»Bitte folgen Sie ihrer ganz persönlichen Markierung. Ihre ID-Nummer für die nächsten zwei Tage bis zur Messe lautet 3108. Sie finden diese auch auf Ihrer ID-Card. Bitte vergessen Sie nicht Ihren Termin mit dem Heiland heute um zwanzig Uhr dreißig im Zeremonienraum. Wir wünschen Ihnen einen schönen Tag.« Die Computerstimme verstummte und im Boden begann ein grünes Symbol, ähnlich dem Windows-Pfeil, zu blinken. Unter dem Pfeil war die Zahl 3108 in rot zu sehen. Langlois folgte dem Pfeil, der scheinbar stets wusste, wo sich der Priester gerade aufhielt, diesem immer einen Schritt voraus war und ihn ins Innere der Kuppel Nummer drei führte. Zwei kleine verchromte Wägen mit Gepäck kamen Langlois, scheinbar führerlos, entgegen und folgten offensichtlich einer in den Boden eingelassenen Markierung. Auch hier war niemand zu sehen. Langlois atmete tief durch. Die Kühle im Inneren der Kuppel war ihm willkommen und er merkte erst jetzt, dass er eindeutig zu viel Sonne abbekommen hatte.
Die Architektur im Inneren der Blase war nüchtern: Rund um eine kreisförmige Grundfläche mit etwa fünfzehn Metern Durchmesser waren sternförmig, wie die Strahlen einer schematisch gezeichneten Sonne, schneeweiße Container aufgestellt. Fünfzehn Container waren so kreisförmig angeordnet und je drei übereinander. Ein Aufzug führte in den ersten und zweiten Stock. Die Markierung im Boden führte dorthin und Langlois suchte nach einem Knopf, als auch schon die Lifttür aufging. »Guten Tag, Monsieur Langlois. Ihr Habitat in der World of Wonders trägt die Nummer 3108.« Aha , dachte Langlois. Dritte Kuppel, erster Stock, Container 8 . Schon öffnete sich die Türe des Aufzugs erneut und er betrat die Galerie im ersten Geschoß, die von der Lichtkuppel an der Oberseite der Blase beleuchtet war.
Die Container waren gut lesbar beschriftet und er zog seine ID-Card durch den Schlitz. Sofort öffnete sich mit einem leisen Klick die Türe und gab den Blick auf ein makelloses, standardisiertes Inneres frei. Ein kleiner Vorraum mit Zugang zu WC und Dusche, Schrank und Kühlschrank, dahinter ging es weiter in ein schmales Wohn-Schlafzimmer, das war´s auch schon. Die Farbe des Lichts war dem der Sonne nachempfunden, es war angenehm kühl – alles in allem konnte man es hier aushalten.
Langlois stellte sein Gepäck im Vorraum ab und entnahm der Umhängetasche sein Laptop. Den USB-Stick von Bonboni hatte er separat in einem kleinen Seitenfach der Tasche versteckt. Er fingerte ihn heraus und steckte ihn an. Dann ließ er sich auf das kleine Sofa neben dem Bett fallen, schraubte die kleine Evian-Flasche auf, die neben einer Schale mit Zitronengrasaroma-Erfrischungstüchern stand, nahm einen Schluck und rief die Datei Dossier J.S., Australien auf:
Abraham John Smith alias J.S., geboren 1973 in Melbourne, Australien.
Einzelkind
Vater: Wayne Smith, Mutter: Evelyn Smith, geb. Mooreheimer
Sohn Abraham fiel zweimal auf wegen geringfügiger Drogenvergehen, wurde jedoch nie verurteilt.
Diverse Reisen nach Europa in jungen Jahren. Musiker. Choleriker. Abgebrochenes Chemie-Studium, Lehramt; von 1998 bis 2008 Sonderschullehrer in Brisbane. 2009 hatte er die Vision, er sei der Heiland. Begann ab dann, gemeinsam mit seinen ersten Anhängern billige Grundstücke nahe Chinchilla, Queensland, aufzukaufen. Erbaute in nur zwei Jahren die World of Wonders, die von seinen Anhängern so benannt wurde. Es wird laufend von Wundern berichtet. Seine Anhänger vermachen ihm üblicherweise den Großteil ihrer Ersparnisse.
J.S. hat seine Visionen eigenen Angaben nach trauminduziert. Niemand außer Blanche Freeman hat näheren Kontakt zu ihm. Sie ist bekannt für ihre Leidenschaft für schamanische Rituale. Auch Drogendelikte, auch keine Verurteilungen. Weder er noch Mrs. Freeman ließen sich jemals interviewen, wahrscheinlich aus Angst vor unangenehmen Fragen bezüglich ihrer Vergangenheit.
Assurément! Langlois konnte sich gut vorstellen, wie schwierig es für J.S. und diese Blanche sein musste, den Schein zu wahren. Er selbst gab auch nie Interviews – schließlich lief man Gefahr, das Renommee der Exorzisten von heute aufs Spiel zu setzen. Aber stand etwa irgendwo geschrieben, dass Exorzisten ins Rampenlicht treten sollten? Langlois sah sich im Wohn-Container um. Sein Blick blieb an einer Steckdose hängen.
Gütige Jungfrau , daran hatte er nicht gedacht: Die hatten hier andere Stecker. Wie sollte er denn jetzt sein Räuchergerät aufladen. Er sprang auf und holte es aus der Tasche. Die Akku-Anzeige bestätigte seine schlimmste Befürchtung - die Spannung war im unteren Bereich. Das hieß, er musste einen Adapter besorgen. Im Vorraum befand sich neben der Tür ein Info-Screen. Er trat an den Bildschirm heran und dieser erwachte zum Leben. Er drückte einen Zeigefinger auf das Help-Icon.
»Guten Tag. Wie kann ich helfen?« Wieder diese Stimme.
»Äh, ja… Ich bräuchte einen Adapter für mein… für meinen Rasierer.«
»Kann den Begriff A-dapter nicht finden. Bitte sprechen Sie erneut.«
»Adapter. Ich brauche einen Aadaapteer…«
»Kann den Begriff Aadaapteer nicht finden. Bitte sprechen Sie erneut.«
Langlois´ Magen knurrte.
»Wo kann ich essen?«
»Bitte wählen Sie aus dem Menü.«
Ein Fenster zeigte die Optionen Caucasian / Asian / Vegetarian / Vegan . Langlois wählte Caucasian . Es gab verschiedene italienische Gerichte. Er wählte Makkaroni-Gorgonzola-Auflauf mit Ruccolasalat.
»Möchten Sie in Ihrem Habitat oder im Speisesaal Ihre Mahlzeit zu sich nehmen?«
»Im Speisesaal.«
»Der Speisesaal wird in drei Stunden geöffnet. Bitte begeben Sie sich um achtzehn Uhr in Gebäude eins. Ihre Bestellung ist vorgemerkt. Vielen Dank.«
»Nein, nein. Ich habe jetzt Hunger.«
»Kann Begriff Hunger nicht finden. Sprechen Sie erneut.«
»Ich will jetzt essen.«
Auf dem Bildschirm erschien wieder das Menü. Langlois tippte nochmals auf den Makkaroni-Auflauf.
»Sie haben eine zweite Portion Makkaroni bestellt. Bitte begeben Sie Sich um achtzehn Uhr in Gebäude eins. Ihre Bestellung ist vorgemerkt. Vielen Dank.«
»Nein, verstehen Sie denn nicht?« Sinnlos. Langlois trat zurück und der Bildschirm erlosch. Sollte er sich denn lächerlich machen? Sein Magen knurrte um einen Deut lauter.
Nachdem er sich eine Dusche in der Polyester-Nasszellen-Einheit gegönnt hatte, befasste er sich wieder mit dem Dossier.
Abraham Smith alias J.S. hat scheinbar große Überzeugungskraft. In internationalen Foren wird berichtet, dass alle, die an seinen Messen teilnahmen, ihr Leben neu gestalten.
Besonders interessant in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass alle, die je an einer seiner Messen teilgenommen haben, von unerklärlichen Phänomenen berichten. Legen Sie also besonderes Augenmerk auf eventuelle Taschenspielertricks, die für das ungeübte Auge wie Wunder erscheinen könnten. Seien Sie wachsam und achten Sie auf noch so kleine Details.
Erstatten Sie nach Ihrem Treffen mit J.S. umgehend Bericht über die verschlüsselte Verbindung.
Da konnten die Offiziellen darauf wetten, dass er die Augen offenhalten würde. Zehn Minuten vor Sechs trat er hinaus auf die Galerie und rannte beinahe einen Mann um, der scheinbar auch sein Habitat auf dieser Ebene hatte.
»Excusez-moi. Langlois trat zurück und wollte seinem Nachbarn den Vortritt lassen.«
»Nein, nein. Bitte nach Ihnen.« Der Mann hatte eine leichte Alkoholfahne und einen Sonnenbrand, der nicht von schlechten Eltern war. Er war groß, hatte eine Halbglatze wie Langlois und trug Knickerbocker mit Hosenträgern. Dazu ein weißes Hemd und Flip-Flops. Modetrend würde der Stil wahrscheinlich nicht so bald werden, dachte Langlois. Andererseits: Die Kombination aus grauer Flanellhose mit hellblau-weiß-gestreiftem Hemd, die er selbst trug, würde ihn auch nicht auf der Fashion Week in Mailand auf den Laufsteg bringen.
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