Am nächsten Tag – ich verbrachte die Mittagspause mit Mark in seinem Büro – steckte plötzlich die Nervensäge seine Nase ausgerechnet zu uns herein. Nicht zu fassen!
Der Erdbeerjoghurt blieb mir, obwohl linksgedreht, klebrig im Hals hängen, und meine Laune sank jäh in den Keller. „Geh weg!“, schrie es in mir, und ich bemühte mich, nicht auszurasten.
Christoph, den es überhaupt nicht störte, hier vor dem Mann meiner Träume zu stehen, reagierte auf die angespannte Stimmung und fragte besorgt: „Was ist denn los, Schatzi, fühlst du dich heute etwa nicht wohl?“ (Gebt mir ein Gewehr, ein Messer, irgendwas ...) Es kümmerte ihn nicht im Geringsten, dass er mich bis auf die Knochen blamierte.
Krampfhaft darum bemüht, Haltung zu bewahren, erwiderte ich kühl: „Erstens bin ich nicht dein „Schatzi“, und zweitens solltest du dringend einen Gang runterschalten, wenn du nicht willst, dass es hier gleich richtig knallt!“ Es mag böse klingen, aber ich war stolz auf mich – ich hatte viel zu lange gezögert, ihm genau das zu sagen.
Aus den Augenwinkeln sah ich Marks amüsierten Blick und bemerkte, dass ihm die Darbietung gefallen hatte. Bisher regungslos abwartend wie eine Raubkatze, brachte er nun ohne Umschweife zu Ende, was ich begonnen hatte, indem er zu Christoph sagte: „Jetzt mach dich mal nicht weiter lächerlich! Merkst du nicht, dass diese Frau 'ne Nummer zu groß für dich ist? Aber du hast selbstverständlich die Wahl: Entweder du lässt Norma ein für allemal in Ruhe, oder ich rede mit Gerlinde, und du kannst noch heute deine Papiere abholen!“
Das alles hat Christoph letztendlich dann doch überzeugt. Von da an sagten wir nicht mal mehr „Hallo“ zueinander, aber damit konnte ich leben. Ich brauchte ihn ungefähr so dringend wie einen Kropf.
Erleichterung darüber, dass es vorbei war, machte sich breit, und ich war geschmeichelt, dass Mark zu mir gestanden hatte. Obwohl ich seine Reaktion in puncto Eifersüchtelei nicht ganz verstand, freute sie mich. Aber des Rätsels Lösung blieb verborgen: Wieso mimte er mit einem Mal den Besitzergreifenden? Schließlich war er es, der einer Frau vor Jahren Liebe und Treue bis in den Tod versprochen hatte! Nichtsdestotrotz machte Mark mittlerweile unmissverständlich deutlich, dass ich ihm nicht gleichgültig war, und wäre Christoph nicht so ein Vollpfosten, hätte ich mich vielleicht sogar bei ihm dafür bedankt – denn er war eindeutig der Auslöser gewesen.
Während in Paris und New York halb verhungerte Models über den Laufsteg staksten, stand bei uns die „in fashion munich“ auf der Praterinsel vor der Tür – eine europäische Modemesse und Höhepunkt des Jahres für alle Modeinteressierten.
„K-Messe“ betreute dort nicht nur diverse Kunden, sondern war über eine gewonnene Ausschreibung auch bei der Vorbereitung am Gesamtkonzept intensiv beteiligt. Extravagante Labels und Designer aus den Bereichen Casual, Street Fashion und Dressed up beabsichtigten, dem Fachpublikum ihre neuesten Kollektionen zu präsentieren. Zu diesem Schauspiel gehörten natürlich ein in Szene gesetzter Catwalk und ein aufwändiges Drumherum.
Die Praterinsel, eine Insel in der Isar, wurde schon seit Langem den schönsten Veranstaltungsorten Münchens zugeordnet und gliederte sich zwischen dem Deutschen Museum und dem Maximilianeum ein. Das stilvolle Ambiente einer niveauvoll restaurierten alten Fabrikhalle mit einem prächtigen Innenhof und die zentrale Lage hatten bereits in der Vergangenheit die Lifestyle-Orientierten von nah und fern herbeigelockt.
Das prophezeite nicht nur, dass viel Arbeit auf Erledigung wartete – wir hatten Hochsaison von jetzt auf gleich. Nach meiner Einarbeitung und der bestandenen Probezeit wurde ich jetzt erstmalig richtig gefordert und ins kalte Wasser geworfen. Doch bei einem Großprojekt wie diesem mit dabei zu sein, war einfach gigantisch und machte wirklich Spaß. So brauchte es beispielsweise für den Accessoire-Bereich einige Stände, die ich eigenhändig mit entwarf. Und dass man mir als Frischling eine solche Chance bot, war keine Selbstverständlichkeit. Emsig machte ich mich ans Werk, und die Entwürfe bestachen bereits am Monitor in der zweidimensionalen Darstellung. Wie würden sie erst aussehen, wenn sie fertig gebaut waren?
Aber bis dahin war noch furchtbar viel zu tun. So galt es unter anderem dafür zu sorgen, dass sich eine Firma wie „Light & Sound“ an die Vorgaben hielt und einen guten Job ablieferte, denn die Ausleuchtung des ganzen Spektakels musste perfekt funktionieren. Für die Zeit vor und nach den Shows hatten wir eine Sängerin engagiert, die einen eigenen Raum für ihre Garderobe forderte, aber auch hier war eigentlich der Ton das A und O. Dann musste ich Lieferanten für die verschiedensten Materialien auftreiben, die für die Extras an den Ständen vorgesehen waren, und diese kurzfristig bestellen. Und, und, und.
Ein Rädchen griff ins andere, und alles passierte irgendwie gleichzeitig. Mir schwirrte der Kopf, während ich stundenlang mit einer Werbeagentur stritt, die es einfach nicht schaffte, den richtigen Farbton für die Plakatwände zu finden, oder mich mit den Sponsoren herumkabbelte, die trotz unterschriebener Verträge nach wie vor um jeden Cent feilschten.
Es gab also allerlei Nebenkriegsschauplätze, die dafür sorgten, dass es spannend blieb. Zwar wurden Überstunden geschoben und auch am Wochenende geschuftet, weswegen ich meine sozialen Kontakte auf ein Minimum reduzierte, aber die Vorfreude auf die bevorstehende Eröffnung tröstete mich schnell darüber hinweg.
Wie ich hörte, lief Helga für MARIMEKKO und seine finnischen Designer, die aufgrund ihrer Farbenpracht und ihrer stofflichen Vielfalt bereits im ganzen Land bekannt waren. Sie sollte dem Publikum die neueste Kollektion vorstellen und die Einzelanfertigungen progressiv-avantgardistischer Strömungen ankurbeln.
Es wäre gelogen, würde ich behaupten, dass mir das nichts ausmachte. Es machte mir nämlich etwas aus! Da nützte auch das Insiderwissen darüber nichts, dass ihr diese Ehre nur deshalb zuteilwurde, weil das vorgesehene Mannequin mit einem Magengeschwür in der Klinik lag und ihr Agent zu den Finnen einen guten Draht hatte. Natürlich wollte ich mir ihren Lauf nicht entgehen lassen, aber da war noch etwas anderes: Auch Mark würde da sein, sie sehen und ihre Schönheit kaum leugnen können.
Und nun war ich diejenige, die mit dem lähmenden Gefühl grenzenloser Eifersucht zu kämpfen hatte. Ein Gefühl, das unpassender nicht hätte sein können! Aber so sehr ich auch versuchte, dagegen anzukämpfen, es gelang mir nicht, meine Besorgnis unter den Teppich zu kehren. Doch Besorgnis weshalb? Weil ich neben Helga sichtbar schlechter abschnitt? Weil ich nicht halb so sexy war wie sie? Weil ich die Tricks nicht kannte, mit denen man die Leute verzauberte? Ganz genau – genau aus all diesen Gründen!
Die Tage vor Beginn der Messe arbeitete unsere Abteilung mit den Monteuren aus dem Rückgebäude vor Ort Hand in Hand auf Hochtouren, um die Umsetzung der Entwürfe in Echtgröße zu betreuen und da zu helfen, wo Not am Mann war. Das bedeutete: viel kalter Kaffee aus Pappbechern und haufenweise labbrige Wurst- oder Käsesemmeln. Selbst mein nicht besonders verwöhnter Magen, der sich hauptsächlich mit Fast Food auseinanderzusetzen pflegte, wehrte sich nach der dritten Semmel gegen diese Art von Nahrung.
Ansonsten gab es Arbeit, Arbeit, Arbeit, wir nahmen Maß, klebten Folien und kletterten auf Leitern herum. Obwohl man von uns erwartete, rund um die Uhr zu ackern, muss ich sagen, dass wir durchaus unseren Spaß hatten. Die Atmosphäre war weit gelassener als in den Büroräumen, und die Abwechslung tat uns allen gut – wenngleich ich Christoph nach wie vor aus dem Weg ging.
Die verschiedenen Aufgabengebiete und die große Fläche des Events veranlassten uns dazu, mehrere Teams zu bilden. Mark hingegen, der die „Oberaufsicht“ hatte, teilte sich auf und unterstützte in jedem Bereich. Lächerlicherweise vermisste ich ihn, sobald er aus meinem Sichtfeld verschwand. Deshalb freute es mich umso mehr, dass er regelmäßig vorbeischaute. Bevor er wieder abzog, tippte Mark sich mit einem vielsagenden Blick unauffällig an die Brusttasche, die eine Schachtel Zigaretten nur mühsam verbarg, um mir zu signalisieren, dass es Zeit für eine Zigarettenpause war.
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