„Ich denke, den beiden könnte eine Eheberatung helfen.“
Wurde Stephanie rot, oder täuschte ich mich.
„Du hörst dich an, als wüsstest du, von was du redest“, bohrte ich nach.
Stephanie wurde definitiv rot.
„Ich, wir, Christoph und ich“, stotterte sie herum, „waren auch einmal, ich meine …“
„Wie, ihr ward auch einmal bei einer Eheberatung?“, fragte Eva ungläubig nach und bekam große Augen. „Ich dachte immer, nach Anneliese hättest du die beste Ehe von uns allen. Zumindest hast du dich immer so angehört.“
Kämpfte Stephanie mit den Tränen?
„In jeder guten Ehe, gibt es eine Zeit der Probleme. Ich hatte Tage, da hat es mich schon alleine aufgeregt, wie Günther ins Frühstücksbrötchen gebissen hat“, gab Anneliese zum Besten.
Ihre Bemerkung erzielte jedoch nicht den gewünschten Effekt. Keiner lachte. Im Gegenteil, Stephanie brach in Tränen aus, Eva und Trudi machten bestürzte Gesichter, und ich hatte inzwischen das dumpfe Gefühl, die Hauptverantwortliche für die dramatische Wende zu sein, die unser sorglos-netter Abend genommen hatte.
„Christoph hat eine … er hat eine Freundin“, brachte Stephanie unter Schluchzen hervor.
Wir schwiegen betroffen.
„Es geht bereits seit einiger Zeit. Sie, sie ist alles, was ich nicht bin. Sexy, klein, …“
Der Rest ging in ihrem haltlosen Schluchzen unter. Anneliese erwachte als erstes aus ihrer Starre und nahm Stephanie spontan in die Arme.
Wiederum legte ich den Kopf in den Nacken. Ich war aus den Sternen gefallen. Ihr Glanz zerfloss zusammen mit den Tränen auf meinen Wangen. Ich fühlte mich schuldig, und die Sterne standen kalt und zu weit weg am Nachthimmel. Sie konnten mir nicht mehr helfen. Ihr vielversprechendes Funkeln, das mir eben noch ein Gefühl von Harmonie und Einigkeit vermittelt hatte, war zu einem kalten, abstoßenden Glänzen geworden. Ich war nicht mehr eins mit ihnen, nicht mehr mit der Welt und auch nicht mit meinen Freundinnen. Ich fühlte mich schuldig. Wegen meiner Beharrlichkeit waren Frauke und ihre Probleme bloßgestellt worden, und wegen mir war Stephanie nun ein hilflos schluchzendes Bündel in Annelieses Armen. Ich hätte alles auf sich belassen sollen.
Wie oft hatte ich mir am dritten Abend gewünscht, Klaus hätte eine Freundin, eine, die er zweimal die Woche durchziehen konnte. Gewiss der Gedanke war aus Wut über den sexuellen Druck entstanden, den er an solchen Abenden auf mich ausübte. Laut geäußert hatte ich diesen Wunsch bisher noch nie. Ich werde mich auch in Zukunft davor hüten, Klaus diesen Freibrief zu geben. Auch wenn ich wusste, dass Klaus eine Frau ohne weiteres mindestens fünfmal die Woche durchziehen konnte, ohne dabei größere Gefühle für sie zu haben. Erfuhr ich das nicht regelmäßig am eigenen Leib? Ebenso regelmäßig wie sich Klaus und ich alle dreiundzwanzig Tage, wenn ich mich wieder in meinem absoluten Hormon- und auch sonstigen Formtief befand, über unsere oder hauptsächlich meine sexuellen Schwierigkeiten unterhielten. Leider ist es mir in den vergangenen sechzehn Jahren zu besagter Zeit des Monats noch nie gelungen, ihm erstens meine fehlende Lust auf Sex so nahe zu bringen, dass er sie verstand, und ihm zweitens zu vermitteln, sie nicht persönlich zu nehmen, sondern sie einfach als das hinzunehmen, was sie war: eine temporäre, meist vier Tage währende Un-Lust. Aber vielleicht lag eben darin mein Denkfehler? Vielleicht sollte Klaus es sehr wohl persönlich nehmen. Wieder kam mir Juttas Ausspruch in den Sinn. Es war wie ein Singsang. Die Männer wissen gar nicht, wie einfach sie es haben könnten. Die Männer wissen gar nicht, wie einfach …
„Sich einfach eine von den Laborantinnen in seinem Zahnlabor anzulachen, weil er sich vernachlässigt fühlt, seit die Kinder da sind, finde ich eine billige Ausrede“, regte sich Anneliese nun auf.
Tja, so einfach ging es eben auch. ‚Wer es zuhause nicht oft genug bekommt, sucht es sich woanders‘, war Klaus‘ Ausspruch in solchen Situationen. Hatte ich das wirklich gerade gedacht? Verwundert schüttelte ich den Kopf. Wie kam ich dazu, Christophs Partei zu ergreifen?
„Es sind auch seine Kinder“, entrüstete sich Trudi. „Und im Übrigen hätte ich von ihm erwartet, dass er für deine Situation mehr Verständnis aufbringt. Du arbeitest Vollzeit, hast zwei Kinder und hast letztes Jahr deine Mutter verloren.“ (Trudi hatte zu diesem Anlass ein besonders geschmackvolles Grabgesteck gemacht.)
Enthemmt vom Alkohol, hatte ich das dringende Bedürfnis, die Sache auf Juttas Punkt zu bringen. Nicht zuletzt vermutete ich in Stephanie eine zukünftige Verbündete. Denn ich wusste zufälligerweise recht genau, dass sich ihr Mann so gut wie nie um die Kinder kümmerte.
„Trudi hat Recht, wen wundert es da, dass du dich in einem Dauerzustand der Erschöpfung befindest und abends im Bett nicht noch Miss Wonderful spielen kannst.“
Die Art und Weise, wie sich Stephanies Schluchzen intensivierte, schien meine Aussage zu bestätigen.
„Diese Scheiß-Männer wollen doch immer nur das Eine. Und wir sind ihnen Wurst“, murmelte Eva.
Waren diese Worte wirklich aus Evas dick über die Ränder geschminktem Mund gekommen? Ich frohlockte. Wer hätte gedacht, dass ich ausgerechnet in Eva eine weitere Verbündete finden würde?
Um halb drei trugen wir die leeren Weinflaschen und unsere Gläser in die Burg hinein. Um Stephanies Enthüllung besser verkraften zu können, hatten wir noch einmal zwei Flaschen geköpft. Wir waren Zeuginnen einer maßlosen Traurigkeit geworden, hatten unsere Freundin nach Kräften getröstet, sie wechselseitig in die Arme genommen und ihr versichert, sie wäre eine ganz, ganz tolle Frau, und ihr Mann ein Idiot, wenn er dies nicht sehen könnte. Zu guter Letzt sanken die Buchclubdamen körperlich und seelisch erschöpft in ihre Betten.
Ich konnte nicht einschlafen. Jedes Mal, wenn ich die Augen schloss, hatte ich das Gefühl auf einem sich zu schnell drehenden Karussell zu sitzen. Ich stand auf und schlich nach draußen. In keinem der drei Häuser brannte mehr Licht. Der Mond musste spät aufgegangen sein. Er stand als Sichel am Himmel. Ein warmer Wind strich durch die Weinblätter der Pergola. Ich streifte die dünnen Träger meines Nachthemds von den Schultern, ließ es zu Boden gleiten, wollte elegant wie eine Hollywood-Diva darüber hinweg steigen, verfing mich mit dem Fuß im Stoff, stolperte, schrie und schlug mir das Knie auf. Ich hinkte zum Poolrand, setzte mich und versuchte in tiefen, gleichmäßigen Zügen ein- und auszuatmen. Eine Welle der Übelkeit drohte mich zu überspülen. Nach einiger Zeit sah ich mich von oben dort sitzen, eine bläulich-weiße Frauenfigur wie auf einem Rubensgemälde. Die Brüste unter den runden Schultern, exquisit von Form, nicht zu groß und nicht zu schwer, darunter der Bauch gewölbt (möglicherweise auch gebläht), die weißen Schenkel dick und satt auf der steinernen Poolumrandung. Vom Knie tropfte es dunkelrot-schwarz ins Wasser. Ich beobachtete wie die Rubensfrau vornüber sank, und für den Bruchteil einer Sekunde fragte ich mich, was mit ihr geschah, ehe mich das kalte Wasser zur Besinnung brachte. Prustend tauchte ich auf und klammerte mich wie eine Ertrinkende am Poolrand fest. Ich hörte Schritte, leise, wie von Katzenfellschuhen.
„Martin?“
„Katrin?“
Sie hätte nicht schlafen können und als sie hier draußen einen Schrei gehört hätte, wäre sie aufgestanden, um nachzusehen, ob es eventuell Stephanie wäre, die Hilfe bräuchte, erklärte Anneliese und zog mit großer Selbstverständlichkeit ihr Nachthemd aus und stieg über die Leiter in den Pool. Ihre neugierige Frage, wieso ich gedacht hätte, dass sie Martin wäre, ließ ich unbeantwortet und schilderte anstatt dessen, wie ich mir das Knie aufgeschlagen hatte. Die Wunde wäre nicht tief und würde schon nicht mehr bluten, versicherte ich. Ich hatte keine Ahnung, ob das stimmte, wollte aber um keinen Preis vor Annelieses Augen, Blutbad hin oder her, aus dem Pool steigen.
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