Nach ein paar Minuten kamen ihre Bewegungen zum Erliegen. Fast zweitausend Tonsoldaten standen in Paradestellung vor der Mauer, aufgeteilt in Vorhut, Hauptmacht, Nachhut und Flankenschutz. Einer der bunt uniformierten Terrakotta-Offiziere brüllte einen Befehl. In einer einzigen Bewegung fuhr die ganze Armee herum, blieb gleich darauf wieder stocksteif stehen. Tausende Gesichter blickten Li Su an, gehorsam auf ihre Befehle wartend.
Die junge Jadekaiserin wandte sich ein wenig verlegen an den staunenden Ardaschir und den noch mehr staunenden Tom. »In der Kürze der Zeit konnte ich leider nicht noch mehr Männer meiner Armee hierher schaffen. Ich hoffe, Ihr nehmt mein Hilfsangebot dennoch an«, sagte sie und verbeugte sich.
Ardaschir kaute einen Moment auf seiner Lippe herum, dann zwirbelte er seinen grauen Bart. »A … An … Angebot angenommen, Kaiserin«, stammelte er.
Der dumpfe Klang gewaltiger Hörner ließ sie alle wieder aufblicken. Über dem Lager der Schwarzen Horde erhoben sich Staubwolken.
»Sie setzen ihre Truppen in Bewegung, in drei Angriffsflügeln«, erkannte Veyron und deutete in die entsprechenden Richtungen.
Li Su nickte, als sie den Plan der Horde zu verstehen glaubte. »Sie wollen die Stadt von drei Richtungen zugleich angreifen. Ich werde versuchen, diese Bewegung zu kontern und sie zu einer einheitlichen Front zu zwingen, indem ich auf ihr Lager zu marschiere. Sie werden sich im Westen sammeln müssen, um mich aufzuhalten«, sagte sie, beugte sich abermals über die Zinnen und klatschte in die Hände. Die Terrakotta-Armee machte in einer einzigen, gleichzeitigen Bewegung kehrt und stampfte im Gleichschritt der Schwarzen Horde entgegen.
»Hervorragend«, bescheinigte Veyron. »Das sollte uns die nötige Zeit verschaffen, um die Bombe der Horde zu finden und sie unschädlich zu machen. Tom?«
Verdattert blickte Tom auf. Natürlich. Er war ja der Anführer der Allianz. »Okay. Dann suchen wir mal den Zugang zur Kanalisation. Allianz, auf geht’s!«, rief er und eilte die Stufen der Stadtmauer hinunter.
Wimille und Veyron folgten ihm auf der Stelle, dann auch die anderen. Als Owain, Ellen, Sarah und Jordi zu ihm aufschlossen, hielt er noch einmal an. Er deutete hinauf zu den Chardoni. »Ihr müsst den Xatrapavan beschützen. Bleibt auf der Mauer und beobachtet die Bewegungen der Horde. Haltet uns über alles auf dem Laufenden, was es zu sehen gibt«, befahl er den vier Jugendlichen. Jedem drückte er eines von Wimilles Ohr-Mikros in die Hand, dazu ein Batterie-Pack. Während des Fluges von Teyrnas Annoth hierher hatte Wimille noch mehr dieser kleinen Ohrstöpsel gebaut.
»Aber wir wollen kämpfen«, protestierte Owain.
Tom schüttelte energisch den Kopf. »Eure erste Aufgabe ist die Aufklärung. Kämpfen könnt ihr noch früh genug, wenn die Horde die Mauern stürmt. Jeder hat seine Aufgaben in der Allianz. Kann ich mich auf euch verlassen?« Seinen strengen Blicken vermochten die vier kaum standzuhalten. Offenbar wussten sie um seine Erfahrung und die vielen Abenteuer, die er in Elderwelt schon bestritten hatte. Er spürte es, ohne dass sie es sagen mussten: Seine Entscheidung wurde akzeptiert, wenn auch schweren Herzens.
»Zu Befehl, Captain«, sagte Owain und richtete sich kerzengerade auf.
Anerkennend klopfte Tom ihm auf die Schultern, dann beeilte er sich, um den Rest seiner Truppe einzuholen.
Floyd, Toink und Jane eilten derweil wieder zum Stadttor, begleitet von Li Su und den beiden Simanui. Draußen vor der Mauer erklangen laute Explosionen, und Staubwolken stiegen auf.
»Die Horde feuert Sprengbomben«, rief Danny aufgeregt in Toms Richtung. »Wir sehen zu, dass wir die Los Angeles wieder in den Himmel bekommen. Sie ist das Wahrzeichen der Allianz und darf nicht zerstört werden, zumindest jetzt noch nicht. Kommt ihr ohne uns klar?«
Das hätte Tom beinahe ein Lachen abgerungen. Er griff an seinen Gürtel, zog das aus dem Nichts erschienene Daring-Schwert heraus und reckte es in die Luft. »Wir sind nicht allein«, ließ er Danny wissen.
Der zeigte Tom einen Daumen und eilte dann Nagamoto und Li Su hinterher.
Es geht also los , dachte Tom. Die alles entscheidende Schlacht gegen die Schwarze Horde – und wir auf einem Himmelfahrtskommando.
Die riesigen Katapulte der Horde nahmen ihren Beschuss auf, zum ersten Mal am helllichten Tage. Zum Glück zielten sie nicht auf die Los Angeles . Danny atmete auf. Der riesige Zeppelin wäre ein leicht zu treffendes Ziel. Ein einziger Volltreffer würde ausreichen, um ihn vollständig zu zerstören. Schnell stiegen sie in die Reisegondel, und Floyd befahl Commander Eckener, sie in die Luft zu bringen. Vorsorglich hatte die Crew bereits die Motoren gestartet. Die Ankerseile wurden gekappt, und die Los Angeles schwebte elegant in den Himmel. Für Dannys Geschmack fast ein wenig zu elegant und vor allem zu langsam. Kaum waren sie über die Stadtmauern hinweg, drehte der Steuermann das Schiff und brachte sie schleunigst fort von der Schlacht.
»Diese Katapulte sind ein Problem«, befand Nagamoto. Er tippte Danny an und forderte ihn auf ihm zu folgen.
Sie stiegen hinauf in den Rumpf und eilten über den Laufsteg nach Achtern, wobei sie an den verwirrt dreinblickenden Amazonen vorbeikamen, die ihre Pferde beruhigen mussten.
»Was geht da draußen vor?«, fragte Königin Weißes Mädchen forsch. Die junge Frau schien die Bedeutung des Wortes Angst in keiner Weise zu kennen.
»Die Schlacht beginnt«, antwortete Nagamoto knapp, bückte sich und öffnete eine Luke im Boden. Von dort ging es zum Ausleger, an welchem die mit blauen Tigerstreifen versehene Blue Tiger festgemacht war.
»Nach dir, Tatsyu«, forderte Danny seinen Meister auf, als er dessen plötzliches Zögern bemerkte.
»Seit dem Supersonic-Vorfall kann ich Flugzeuge nicht mehr ausstehen«, brummte Nagamoto.
Danny verdrehte die Augen. Das war nun wirklich nicht der Moment für irgendwelche Befindlichkeiten. Er kletterte an Nagamoto vorbei. Sofort zerrte ihm der Fahrtwind heftig an Kleidung und Gesicht. Die Los Angeles musste mit Höchstgeschwindigkeit fliegen, also mit knapp über hundert Kilometer pro Stunde. Danny sprang hinunter ins Cockpit und schnallte sich an. Nach zwei Versuchen reagierte die Zündung der P-51 Mustang , der vierblättrige Propeller begann sich zu drehen. Endlich rutschte Nagamoto hinter ihm auf den Sitz des Kopiloten. Danny kurbelte die gläserne Cockpithaube zu. Ein plötzlicher Ruck ging durch das Flugzeug, als es anfing, die Geschwindigkeit des Luftschiffs zu übertreffen.
»Okay, das dürfte reichen«, meinte er, griff nach vorne und betätigte den Auslöser. Die Greifhaken, welche die Blue Tiger bislang in ihrer Position gehalten hatten, lösten sich. Mit einem Mal sackte die Jagdmaschine in die Tiefe, beschleunigte jedoch immer weiter. Danny zog sie behutsam in die Höhe, drehte sie fort von der Los Angeles , zurück in Richtung Schlacht. Aus dieser Höhe hatte er einen perfekten Überblick über die aufeinander zumarschierenden Armeen. Lange Schleier aus Staub zogen sie hinter sich her, die ihre Flanken vollkommen verdeckten. Die nahezu zehnfache Übermacht der Schwarzen Horde war dennoch leicht zu erkennen. Das alles ist doch ausgemachter Wahnsinn , kam ihm in den Sinn.
»Denk daran: Wir müssen die Katapulte zerstören. Das ist die beste Chance, die wir der Armee der Jadekaiserin und Kishon verschaffen können«, erinnerte ihn Nagamoto.
Danny nickte, drückte die Maschine tiefer, bis sie nur wenige Dutzend Meter über den Köpfen der Soldaten dahinfegten. An den Flanken der Schwarzen Horde stürmten die Mantikor-Bestien vorwärts, löwenartige Monster mit seltsamen, menschlich anmutenden Gesichtern, einem feuerroten Fell und blutroten Mähnen. Am gefährlichsten waren jedoch die langen Peitschenschwänze mit ihren giftigen Stacheln. Hinter den schwarz uniformierten und gepanzerten Fußsoldaten stampfte eine ganze Reihe Riesenskorpione, einige von ihnen wahre Titanen, so groß wie Autobusse oder Kampfpanzer. Die Schwarze Horde wusste wirklich jeden Schrecken aufzubieten, den die Steppen und Wüsten Neoperseuons hergaben.
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