MelchiorDas glaube ich entschieden, Moritz! – Die Frage ist nur, wenn die Mädchen Kinder bekommen, was dann?
MoritzWieso Kinder bekommen?
MelchiorIch glaube in dieser Hinsicht nämlich an einen gewissen Instinkt. Ich glaube, wenn man einen Kater zum Beispiel mit einer Katze von Jugend auf zusammensperrt und beide von jedem Verkehr mit der Außenwelt fernhält, d. h. sie ganz nur ihren eigenen Trieben überlässt – dass die Katze früher oder später doch einmal trächtig wird, obgleich sie sowohl wie der Kater niemand hatten, dessen Beispiel ihnen hätte die Augen öffnen können.
MoritzBei Tieren muss sich das ja schließlich von selbst ergeben.
MelchiorBei Menschen glaube ich erst recht! Ich bitte dich, Moritz, wenn deine Knaben mit den Mädchen auf ein und demselben Lager schlafen und es kommen ihnen nun unversehens die ersten männlichen Regungen – ich möchte mit jedermann eine Wette eingehen...
MoritzDarin magst du recht haben. – Aber immerhin...
MelchiorUnd bei deinen Mädchen wäre es im entsprechenden Alter vollkommen das nämliche! Nicht, dass das Mädchen gerade... man kann das ja freilich so genau nicht beurteilen... Jedenfalls wäre vorauszusetzen... und die Neugierde würde das ihrige zu tun auch nicht verabsäumen!
MoritzEine Frage beiläufig –
MelchiorNun?
MoritzAber du antwortest?
MelchiorNatürlich!
MoritzWahr?!
MelchiorMeine Hand darauf. – – Nun, Moritz?
MoritzHast du den Aufsatz schon??
MelchiorSo sprich doch frisch von der Leber weg! – Hier hört und sieht uns ja niemand.
MoritzSelbstverständlich müssten meine Kinder nämlich tagsüber arbeiten, in Hof und Garten, oder sich durch Spiele zerstreuen, die mit körperlicher Anstrengung verbunden sind. Sie müssten reiten, turnen, klettern und vor allen Dingen nachts nicht so weich schlafen wie wir. Wir sind schrecklich verweichlicht. – Ich glaube, man träumt gar nicht, wenn man hart schläft.
MelchiorIch schlafe von jetzt bis nach der Weinlese überhaupt nur in meiner Hängematte. Ich habe mein Bett hinter den Ofen gestellt. Es ist zum Zusammenklappen. – Vergangenen Winter träumte mir einmal, ich hätte unsern Lolo so lange gepeitscht, bis er kein Glied mehr rührte. Das war das Grauenhafteste, was ich je geträumt habe. – Was siehst du mich so sonderbar an?
MoritzHast du sie schon empfunden?
MelchiorWas?
MoritzWie sagtest du?
MelchiorMännliche Regungen?
MoritzM-hm.
Melchior– Allerdings!
MoritzIch auch – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
MelchiorIch kenne das nämlich schon lange! – Schon bald ein Jahr.
MoritzIch war wie vom Blitz gerührt.
MelchiorDu hattest geträumt?
MoritzAber nur ganz kurz... von Beinen im himmelblauen Trikot, die über das Katheder steigen – um aufrichtig zu sein, ich dachte, sie wollten hinüber. – Ich habe sie nur flüchtig gesehen.
MelchiorGeorg Zirschnitz träumte von seiner Mutter.
MoritzHat er dir das erzählt?
MelchiorDraußen am Galgensteg!
MoritzWenn du wüsstest, was ich ausgestanden seit jener Nacht!
MelchiorGewissensbisse?
MoritzGewissensbisse?? – – – Todesangst!
MelchiorHerrgott...
MoritzIch hielt mich für unheilbar. Ich glaubte, ich litte an einem inneren Schaden. – Schließlich wurde ich nur dadurch wieder ruhiger, dass ich meine Lebenserinnerungen aufzuzeichnen begann. Ja, ja, lieber Melchior, die letzten drei Wochen waren ein Gethsemane für mich.
MelchiorIch war seinerzeit mehr oder weniger darauf gefasst gewesen. Ich schämte mich ein wenig. – Das war aber auch alles.
MoritzUnd dabei bist du noch fast um ein ganzes Jahr jünger als ich!
MelchiorDarüber, Moritz, würd' ich mir keine Gedanken machen. All meinen Erfahrungen nach besteht für das erste Auftauchen dieser Phantome keine bestimmte Altersstufe. Kennst du den großen Lämmermeier mit dem strohgelben Haar und der Adlernase? Drei Jahre ist der älter als ich. Hänschen Rilow sagt, der träume noch bis heute von nichts als Sandtorten und Aprikosengelee.
MoritzIch bitte dich, wie kann Hänschen Rilow darüber urteilen!
MelchiorEr hat ihn gefragt.
MoritzEr hat ihn gefragt? – Ich hätte mich nicht getraut, jemanden zu fragen.
MelchiorDu hast mich doch auch gefragt.
MoritzWeiß Gott ja! – Möglicherweise hatte Hänschen auch schon sein Testament gemacht. – Wahrlich ein sonderbares Spiel, das man mit uns treibt. Und dafür sollen wir uns dankbar erweisen! Ich erinnere mich nicht, je eine Sehnsucht nach dieser Art Aufregung verspürt zu haben. Warum hat man mich nicht ruhig schlafen lassen, bis alles wieder still gewesen wäre. Meine lieben Eltern hätten hundert bessere Kinder haben können. So bin ich nun hergekommen, ich weiß nicht, wie, und soll mich dafür verantworten, dass ich nicht weggeblieben bin. – Hast du nicht auch schon darüber nachgedacht, Melchior, auf welche Art und Weise wir eigentlich in diesen Strudel hineingeraten?
MelchiorDu weißt das also noch nicht, Moritz?
MoritzWie sollt' ich es wissen? – Ich sehe, wie die Hühner Eier legen, und höre, daß mich Mama unter dem Herzen getragen haben will. Aber genügt denn das? – Ich erinnere mich auch, als fünfjähriges Kind schon befangen worden zu sein, wenn einer die dekolletierte Coeurdame aufschlug. Dieses Gefühl hat sich verloren. Indessen kann ich heute kaum mehr mit irgendeinem Mädchen sprechen, ohne etwas Verabscheuungswürdiges dabei zu denken, und – ich schwöre dir, Melchior – ich weiß nicht was.
MelchiorIch sage dir alles. – Ich habe es teils aus Büchern, teils aus Illustrationen, teils aus Beobachtungen in der Natur. Du wirst überrascht sein; ich wurde seinerzeit Atheist. Ich habe es auch Georg Zirschnitz gesagt! Georg Zirschnitz wollte es Hänschen Rilow sagen, aber Hänschen Rilow hatte als Kind schon alles von seiner Gouvernante erfahren.
MoritzIch habe den Kleinen Meyer von A bis Z durchgenommen. Worte – nichts als Worte und Worte! Nicht eine einzige schlichte Erklärung. O dieses Schamgefühl! – Was soll mir ein Konversationslexikon, das auf die nächstliegende Lebensfrage nicht antwortet.
MelchiorHast du schon einmal zwei Hunde über die Straße laufen sehen?
MoritzNein! – – Sag mir lieber heute noch nichts, Melchior. Ich habe noch Mittelamerika und Ludwig den Fünfzehnten vor mir. Dazu die sechzig Verse Homer, die sieben Gleichungen, der lateinische Aufsatz – ich würde morgen wieder überall abblitzen. Um mit Erfolg büffeln zu können, muss ich stumpfsinnig wie ein Ochse sein.
MelchiorKomm doch mit auf mein Zimmer. In dreiviertel Stunden habe ich den Homer, die Gleichungen und zwei Aufsätze. Ich korrigiere dir einige harmlose Schnitzer hinein, so ist die Sache im Blei. Mama braut uns wieder eine Limonade, und wir plaudern gemütlich über die Fortpflanzung.
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