Marguerite und zu meinem Glas Wein. Nur zu den Männern kann ich nicht schauen. Da ich mit solchen Situationen nicht viel Erfahrung habe, weiß ich auch nicht, wie man sich verhält. Außerdem sind meine Gedanken nur bei Bastian. Bei ihm war ich seltsamer Weise nur zu Beginn nervös und angespannt. Mit einem Mal bemerke ich wie Marguerite einem der Männer zunickt und er sich daraufhin von seinem Stuhl erhebt. Mit schnellen Schritten kommt er auf uns zu und richtet währenddessen sein Jackett.
»Marguerite, was soll das? Du kennst den Mann doch gar nicht!« Ich blicke sie entsetzt an.
»Diese Tatsache wird sich gleich ändern.« Sie grinst hämisch und richtet ihren Blick auf den gut aussehenden Mann, der mittlerweile unseren Tisch erreicht hat.
»Bon jour, Madames!« Oh, seine Stimme klingt verführerisch . Ich hoffe Marguerite weiß, was sie tut. »Bon jour!« Marguerite fixiert ihn mit einem ebenso verführerischen Blick und sie fangen an, sich auf Französisch zu halten. Zuerst versuche ich ihnen zu folgen, aber ihr Akzent und sein Blick, machen mir eine Übersetzung unmöglich. Ich schaue zu den anderen zwei Männern, die sich über ihren Freund und seine neue Eroberung zu amüsieren scheinen. Ich kann mir schon vorstellen was für eine Art Männer sie sind. Vermutlich ziehen sie jeden Abend durch verschiedene Bars, um Frauen dazu zu bringen sich mit ihnen einzulassen. Ich fühle mich ein wenig angewidert und blicke zur Straße, in der Hoffnung dort etwas angenehmeres zu entdecken. Sofort fällt mir ein kleines Mädchen mit ihrer Mutter auf, die die Schaufenster auf der gegenüberliegenden Straßenseite bestaunen. Das Mädchen hat einen kleinen weißen Malteserhund, der voller Freude auf und ab springt. Ich beobachte sie einige Minuten und erinnere mich an meine Kindheit zurück. Auch ich trug öfters feine Spitzenkleider, wie das Mädchen dort und hatte auch einen Hund. Er war ebenso fröhlich, wie der kleine Malteser dort. Auf einmal erregt etwas anderes meine Aufmerksamkeit oder besser gesagt jemand. Nur wenige Meter von dem Mädchen entfernt, steht ein junger Mann, der sich mit einem anderen unterhält. Ich sehe sein Gesicht nicht, aber seine Kleidung ist dieselbe, wie Bastians. Der Mann hat ebenfalls kurzes braunes Haar. Kann er es sein? Ich versuche sein Gesicht zu sehen, doch er dreht sich einfach nicht um. Ich richte mich immer weiter auf, um eine bessere Sicht zu haben. Ehe ich mich versehe überkommt es mich und ich schnelle mit einem lauten Geräusch in die Höhe. Ich rufe so laut wie ich kann seinen Namen. »Bastian!«
Durch meine ruckartige Bewegung reiße ich beinahe den Tisch um. Marguerite wirft mir einen vernichtenden Blick zu, der mich aber nicht in meinem Vorhaben beirrt. Die Kellner um uns herum sind wie erstarrt und zugleich schockiert über mein Verhalten. Womöglich sind die Gäste sonst nicht so emotional. Mit schnellen Schritten haste ich aus dem Lokal in Richtung Straße. Einige Autos kommen von links, wie ebenso von rechts gefahren. Ich nehme all meinen Mut zusammen und laufe auf die Straße. Die Reifen der Autos fangen an zu quietschen und noch ehe ich die Straße überqueren kann, kommen sie zum stehen. Der Mann aus dem dunklen Wagen ruft mir einige sehr schlimme, französische Wörter zu, von denen ich glücklicherweise nur die Hälfte verstehe. Mein Blick liegt jetzt wie gebannt auf Bastian. Zwei Meter vor ihm, komme ich zum stehen. Noch bevor ich ihn ansprechen kann, dreht er sich um und blickt mich mit seinen großen blauen Augen an »Je les connais?«
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