Frank Wedekind
Frühlings Erwachen
- mit Leitfaden zur Analyse -
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Inhaltsverzeichnis
Titel Frank Wedekind Frühlings Erwachen - mit Leitfaden zur Analyse - Dieses ebook wurde erstellt bei
Kapitel 1 Kapitel 1 Dem vermummten Herrn Der Verfasser
Erster Akt: Erste Szene
Erster Akt: Zweite Szene
Erster Akt: Dritte Szene
Erster Akt: Vierte Szene
Erster Akt: Fünfte Szene
Zweiter Akt: Erste Szene
Zweiter Akt: Zweite Szene
Zweiter Akt: Dritte Szene
Zweiter Akt: Vierte Szene
Zweiter Akt: Fünfte Szene
Zweiter Akt: Sechste Szene
Zweiter Akt: Siebente Szene
Dritter Akt: Erste Szene
Dritter Akt: Zweite Szene
Dritter Akt: Dritte Szene
Dritter Akt: Vierte Szene
Dritter Akt: Fünfte Szene
Dritter Akt: Sechste Szene
Dritter Akt: Siebente Szene
Leitfaden zur Analyse von Dramenszenen
Impressum neobooks
Dem vermummten Herrn Der Verfasser
Wohnzimmer
WendlaWarum hast du mir das Kleid so lang gemacht, Mutter?
Frau BergmannDu wirst vierzehn Jahr heute!
WendlaHätt' ich gewusst, dass du mir das Kleid so lang machen werdest, ich wäre lieber nicht vierzehn geworden.
Frau BergmannDas Kleid ist nicht zu lang, Wendla. Was willst du denn! Kann ich dafür, dass mein Kind mit jedem Frühling wieder zwei Zoll größer ist? Du darfst doch als ausgewachsenes Mädchen nicht in Prinzesskleidchen einhergehen.
WendlaJedenfalls steht mir mein Prinzesskleidchen besser als diese Nachtschlumpe. – Lass mich's noch einmal tragen, Mutter! Nur noch den Sommer lang. Ob ich nun vierzehn zähle oder fünfzehn, dies Bußgewand wird mir immer noch recht sein. – Heben wir's auf bis zu meinem nächsten Geburtstag; jetzt würd' ich doch nur die Litze herunter treten.
Frau BergmannIch weiß nicht, was ich sagen soll. Ich würde dich ja gerne so behalten, Kind, wie du gerade bist. Andere Mädchen sind stakig und plump in deinem Alter. Du bist das Gegenteil. – Wer weiß, wie du sein wirst, wenn sich die andern entwickelt haben.
WendlaWer weiß – vielleicht werde ich nicht mehr sein.
Frau BergmannKind, Kind, wie kommst du auf die Gedanken!
WendlaNicht, liebe Mutter; nicht traurig sein!
Frau Bergmann sie küssend Mein einziges Herzblatt!
WendlaSie kommen mir so des Abends, wenn ich nicht einschlafe. Mir ist gar nicht traurig dabei, und ich weiß, dass ich dann um so besser schlafe. – Ist es sündhaft, Mutter, über derlei zu sinnen?
Frau BergmannGeh denn und häng das Bußgewand in den Schrank! Zieh in Gottes Namen dein Prinzesskleidchen wieder an! Ich werde dir gelegentlich eine Handbreit Volants unten ansetzen.
Wendla das Kleid in den Schrank hängend Nein, da möcht' ich schon lieber gleich vollends zwanzig sein...!
Frau BergmannWenn du nur nicht zu kalt hast! – Das Kleidchen war dir ja seinerzeit reichlich lang; aber...
WendlaJetzt, wo der Sommer kommt? – O Mutter, in den Kniekehlen bekommt man auch als Kind keine Diphtheritis! Wer wird so kleinmütig sein. In meinen Jahren friert man noch nicht – am wenigsten an die Beine. Wär's etwa besser, wenn ich zu heiß hätte, Mutter? – Dank' es dem lieben Gott, wenn sich dein Herzblatt nicht eines Morgens die Ärmel wegstutzt und dir so zwischen Licht abends ohne Schuhe und Strümpfe entgegentritt! – Wenn ich mein Bußgewand trage, kleide ich mich darunter wie eine Elfenkönigin... Nicht schelten, Mütterchen! Es sieht's dann ja niemand mehr.
Sonntag Abend
MelchiorDas ist mir zu langweilig. Ich mache nicht mehr mit.
OttoDann können wir andern nur auch aufhören! – Hast du die Arbeiten, Melchior?
MelchiorSpielt ihr nur weiter!
MoritzWohin gehst du?
MelchiorSpazieren.
GeorgEs wird ja dunkel!
RobertHast du die Arbeiten schon?
MelchiorWarum soll ich denn nicht im Dunkeln spazieren gehn?
ErnstZentralamerika! – Ludwig der Fünfzehnte! Sechzig Verse Homer! – Sieben Gleichungen!
MelchiorVerdammte Arbeiten!
GeorgWenn nur wenigstens der lateinische Aufsatz nicht auf morgen wäre!
MoritzAn nichts kann man denken, ohne dass einem Arbeiten dazwischenkommen!
OttoIch gehe nach Hause.
GeorgIch auch, Arbeiten machen.
ErnstIch auch, ich auch.
RobertGute Nacht, Melchior.
MelchiorSchlaft wohl!
Alle entfernen sich bis auf Moritz und Melchior.
MelchiorMöchte doch wissen, wozu wir eigentlich auf der Welt sind!
MoritzLieber wollt' ich ein Droschkengaul sein um der Schule willen! – Wozu gehen wir in die Schule? – Wir gehen in die Schule, damit man uns examinieren kann! – Und wozu examiniert man uns? – Damit wir durchfallen. – Sieben müssen ja durchfallen, schon weil das Klassenzimmer oben nur sechzig fasst. – Mir ist so eigentümlich seit Weihnachten... hol mich der Teufel, wäre Papa nicht, heut noch schnürt' ich mein Bündel und ginge nach Altona!
MelchiorReden wir von etwas anderem. –
Sie gehen spazieren.
MoritzSiehst du die schwarze Katze dort mit dem emporgereckten Schweif?
MelchiorGlaubst du an Vorbedeutungen?
MoritzIch weiß nicht recht. – – Sie kam von drüben her. Es hat nichts zu sagen.
MelchiorIch glaube, das ist eine Charybdis, in die jeder stürzt, der sich aus der Skylla religiösen Irrwahns empor gerungen. – – Lass uns hier unter der Buche Platz nehmen. Der Tauwind fegt über die Berge. Jetzt möchte ich droben im Wald eine junge Dryade sein, die sich die ganze lange Nacht in den höchsten Wipfeln wiegen und schaukeln lässt.
MoritzKnöpf dir die Weste auf, Melchior!
MelchiorHa – wie das einem die Kleider bläht!
MoritzEs wird weiß Gott so stockfinster, dass man die Hand nicht vor den Augen sieht. Wo bist du eigentlich? – – Glaubst du nicht auch, Melchior, dass das Schamgefühl im Menschen nur ein Produkt seiner Erziehung ist?
MelchiorDarüber habe ich erst vorgestern noch nachgedacht. Es scheint mir immerhin tief eingewurzelt in der menschlichen Natur. Denke dir, du sollst dich vollständig entkleiden vor deinem besten Freund. Du wirst es nicht tun, wenn er es nicht zugleich auch tut. – Es ist eben auch mehr oder weniger Modesache.
MoritzIch habe mir schon gedacht, wenn ich Kinder habe, Knaben und Mädchen, so lasse ich sie von früh auf im nämlichen Gemach, wenn möglich auf ein und demselben Lager, zusammen schlafen, lasse ich sie morgens und abends beim An- und Auskleiden einander behilflich sein und in der heißen Jahreszeit, die Knaben sowohl wie die Mädchen, tagsüber nichts als eine kurze, mit einem Lederriemen gegürtete Tunika aus weißem Wollstoff tragen. – Mir ist, sie müssten, wenn sie so heranwachsen, später ruhiger sein, als wir es in der Regel sind.
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