»Ich habe Neuigkeiten und Befehle des Dunklen Meisters. Der Goldkaiser ist tot, und in Kadingira greift Panik um sich. Die Königin ist verschwunden und die Allianz der Verlorenen vernichtet, was hoffentlich auch Eure Sorgen wegen dieses vermaledeiten Luftschiffs beseitigt«, verkündete der Achte.
Ein wenig bedauerte Ernie diese Neuigkeiten. Zu gern wäre er es gewesen, der Tom Packard und Vanessa vernichtet hätte. Doch zuerst kam der Dienst am Schwarzen Manifest, dann das Vergnügen. Erneut verbeugte er sich gehorsam vor seinem Gebieter. »Und Euer Aufstieg?«, fragte er halblaut.
Der Achte schwieg einen Moment. Ernie glaubte, Zorn und Enttäuschung hinter dem Schleier zu spüren. Dann sprach er: »Eins nach dem anderen, Mordkommandant. Zuerst der Sieg über Kishon. Erinnert Euch an die Prophezeiungen des Schwarzen Manifests. Die Vollkommenheit ist nicht ohne Blut und Schmerz zu erkaufen. Doch unser Triumph ist nahe. Die verräterische Seelenkönigin befindet sich in der Gewalt des Dunklen Meisters. Zu gegebener Zeit wird er über sie Gericht halten. Die Prophezeiung wird sich erfüllen, daran habe ich keinen Zweifel.« Er klang gelassen, fast schon gut gelaunt.
»Wann greifen wir an?«, wollte Pratzgul wissen. Ernie sah dem mächtigen Schrat an, wie es ihm in den Fingern juckte, das Blut der Stadtbevölkerung zu vergießen.
»Heute Abend ist es so weit. Pratzgul und Tilesck, Ihr werdet die Stadt attackieren. Für Euch, Fraud, habe ich eine andere Aufgabe. Unsere Geheimwaffe ist vollendet, alle Vorbereitungsarbeiten sind abgeschlossen. Diesmal wird Kishon fallen. Wir werden die Stadt vollständig vernichten«, verkündete der Achte.
Endlich! Auf diese Entscheidung hatte Ernie gewartet. Endlich durften sie losschlagen und dem Schwarzen Manifest zu einem weiteren Schritt auf seinem Siegeszug verhelfen.
Als hätte das ganze Lager die Befehle des Achten vernommen, erklang plötzlich das aufgeregte Geschrei der Krieger. Befehle wurden gebrüllt, Melder eilten hin und her. Pratzgul und Tilesck wandten sich überrascht um. Selbst der Achte wirkte für einen Moment verwirrt. Ernie begriff, dass der Tumult keineswegs mit den Befehlen seines Anführers zu hatte. Im Westen hinter den fernen Dünen tauchte etwas auf, das ihn ebenso erstaunte wie maßlos entsetzte.
Als würde er aus dem Sand herauswachsen, schob sich dort ein gewaltiger, silberner Körper über den Horizont, immer höher. Der Sonnenaufgang spiegelte sich in goldenen, roten und violetten Farben auf der riesigen Hülle wider. Es war ein Zeppelin, keine krumme und unausgegorene Konstruktion wie die Allianz der Verlorenen , sondern ein wahrhaftiges Luftschiff aus den zwanziger Jahren. Jetzt erreichte auch das Brummen der Propellermotoren Ernies Ohren. Vier vom Rumpf abstehende Gondeln trieben das titanenhafte Ding vorwärts, und es war schnell, Teufel, war es schnell! Am Bug stand etwas mit schwarzen Lettern geschrieben. Mühsam entzifferte Ernie: USS Los Angeles ZR-3. Dann erstarrte er. An den Heckflossen prangte das Hoheitszeichen Talassairs: drei silberne Gipfel vor einem orangefarbenen Sonnenaufgang auf grünem Grund.
»Die Allianz «, keuchte Pratzgul ungläubig. »Die Allianz der Verlorenen ist gekommen!«
Auf Tom wirkte die ganze Situation so unwirklich, wie sie nur sein konnte. Er saß in einem luxuriösen Ledersessel an Bord der Reisegondel eines Zeppelins, während neben ihm Brokaris und Morga ihre Waffen und Ausrüstung überprüften. Die Hexe und der Schrat wirkten in dieser Umgebung, als hätten sich Figuren aus einem Märchenbuch in die moderne Welt verirrt. Morgas Waffen waren eine Reihe scharfer Dolche, während Brokaris mit ihrem Besen als Kampfstab auskam.
Teile des Luftschiffs waren in einen großen Frachtraum umgebaut worden, in dem Floyd sein Arsenal transportierte, und als würde das noch nicht genügen, hing an einem externen Greifarm die Blue Tiger , das zweite von Floyds P-51D Mustang -Rennflugzeugen.
»Ich sagte doch, dass ich alles überbieten kann. Ich bin der König der Lüfte«, meinte Floyd, der im Führerhaus des Zeppelins auf und ab ging, an dessen Steuerrad ein uniformierter Offizier stand.
Dort vorn befanden sich auch Veyron und Wimille und der Rest der Crew. Veyrons Bruder zeigte ein reges Interesse an der, wie er sich ausdrückte, primitiven Steuertechnik und den zahlreichen Instrumenten. Pausenlos machte er Verbesserungsvorschläge.
»Immerhin sind die Auftriebtanks nicht mit Wasserstoff, sondern Helium gefüllt und bei Weitem nicht so entzündlich. Dennoch: Auch ein Zeppelin ist kein Kriegsschiff und für direkte Angriffe ungeeignet«, ließ er Floyd wissen.
Der König Talassairs, der standesgemäß seine Wüstenuniform angelegt hatte – goldene Schärpe und die Brust voll sinnloser, klimpernder Orden – winkte ab. »Ach was! Wir setzen ja nur die ›Allianz der Verlorenen‹ ab, zusammen mit den Amazonen und Puff , dem Zauberdrachen«, erwiderte der König.
Toink, der neben seinem Herrscher saß, knurrte zustimmend. Der Zwerg; an dessen Stuhl seine Baker-Muskete lehnte, stopfte gerade seine Pistolen.
Die ›Allianz der Verlorenen‹ , dachte Tom. Das war nicht länger ein provisorisches Luftschiff, sondern eine verschworene kleine Schar furchtloser und verrückter Krieger. Noch in Teyrnas Annoth hatte ihnen Veyron seinen Plan erläutert, von dem Brokaris und Morga gleich Feuer und Flamme waren. Tom musste die beiden nicht einmal bitten, genauso wenig wie Wimille. Es kam ihm fast so vor, als würde Veyrons Bruder ihn inzwischen fast schon … ja was? Verehren, das traf es wohl, und bei allem mitmachen, das Tom unternahm. Nagamoto und Danny wollten sich ebenfalls nach Kishon begeben. Für sie gab es auf der Konferenzinsel nichts mehr zu tun.
»Da die Schwarze Horde für alle Unbilden der letzten Zeit verantwortlich zeichnet, sollten sich die Simanui die Bande einmal genauer ansehen«, entschied Nagamoto.
Tom konnte Danny ansehen, wie erleichtert und glücklich er über den Beschluss seines Meisters war. »Wurde auch allerhöchste Zeit, Tatsyu!«
»Und ich bin auch dabei«, meldete sich Vanessa.
Das überraschte Tom, doch er wagte es nicht, ihre Entscheidung zu kommentieren. Zu seiner noch größeren Verblüffung schlossen sich ihnen Owain, Sarah, Jordi und Ellen an, die vier jungen Hordlinge. Als sie erfuhren, dass sich Morga, ein ehemaliger Hauptmann der Schrate, von der Horde abgewandt hatte, sahen auch sie keinen Grund mehr, länger an den Aussagen des Schwarzen Manifests festzuhalten. Zuguterletzt traten dann auch noch Toink, Jane und Floyd der ›Allianz der Verlorenen‹ bei, genau wie Veyron.
»So eine Unternehmung braucht ja auch Leute mit Verstand«, brachte der Zwerg als Argument vor.
Nachdem sich bereits alle Mann an Bord Los Angeles befanden, meldeten sich die Amazonen bei Floyd.
Weißes Mädchen, die junge und furchtlose Königin, bestand darauf, zusammen mit ihren Kriegerinnen nach Kishon gebracht zu werden. »Wenn Ihr der Jadekaiserin und dem Großkönig schon Eure Wundermaschinen für die Heimreise zur Verfügung stellt, so verlange ich, dass Ihr mich und meine Begleiterinnen zu einem Ort unserer Wahl bringt. Wir wollen nach Kishon, wo es vielleicht Ruhm zu ernten gibt, wenn schon sonst nichts auf der Welt existiert, das für uns Amazonen eine Herausforderung wäre.«
Dem Begehren der jungen Königin gab Floyd sofort statt. Für ein Dutzend Pferde sei durchaus noch Platz im Frachtraum der Los Angeles . Er bestand nur auf einer Sache: »Finger weg von Puff ! Er ist sehr empfindlich. Und die Pferdeäpfel werden alle aufgesammelt.«
Nachdem nun alle für den Flug nach Kishon an Bord waren, wandte sich Veyron an die ungewöhnlichen Passagiere. »Ladys und Gentlemen, wir alle sind jetzt die ›Allianz der Verlorenen‹. Jeder von uns hat seine eigene Geschichte, die ihn zu einem Verlorenen macht. Einige wurden verstoßen und kämpften einsam für ihre Ziele, andere haben sich in der Tat verloren und gehören eigentlich ganz woandershin. Aber alle haben wir das gleiche Ziel: Wir stehen gegen die Schwarze Horde und die Barbarei, die sie verkörpert. Unser Ziel ist Kishon, eine belagerte und dem Untergang geweihte Stadt. Es wird zweifellos zum Kampf kommen, und es gibt keine Garantie für unsere Rettung. Wer also die Allianz lieber wieder verlassen will, der soll sich jetzt melden.«
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