„Nein. Du weißt doch, dass man hier niemanden zwingen kann. Was sollte die Strafe sein? Zurück auf die Erde? Damit würde ich denen doch einen Gefallen tun. Sie müssen das selbst wollen und ernst nehmen. Anders geht es nicht. Das Gute ist, dass früher oder später jeder Azubi seinen Aha-Effekt bekommt. Nur die ersten Jahre sind eben schwierig. Doch der Boss will, dass die Kleinen von Anfang an in der Praxis dabei sind. Manchmal denke ich, dem ist langweilig, und er hat seinen Spaß an den Missgeschicken anderer.“
Ein lauter Donner ertönt.
„Ja!“, ruft Arnie, „Ist ja gut! Aber du weißt es selbst.“
Arnie schert sich einen Dreck um den Boss. Die beiden sind schon so oft aneinandergeraten. Doch wie das so ist hier bei uns - niemand ist nachtragend. Man hört sich gegenseitig zu und versucht, den anderen zu verstehen. Der Boss weiß, dass Arnie Recht hat, und Arnie weiß, dass der Boss Recht hat, wenn es darum geht, die Anfänger ins kalte Wasser zu schubsen.
„Arnie, ich hab ein Problem.“, beginne ich.
„Es geht um deine Carolina?“
„Ja.“
„Es ist ein Jammer. Das war wirklich eine gute Arbeit damals. Die Dosis hätte bis an ihr Lebensende gereicht.“ Arnie kratzt sich am Kinn. „Was es wahrscheinlich bei Carolina immer noch tut. Oder?“
„Richtig. Sie kommt nicht drüber weg. Sie verschließt sich, redet mit niemanden, geht nirgends hin. Außer in den Park, wenn sie weiß, dass niemand dort ist. Arnie, du musst etwas tun. Sie soll ja ihren Mike nicht vergessen. Aber sie sollte Liebe spüren.“
„Vielleicht hast du Recht, Daniel. Warte mal, ich schau mal in die Dienstpläne.“
Arnie beugt sich über seinen Schreibtisch und wühlt sich durch die losen Blätter. Nach einer Weile scheint er das richtige gefunden zu haben und studiert es gründlich. Ich wippe von einem Fuß auf den anderen und hoffe, er wird bald fertig. Ich bin ein ungeduldiger Schutzengel, müssen Sie wissen. Das ist nicht immer hilfreich. Doch ich kann es nicht ändern.
„Ja“, ruft Arnie, „da lässt sich was machen.“
„Cool!“
Eine Augenbraue hochziehend schaut er mich an. „Cool? Du bist zu oft auf der Erde, alter Junge.“
„Kann sein.“ Ich lächle ihn an. „Erzähl schon.“
„Tja. Also… Ich hab hier einen Neuen…“
„Nein! Keinen Neuen!“
„Lass mich doch erstmal ausreden!“
„Tschuldigung.“
„Also, sein Name ist Rick. Er ist seit drei Monaten bei uns. Hat bisher noch keinen Unterricht geschwänzt und ist sehr motiviert.“
„Hmm. Das hört sich ja eigentlich ganz gut an. Wo ist der Haken?“
„Was du immer denkst. Kein Haken.“
Wieso hält Arnie jetzt die Hände unter den Tisch? Kreuzt er etwa seine Finger?
„Lass mich kurz überlegen. Wie ist seine Erfolgsquote?“
„Hörst du zu? Rick ist seit drei Monaten hier. Die Trefferquote liegt bei einhundert Prozent, was jetzt nicht verwunderlich ist. Oder?“
„Da hast du auch wieder Recht.“ Einen Augenblick wäge ich ab. Was, wenn es schief geht? Kann es schlimmer kommen? Ich muss es einfach probieren.
„Okay. Der Deal steht.“, sage ich zu Arnie.
„Deal? Was für’n Deal? Gedenkst du etwas für mich zu tun?“
„Was immer du willst. Du hast was gut bei mir. Natürlich erst, wenn es geklappt hat.“
„Was immer ich will?“
Ach, du Schreck. Wieso kann ich meine Klappe nicht halten. Egal. Für Carolina tue ich alles.
„Was auch immer.“
Arnie steht auf, beugt sich über seinen Schreibtisch und gibt mir die Hand. „Okay, alter Junge. Ich schicke dir Rick vorbei.“
Zwei Stunden später klopft es an meiner Tür. Ich stehe auf, gehe die paar Schritte und drücke die Klinke herunter. Vor der Tür steht ein … Jüngelchen. Stellen Sie sich vor, dass er etwa wie ein Knabe Anfang zwanzig aussieht. Ein sehr unreifer Knabe, wohlgemerkt. Alter ist hier bei uns nicht existent. Man sieht eben so aus, wie man aussieht. Das hat nichts mit Lebensjahren zu tun. Lebensjahren… haha. Verstehen Sie? Nicht? Auch egal.
„Hallo, ich bin Rick und soll mich bei dir melden.“
Hier bei uns gibt es auch kein Siezen. Nur so zur Info, falls Sie sich wundern, warum der Kleine mich mit ‚Du‘ anredet.
„Toll. Ich hab dich schon erwartet. Komm rein.“
Etwas schüchtern betritt Rick mein Büro.
„Setz dich.“ Er nimmt neben mir am Schreibtisch Platz, so dass er meinen Monitor sehen kann.
„Arnie sagte mir, dass du einen Auftrag für mich hast.“
„Richtig. Meinst du, du schaffst das? Du bist ja noch neu in der Branche und noch nicht so erfahren.“
Tatsächlich zweifle ich gerade an seinen Fähigkeiten. Er sitzt da wie ein kleiner Schuljunge. Die Hände auf seinem Schoß. Ziemlich nervös und errötend starrt er auf den Bildschirm.
„Ich kann das.“, meint er.
„Hmm. Na, dann. Der Auftrag ist sehr wichtig. Da darf es keine Pannen geben. Verstanden?“
„Ja. Natürlich.“
Zittert der Kleine? Ach je. Traut er sich überhaupt, einen Pfeil auf einen Menschen zu schießen? Gut, dass er nicht mit ihnen kommunizieren kann. Ich glaube, er würde erstmal um Erlaubnis bitten und sich danach für die Unannehmlichkeiten entschuldigen.
„Also pass auf.“ In den folgenden zwei Stunden erzähle ich ihm Carolinas Geschichte. Bei Mike bin ich ganz ausführlich. Rick soll wissen, was Carolina an einem Menschen wichtig ist. Er muss unbedingt den Richtigen finden.
Er hört aufmerksam zu, nickt zwischendurch, stellt Fragen an den richtigen Stellen. Ich bin beeindruckt.
„Das kann ich.“, sagt er wieder, als ich mit meinen Ausführungen fertig bin.
„Dann zeig’s mir.“
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