Woraufhin Ella warnend mit dem Hammer mehrmals in ihre linke Hand schlug.
Die Situation drohte zu eskalieren – und sie, sie hatte ihr iPhone, leichtsinniger Weise, in der Nachttischkonsole verstaut und konnte noch nicht einmal einen Notruf absenden.
Eugen versetzte ihr einen Hieb gegen ihre Schulter, doch dieses Mal behielt Ella, dank ihrer Springerstiefeln, ihre Standhaftigkeit und sie stand wie eingemauert in der Erde da.
Ironisch grinsend umkreiste er die Standhafte und es war nur eine Frage der Zeit bis Ellas Hammer zum Einsatz kommen würde.
Ein weiteres Mal gab er ihr einen Hieb, diesmal gegen ihren Oberarm, woraufhin sie etwas sagte, was er lachend ignorierte, dann marschierte sie auf seinen Wagen los, schenkte Eugen einen triumphierenden Blick, holte mit dem Hammer weit nach hinten aus und schlug seinem Schätzchen, dem neuen BMW Z4 , den linken Scheinwerfer zu Bruch, dann sagte sie etwas und ging zum nächsten Scheinwerfer der ebenfalls dran glauben musste.
Eugen ging vor dem Wagen auf die Knie und schlug fassungslos die Hände über seinem Kopf zusammen.
Wortlos und absolut cool kam Ella zum Wagen zurück, stieg ein, schnaufte einmal kräftig durch, startete den Motor und fuhr los.
Marie-Claire war geschockt! Ja, sie war wie gelähmt von dem was sich gerade vor ihren Augen abgespielt hatte, dabei war sie sich nicht sicher, ob sie Ella zu ihrem Mut gratulieren, oder sie für ihre Dummheit ausschimpfen sollte, denn der neue BMW rangierte in Eugens Leben – zurzeit jedenfalls – an erster Stelle. Sie wollte etwas sagen, befand aber, dass es besser wäre die entstandene Dramatik erst einmal gedanklich abkühlen zu lassen.
Zuhause angekommen verschwand Ella, wortlos und augenscheinlich auch vollkommen gelassen, in ihrem Schlafzimmer um den Kampfanzug gegen ihre Alltagsklamotten einzutauschen.
Marie-Claire war das Himmelfahrtskommando und überhaupt die neue Situation auf den Magen geschlagen, sie zog sich in ihr Zimmer zurück, um zum einen ihren Kram zu verstauen, und zum anderen ihr Aufgewühlt-Sein zu ordnen. Mit dem Ersten hatte sie keine Probleme, nur mit der inneren Ordnung da tat sie sich schwer, denn Eugen und ihre Ehezeit ließen sich nicht so einfach in die Schublade des Vergessens stecken. Erneut versuchte sie ihre Gefühle für Eugen zu analysieren und wiederholt suchte etwas in ihr nach Entschuldigungen für sein Verhalten. Penibel genau zogen ausgerechnet jene Bilder vor ihrem geistigen Auge vorüber die sie als glückliches Paar, fröhlich und lachend, zeigten. „Stopp! Stopp!“, rief sie sich selbst kopfschüttelnd zur Räson, wobei sie fest mit beiden Händen gegen ihre Schläfen presste. „So funktioniert das nicht“, fluchte sie zähneknirschend. Verärgert riss sie das Fenster auf, und wenn in diesem Augenblick jemand zu ihr gesagt hätte: spring raus und du wirst gedankenbefreit sein, hätte sie es womöglich getan.
„Na, mein Kind“, drangen die Worte ihrer Mutter zu ihr empor, „hat alles wieder seinen Platz?“
Ihrer Gedanken jäh ertappt, blickte sie erschrocken zu ihr hinunter. „Wenn das mal so einfach wäre“, seufzte sie und fühlte sich unter den Augen ihrer Mutter wieder einmal gläsern.
„Komm setz dich zu mir“, rief Ella ihr zu, „lass dich vom milden Frühlingswind durchlüften“, wobei sie mit der Hand einladend auf die Gartenbank klopfte.
Als Marie-Claire unten ankam, saß ihre Mutter mit geschlossenen Augen in der Frühlingssonne. Hin und wieder huschte ein schelmisches Grinsen über ihre Mundpartie.
„An was denkst du?“, fragte Marie-Claire neugierig.
Langsam zog ein breites Grinsen über Ellas Gesicht, kurz setzte sie zum Sprechen an, brach dann aber wieder unvermittelt ab.
„Nun, sag schon“, animierte sie ihre Mutter und gab ihr einen leichten Seitenhieb mit dem Ellenbogen.
Ella griff unter die Bank, zog ein Pappschild hervor worauf in roter Farbe geschrieben stand: Ich bin ein feiger Frauenschläger! „Allzu gerne hätte ich Eugen an den Gartenpfosten vor seinem Haus gefesselt und ihm dieses Schild um den Hals gehängt.“
„Ella!“, entsetzte sich Marie-Claire, „deshalb also das Seil! Nur gut, dass es nicht dazu kam“, fügte sie kopfschüttelnd an. Dennoch musste auch sie bei der Vorstellung schmunzeln. „Aber mal ganz ehrlich, Ella, hattest du keine Angst vor ihm?“
Ella sah sie an, überlegte und sagte schließlich: „Nein, nicht vor ihm, sondern nur vor der Situation!“
„Wie meinst du das?“
Achselzuckend antwortete sie: „Ich weiß nicht wie ich reagiert hätte, wenn er wirklich handgreiflich geworden wäre.“
„Du meinst …“
„Ach, lass mal gut sein“, fiel sie ihrer Tochter ins Wort, „wir wollen jetzt keine Horrorszenarien kreieren. Versuch ihn zu vergessen. Der Mistkerl ist unsrer Gedanken nicht wert!“, wobei sie ihr einen aufmunternden Blick zuwarf und ihre Hand drückte.
Marie-Claire nickte stumm, zeitgleich zogen vor ihrem geistigen Auge die Bilder des Morgens vorüber und mit ihnen wurde ihr übel, denn sie wusste nicht wie Eugen auf die Sachbeschädigung seines neuen Sportflitzers reagieren würde.
Das Thema geschickt wechselnd sagte Ella: „Laurel kommt.“
„Laurel kommt!“, wiederholte Marie-Claire freudig überrascht.
Laurel, ihr zehn Jahre älterer Bruder, war Flugbegleiter und tauchte nur sporadisch, und wenn sein Dienstplan es zuließ hier auf. Seit dem spurlosen Verschwinden ihres Vaters hatte sie zu Laurel ein besonderes Verhältnis. Als Kind hatte sie ihm ihre kleinen und später, als junge Erwachsene, ihre großen Sorgen anvertraut: er war Freund, Ratgeber und Beschützer an den sie sich jeder Zeit anlehnen konnte – ja, bis Eugen in ihr Leben trat, ab da war alles anders: Eugen reagierte mit Eifersucht und tat alles um sie von ihrem Bruder fernzuhalten.
„Er kommt mit der Frühmaschine und wird pünktlich zum Frühstück hier sein“, fügte Ella mit strahlenden Augen an.
Chef bemerkte sogleich ihre Euphorie und saß mit einem gezielten Sprung auf ihrem Schoß.
„Keine Angst“, tröstete Ella den kleinen Kerl, „du wirst Laurel mögen.“
Der Kater machte es sich bequem und bat mit einem leisen Miauen um ein wenig Zärtlichkeit – die er auch bekam. Und Ella schien es sichtlich zu genießen den kleinen pelzigen Kerl zu kraulen, er wiederum, dankte es ihr mit einem zufriedenen Schnurren.
Schweigend saßen sie in der wärmenden Frühlingssonne und sahen dem Erwachen der Natur zu. Sie ließen den lieben Gott einen guten Mann sein und entspannten sich so gut sie konnten – außer dem kleinen Kater, er folgte seinem Instinkt und beobachtete, mit vorgetäuschter Gelassenheit, die Blaumeisen die mit ihrem Nestbau beschäftigt waren und eifrig im Kirschbaum umherflatterten. Die Welt war für den Moment und für alle in Ordnung.
Marie-Claire fiel am frühen Abend todmüde ins Bett, sie schlief auch sofort ein, doch gegen zwei Uhr war die Nacht zu Ende – sie und ihre Gedanken waren hellwach. Vor ihrem geistigen Auge wiederholt sich das Himmelfahrtskommando: sie sieht Eugen, sieht die vielen Rosenblätter die über den Boden bis ins Schlafzimmer verteilt lagen, sieht wie Ella mit dem Hammer die Scheinwerfer seines neuen Sportflitzers zerschlägt und wie er fassungslos davor kniet, doch dann, wie von Teufelshand gelenkt, schlossen sich andere Bilder an, Bilder aus glücklichen Tagen mit Eugen. Mit schmerzendem Herzen wälzt sie sich von einer Seite zur anderen. Jetzt nur keine alten Gefühle durchs Hintertürchen lassen, ermahnte sie sich selbst – doch keine Chance, das komplette Bildmaterial hing in einer Endlosschleife fest. Verärgert sprang sie schließlich aus dem Bett, schlüpfte in ihren Morgenmantel und schlich hinunter in die Küche, um ihr Aufgewühlt-Sein mit heißer Milch und Honig zu besänftigen. Auf künstliches Licht konnte sie verzichten, denn der Vollmond leuchtete durch Tür- und Fenstergläser, ansonsten spendeten Uhren von Mikrowelle und Elektroherd genug Helligkeit um sich zurechtzufinden. Ein wenig später stand sie mit dem wohltuenden Heißgetränk am Küchenfenster. Chef schien auf Beutefang zu sein, unbeweglich, mit gespitzten Ohren und aufrechtstehendem Schwanz, stand er mitten auf dem Gartenweg, wobei sein Schatten überdimensional groß und furchteinflößend hinter ihm lag. Plötzlich schoss er aus dem Stand heraus ins Kräuterbeet. „Oha!“, stieß Marie-Claire erstaunt hervor und beäugte neugierig das Geschehen. Kurze Zeit später tauchte er mit seiner Beute im Maul wieder auf, mit erhobenem Kopf und voller Stolz marschierte er Richtung Hauseingang. Auweia, dachte Marie-Claire schmunzelnd, wahrscheinlich wird ihre Mutter dieses Geschenk mit einem Lächeln entgegennehmen und ihn dafür mit einer extra Portion feinstem Katzen-Ragout belohnen. Wie auch immer, sie gönnte Ella ihren neuen vierbeinigen Lebensabschnittsgefährten, der ihr ein Stück weit ihre Einsamkeit nahm. Mit einem kleinen bitteren Seufzer, das vielmehr ihrer eigenen Lebenssituation galt, ging sie wieder zu Bett, und als sie endlich den ersehnten Schlaf gefunden hatte, wurde sie von einem furchtbarer Traum aufgesucht:
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