Schon am nächsten Tag feierten sie Hochzeit und Bimuyakro kehrte nicht mehr zu dem Nivaši-Mädchen, das einst seine Geliebte gewesen war und ihm einen Jungen geboren hatte, zurück.
Die Zeit verging und die beiden liebten sich sehr. Das Glück schien vollkommen und das Nivaši-Mädchen war vergessen. Da begab es sich, das Bimuyakro eines Nachts mit seinen Stammesgenossen ins nächste Dorf wanderte. Dabei passierten sie eine Brücke. Und wie es alter Brauch war, spuckten auch sie dabei dreimal ins Wasser.« Popo spuckte drei Mal ins Feuer. »Da geschah es: Plötzlich flog aus dem Wasser ein Nivaši-Junge und ergriff Bimuyakro und zog ihn mit sich in die dunkle Tiefe.
Natürlich waren alle zutiefst erschrocken und suchten ihn. Aber erst am nächsten Morgen fanden sie seine Leiche und trugen sie zurück ins Lager, wo Lolerme auf sie wartete.
Als sie ihren toten Mann da liegen sah, erschrak sie sosehr, dass sie starb, woraufhin man beide zusammen ins Grab legte und begrub.
Als der Stamm nach einer Weile zu dem Ort, wo die beiden toten Liebenden schliefen, zurückkehrte, da blühten auf ihrem Grab zwei weiße Blumen.« 5
Rafaels Großvater zog an seiner Pfeife und nickte Hanna zu, die sich verschämt, die Tränen aus dem Gesicht wischte.
»Was waren das für Blumen, Popo?«, fragte ihn ein kleines Mädchen.
Noch einmal zog der alte Mann genüsslich an seiner Pfeife. »Nun mein kleines Rotkehlchen, das waren zwei ganz besondere Blumen, die man nur sehr, sehr selten im Leben zu sehen bekommt.«
Die Kleine starrte ihn mit großen Augen an. »Ich denn?«
Popo zuckte mit der Schulter und lächelte sie verschmitzt an. »Wer weiß!«
Eine der Frauen reichte ihm einen Becher mit Wein, den er dankend annahm. Erst dann wurden reihum die Gläser der anderen gefüllt, ehe die Frauen dazu übergingen, den Männern köstlich duftende Speisen zu reichen.
Für Hanna war der ganze Ablauf Neuland. Neugierig beobachtete sie das Geschehen. Allem Anschein nach schien es eine strickte Trennung zwischen Männern und Frauen zu geben. Keine der Frauen aß etwas, nur die Männer. Gerade als sie sich bei Rafael danach erkundigen wollte, fing ein Mann an zu singen. Es war ein melancholisches Lied. Und obwohl sie die Worte nicht verstand, meinte sie förmlich vor Sehnsucht und Traurigkeit zu vergehen. Erst als ihr Rafaels Mutter die Hand auf die Schulter legte, kehrte sie in das Hier und Jetzt zurück.
»Entschuldigen sie … «, sagte sie etwas gestelzt, »Sie sind heute unser Ehrengast. Meine Tochter hat sich ihnen gegenüber ungebührlich verhalten. Sie hätte ihnen längst etwas zu essen anbieten sollen. Es tut mir Leid. Ich kann mich nur für ihr Verhalten entschuldigen. Ich hoffe, sie können ihr verzeihen. Sie ist jung … Aber vielleicht schmeckt ihnen, was ich für sie ausgesucht habe ... Es ist gutes Essen.«, bekräftigte sie und hielt ihr einen überquellenden Steingutteller entgegen, auf dem sich neben Fleisch auch Brot und diverse Gemüsestücke stapelten.
Verwirrt nahm Hanna ihn an und nickte. »Das macht nichts. Danke. Die Geschichte von Rafaels Großvater war so wunderschön und jetzt die Musik…«
Ein erstes Lächeln verzauberte das Gesicht von Rafaels Mutter und ließ es von Innen heraus leuchten. »Ja, er ist ein großer Erzähler und Raoul ein großer Sänger. Aber er singt nur traurige Lieder. Er trägt zu viel Scherz in sich ... Warten sie ab, später werden wesentlich temperamentvollere Lieder gesungen. Mein Mann holt gerade seine Gitarre. Und wie ich sehe, haben ein paar andere auch schon ihre Instrumente ausgepackt. Es wird ihnen gefallen. Und entschuldigen sie bitte nochmals …«
»Das ist Spanferkel!«, erklärte Rafael ihr, während seine Mutter weiterging.
»Wie? - Ach!«, Hanna starrte auf ihren Teller und biss vorsichtig in das zu kleinen handlichen Stücken geschnittene Fleisch. Es schmeckte köstlich!
Amüsiert beobachtete Rafael sie. Die anfängliche Skepsis und Zurückhaltung hatte sich gelegt und Hanna langte herzhaft zu. Er war froh, dass seine Mutter ihr den Teller persönlich gebracht hatte, insbesondere da seine Schwester sie trotz zahlreicher, warnender Blicke seinerseits, beim Servieren der Fleischplatten ignoriert hatte. Zwar hatte seine Mutter im Laufe des Abends Sara zwei Teller in die Hand gedrückt und dabei auf Hanna und ihn gezeigt, aber Sara hatte nur abweisend mit dem Kopf geschüttelt. Erst als sich Rupas Gesicht zunehmend verdüsterte, war sie widerstrebend auf sie zugegangen. Aber ein gewisses Funkeln in ihren Augen, ließ Rafael ahnen, dass dieser Teller niemals bei ihm und Hanna ankommen würde. Und so kam es, wie es kommen musste: Kurz bevor sie sie erreichte, hatte sie trotzig die beiden Teller auf einem Baumstumpf abgestellt, ihren Rock genommen und mit dem Saum demonstrativ über die beiden Teller gestrichen. Anschließend hatte sie unverfroren mit den Schultern gezuckt, ihm übertrieben entschuldigend in die Augen geblickt, die beiden Teller wieder in die Hand genommen und war von dannen gezogen. – Hätte er gekonnt, er wäre am liebsten aufgestanden und hätte seiner Schwester dafür den Hintern versohlt.
»Das Essen … ist … köstlich. Mein Gott, … dass es so etwas Gutes gibt.«, stieß Hanna genüsslich aus, während sie mit einer Scheibe Brot sorgfältig den letzten Rest Bratensaft auftunkte und ihn in ihrem Mund verschwinden ließ.
Rafael starrte hingegen wie gebannt auf ihre vollen Lippen. Ein kleiner Krümel haftete auf ihrer Unterlippe. Am liebsten hätte er ihn mit dem kleinen Finger fort gestrichen. Ganz zart. Ganz vorsichtig. Als sie sich dann auch noch mit der Zunge über die Lippen leckte und dabei einen feucht glänzenden Film hinterließ, stöhnte er innerlich auf. Diese Frau machte ihn wahnsinnig.
»Rafael, jetzt bist du dran.« Ein junges Mädchen boxte ihn lachend in die Seite.
»Sina?!« Im ersten Moment irritiert, dann amüsiert, betrachtete er das junge Mädchen, das sich keck vor ihn hingestellt hatte und ihm eine reich mit Intarsien verzierte Gitarre hinhielt.
»Nun komm schon Rafael … spiel für uns …«, bettelte sie und zeigte dabei einen derart übertriebenen Schmollmund, dass Rafael unwillkürlich an zwei nebeneinander liegende Fahrradschläuche denken musste.
Um nicht laut auflachen zu müssen, sagte er stattdessen: »Hanna, darf ich dir Sina vorstellen?«
Hanna betrachtete das Mädchen neugierig. Sie mochte in etwa sechzehn Jahre alt sein und war eine glutäugige, dunkelhaarige Schönheit, die bis über beide Ohren in Rafael verliebt zu sein schien.
Eifersucht glomm in ihr hoch. Nie in ihrem Leben würde sie mit so einer Schönheit konkurrieren können. »Freut mich, sie kennen zu lernen«, stieß Hanna mit einer Stimme, die an Schmirgelpapier erinnerte, aus.
Das Mädchen ignorierte sie geflissentlich. Stattdessen konzentrierte sie sich weiterhin auf Rafael. »Nun mach schon … spiel eine Tarantella … Wenigstens für mich, ja?«
Rafael schüttelte den Kopf und hob ein kleines Stöckchen vom Boden auf. »Such dir jemand anderen aus Sina.«
»Ich wusste gar nicht, dass sie spielen können …?«, meinte Hanna.
Rafael zuckte leicht mit den Schultern. »Etwas.«
Hanna blickte wieder interessiert auf die Gitarre. Die Einlegearbeiten waren aus Ebenholz und – wenn sie sich nicht irrte – aus Elfenbein. »Das ist ein wunderschönes Instrument.« Unwillkürlich streckte sie die Hand nach ihr aus, um ihr seidig schimmerndes Holz zu berühren, doch Sina zog sie ruckartig zurück.
»Sina! Du kannst unserm Gast nicht einfach die Gitarre wegziehen, wenn er sie sehen will.«
»Aber sie ist eine Gadje!«, stieß diese mit einem feindseligen Blick, der Bände sprach, aus.
»Ach, lassen sie nur …«, versuchte Hanna zu beschwichtigen.
Aber Rafael nahm Sina die Gitarre aus den Händen und reichte sie ihr. »Hier bitte, nehmen sie sie und schauen sie sich sie in aller Ruhe an. Ein Onkel von mir hat sie gefertigt.«
Читать дальше