Hier mischte sich Alfred in das Gespräch.
»Das ist eine großartige Gelegenheit, die ihr euch nicht entgehen lassen dürft. Kauft ein zweites Fuhrwerk und stellt Lehrjungen an. Paul, der zweitälteste Sohn von Meister Mombert käme hierfür in Frage. Er ist zwar schon sechzehn Jahre und für einen Lehrjungen zu alt, aber er ist kräftig und kann mit zupacken. Der achtjährige Arno von Schuster Ludwig aus der Klostergasse ist auch ein Zweitgeborener. Er wird froh sein, wenn er sich nicht als Soldat verdingen muss und bei euch in die Lehre gehen kann.«
Der dünne Georg hatte bisher geschwiegen. Er konnte sich kaum vorstellen, mit jemand anderem als seinem Schwager die Fuhren zu machen. Aber Alfred hatte Recht. Außerdem würde irgendwann auch Konrad in das Fuhrgeschäft einsteigen. Da würde es nicht schaden, wenn man sich schon vorher vergrößerte.
»Ich bin einverstanden. Wir sollten außerdem mit Franz, dem Obermeister der Filzmacherinnung, wegen des Besitzes des letzte Woche verstorbenen Filzmachers Kuno von nebenan sprechen. Seine ganze Familie ist dem Antoniusfeuer zum Opfer gefallen. Bruder Jordan hatte mir davon erzählt, als ich ihn gestern auf dem Rückweg von Meister Jannis traf. Vielleicht verkauft er uns das Haus und das Grundstück. Dann können wir das Geschäft nach dort verlegen. Die Pferde kommen in unserem Stall unter, auch wenn es beengt wird, aber die Fuhrwerke müssen ebenfalls untergestellt werden. Wir sollten einen Raum einrichten, in dem ihr zwei Frauen abwechselnd Fuhraufträge entgegennehmt. Ihr habt beide Schreiben und Rechnen gelernt. Dann könntet ihr die Bücher führen.«
Agnes und Griseldis hatten keine Einwände und schmiedeten gemeinsam mit den Männern und Bäcker Alfred Pläne für die Zukunft. Der dicke Georg beschloss, am morgigen Tag nicht mit nach Salza zu fahren, sondern mit den Vätern der potentiellen Lehrjungen zu sprechen, ein Fuhrwerk zu kaufen und mit dem Abt die Vereinbarung als Verträge schriftlich festzuhalten.
Der dünne Georg kann am Nachmittag mit Meister Michael darüber sprechen, ob Michi ihn auf die Fahrt nach Salza begleiten dürfte. Er könnte ihm ein wenig zur Hand zu gehen. Am morgigen Tag würden sie auch den Ofensetzer aufsuchen, um die Becherkacheln für den Kachelofen abzuholen.
Als die Details besprochen waren, stießen sie gemeinsam mit einem süffigen Rotwein an, den der dicke Georg eigens für besondere Anlässe in seinem Keller lagerte. Dann ließen sie sich den leckeren Sauerbraten schmecken, den Lena zusammen mit Agnes am Vortag vorbereitet hatte. Sie feierten bis in den Abend hinein und tranken auf eine glückliche Zukunft.
Es kam Agnes vor wie ein Traum. Wie sehr hatte sie sich darauf gefreut, in ihr fertig umgebautes Haus einzuziehen. Die letzten Wochen hatten doch einiges von der kleinen Familie, aber auch von Griseldis und ihrem Mann abverlangt. Sie bewohnten mit vier Erwachsenen und zwei Babys in zwei Zimmer.
Erfreulich war, dass das Wetter im Sommer so gut gewesen war, dass sie sich tagsüber viel im Hinterhof und im Garten hatten aufhalten können.
Griseldis genoss nun die Freuden der Schwangerschaft, denn die morgendliche Übelkeit hatte – wie erwartet – nach wenigen Wochen nachgelassen. Sie trug den kleinen Bauch mit Stolz vor sich her und Georg las ihr jeden Wunsch von den Augen ab.
Es war nun Ende August - Erntemond - und auch im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation hatte sich viel ereignet. Noch im April hatten sie sich vor einem Krieg im deutschen Land gefürchtet. Dazu war es – Gott sei Dank – nicht gekommen. Kaiser Friedrich II. war mit einem Heer über den Süden nach Deutschland gezogen und fand unterwegs viele Gefolgsleute für den Kampf gegen seinen vom Papst gebannten Sohn Heinrich und dessen Verbündete, die Bischöfe von Augsburg, Würzburg, Worms, Speyer und Strassburg, den Abt des Klosters zu Fulda und diverse schwäbische Adlige.
Bevor es zur entscheidenden Schlacht gekommen war, hatten einige weltliche Reichsfürsten – allen voran Gottfried von Hohenlohe – den jungen König immer wieder in Kämpfe verwickelt. Als das Heer des Kaisers im Swiggerstal eingetroffen war, hatten sich die meisten seiner Verbündeten erneut von ihm abgewandt, sodass es nach einem kleinen Scharmützel fast ohne Kampf in Wimpfen zu einer Kapitulation und Unterwerfung Heinrichs kam. Der junge König wurde festgesetzt und zwei Tage später in Worms abgeurteilt. Er verlor sämtliche Titel und Güter und wurde zur Kerkerhaft in einem apulischen Gefängnis verurteilt.
Vor einigen Tagen hielt Kaiser Friedrich II. in Mainz einen Hoftag ab. Hier erklärte er den Landfrieden und bereitete dem jahrzehntelang andauernden Streit zwischen Staufern und Welfen ein Ende. Er setzte Otto, einen Enkel von Heinrich dem Löwen, als Herzog für das neu entstandene Herzogtum Braunschweig-Lüneburg ein.
Außerdem verpflichtete er die machtbesessenen deutschen Fürsten zur Teilnahme an seinem nächsten Feldzug gegen die Lombardenstädte. Nur eines war dem Kaiser nicht gelungen. Der Versuch, seinen zweiten Sohn, den siebenjährigen Konrad, zum deutschen König krönen zu lassen, scheiterte. Alles in allem war jedoch die Gefahr eines Krieges auf deutschem Boden abgewendet.
In der Thüringer Landgrafschaft ging es weit weniger ungefährlich zu. Wieder und wieder kam es zu Überfällen auf Wanderer und Handelszüge. Friedliche Bürger und Händler wurden entführt und erst gegen ein stattliches Lösegeld auf freien Fuß gesetzt. Auf diese Weise kam der niedere Adel zu Geld.
Heinrich Raspe, der als Vormund seines Neffen Hermann die Landgrafenwürde vertrat, ging heftig gegen die Raubritter vor. Schon im letzten Jahr hatte er nach dem Überfall auf die Augustinermönche im Kloster Ettersburg durch die Burgmannen der nahe gelegenen Festung hart durchgegriffen. Er hatte dreiundzwanzig Ritter verurteilt und hinrichten lassen. Graf Heinrich von Gleichen, dem die Burg gehörte, war daraufhin zum Landgericht bestellt worden und dort nicht erschienen. Deshalb wurde die Reichsacht über ihn verhängt und alle seine Lehen eingezogen.
Trotz dieses Urteils standen weiterhin Überfälle auf arglose Handelsleute und Reisende auf der Tagesordnung. Agnes hatte so manches Mal in den letzten Wochen um ihren Mann und ihren Schwager gebangt und war jedes Mal aufs Neue froh, wenn beide unversehrt von den Handelsreisen zurückgekehrt waren.
Es hatte sich seit dem Pfingstfest viel geändert. Sie hatten den Besitz des Filzmachers Kuno, dessen ganze Familie vom Antoniusfeuer dahingerafft worden war, erstanden. Seither nannten sie auch ein zweites Fuhrwerk ihr Eigen, und ihr Mann und ihr Schwager fuhren nun getrennt – jeder von ihnen mit einem Lehrjungen – die Ladungen. So konnten sie mehr Aufträge entgegennehmen.
Griseldis verbrachte die Vormittage damit, in der Stube des nun eingerichteten Lagers die Lieferaufträge zu erfassen und die Fahrten zu planen. Agnes unterstützte sie dabei und führte gemeinsam mit ihr die Bücher. Wenigstens drei Mal in der Woche fuhren die Männer Handelsgüter des Klosters Volkenroda in den Klosterhof in der Altstadt.
Am heutigen Morgen waren ihr Mann und sein Lehrjunge Paul erneut auf dem Weg in das Kloster. Sie würden bis zum Abend unterwegs sein. Bis dahin konnte Agnes nach und nach die Habseligkeiten aus dem Heim ihrer Schwägerin in das Eigene bringen. Am gestrigen Tag hatte sie mit Lena die letzten Putzarbeiten erledigt.
Das Haus war nach dem Umbau nicht wieder zu erkennen. In der ersten Etage betrat man nun nicht mehr die Wohnkammer, sondern einen Flur, von dem aus eine Holztreppe in das obere Stockwerk und eine Steintreppe in den Keller führten. Nach links trennte eine Tür den Eingang in die Küche. Dort stand auch der neue Kachelofen, der das ganze Haus mit wohliger Wärme versorgte. Ein Abzugsrohr endete in der Wohnstube und eines in der oberen Etage. In jedem Zimmer konnte man über einen Metallrost, das sich verschließen ließ, die Wärme hineinlassen.
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