Alle Elemente im Raum waren mit Motiven der Fauna und Flora in naturnahen, weichen Formen verziert. Es gab keine einzige scharfe Kante und der durchdringende Geruch von frisch verbranntem Weihrauch dominierte den Zeremonienraum. Langlois stand vor einer der Räucherschalen und war der Verzweiflung nahe. Nicht nur, dass diese Ketzer Weihrauch verbrannten, nein, er war sich sogar sicher, dass dies arabischer Weihrauch allerhöchster Güte war, genau der, den er selbst für seine Arbeit als Exorzist bevorzugte. Er entspannte die Hand in seiner Gesäßtasche, da er realisierte, dass er das kleine elektronische Räuchergerät krampfhaft umklammert hatte. Der Schweiß rann ihm in Strömen den Rücken hinab und die Knie versagten ihm den Dienst, so dass er sich am liebsten in einen der einladenden Liegestühle gelegt hätte.
Was sollte er jetzt machen? Wenn er mit Weihrauch nicht weiterkam, wie den Teufel austreiben? Wie sollte er nun die Dämonen dingfest machen, die sich in diesen verlorenen Seelen eingenistet hatten? Was konnte er jetzt noch ausrichten im steten Kampf des Guten gegen das Böse. Er hätte zu gerne Origenes, zur Not sogar Padre Amorth, den obersten Exorzisten Roms, um Rat gefragt. Was hätten diese beiden standfesten Pfeiler des Glaubens in solcher Situation getan, welche Handlungsweise empfohlen? Doch Origenes war seit Jahrhunderten tot und Amorth war in Rom; Langlois war auf sich allein gestellt.
Dana führte ihn zu einer Tür an der rechten Seite der Bühne, öffnete sie und dann stiegen sie einige Stufen hinab, um sich in einem Gang wiederzufinden, der im gleichen Stil Gaudis mit einer parabolischen Decke versehen war und dessen Wände mit grün-goldenen Blättern und Ranken dekoriert waren.
Am Ende des Ganges stand J.S. und besprach sich gerade mit einer Indigo-Frau.
»Ah, der Träumer!« Er schien ehrlich erfreut, als er Langlois sah und ging ihm sogar einige Schritte entgegen. Abraham John Smith, alias J.S., gelernter Sonderschullehrer, einsachtzig groß, mit schulterlangem, dünnem und weizenfarbenem Haar und, trotz seiner jungenhaften Erscheinung, mit ausgeprägten Falten um die Mundwinkel und auf der Stirn, die entweder von humorvollem Gemüt zeugten oder das Ergebnis eines sorgenvollen Lebens sein konnten, laut eigenen Angaben Jesus von Nazareth, Sohn Gottes, wiedergekehrt zur Errettung der Welt, streckte Prêtre Jaques Langlois, seines Zeichens Fels in der Brandung im Kampf gegen Häresie und Ketzerei, die Hand zum Gruß entgegen. Die Situation hätte nicht unwirklicher sein können.
»Kommen Sie, kommen Sie.« Mit würdevollem, gemessenem Schritt und mit einer Hand zwischen Langlois´ Schulterblättern schob er diesen in den Raum am Ende des Ganges. Wieder zuckte der Priester, als er berührt wurde.
»Bitte setzen Sie sich.« Der Raum war klein und gemütlich, guten Geschmack konnte man J.S. nicht absprechen, das sicher nicht. Ein Giacometti hier, ein Warhol da, eine Apollo nachempfundene Statue im kubistischen Stil, in der Mitte des kreisrunden Raumes ein mindestens vier Zentimeter hoher, kreisrunder Teppich in Bordeauxrot, darauf eine schneeweiße Sitzlandschaft, bezogen mit gerippter Baumwolle. Die einzigen Lichtquellen im Raum waren vier Stehlampen, die wie von magischer Hand geplant nicht zuviel und nicht zuwenig Helligkeit abgaben und die sicher sehr wertvollen Kunstgegenstände ins richtige Licht rückten. Auf einem Tischchen dampfte herrlich aromatisierter Ceylon-Tee und wartete darauf, in Schalen im Bauhaus-Stil serviert zu werden.
Eine Türe öffnete sich und drei weitere Indigo-Frauen betraten den Raum. Eine kannte Langlois schon – sie hatte ihm am frühen Nachmittag die ID-Card verpasst. Sie waren nun zu sechst und Langlois fühlte sich irgendwie belagert. J.S. setzte sich und alle folgten seinem Beispiel.
»Tee?«
»Nein danke.« Der Priester fühlte, wie sich das nunmehr nutzlose Räuchergerät in seinen Schritt bohrte, während er eine einigermaßen entspannte Sitzhaltung auf dem viel zu tiefen Sofa suchte und er hätte sehr gerne seine Kehle befeuchtet, aber nicht hier und nicht jetzt. Nicht, wenn ihm J.S. die Erfrischung anbot. Er dachte kurz darüber nach, wie sich andere Gäste verhalten würden und die Zahl derer, die einen kleinen Finger gegeben hätten, um jetzt und hier statt ihm sitzen zu dürfen, war sicher groß.
Immerhin saß er hier, wollte man den Leuten glauben, mit Jesus von Nazareth zusammen auf einer Couch. Da wäre es doch nur recht und billig gewesen, dem guten Mann die Füße zu küssen oder sie zumindest zu waschen, ihn lobzupreisen, ihm zu huldigen, Reue zu zeigen, um Vergebung zu bitten – irgendwas! Ganz kurz, aber mächtig wie ein Gamma-Ray-Burst zuckte ihm die Vorstellung durch seine Gehirnwindungen, wie es sich wohl verhielte, wenn er hier und jetzt tatsächlich dem Heiland, geboren von der Jungfrau Maria, gesandt von Gottvater daselbst, gegenübersäße und den Tee, geheiligt allein schon durch die Verabreichung durch IHN, nicht einmal annähme und diese Vorstellung rief einen kurzen Würgereiz hervor, den Langlois nur stoppen konnte, indem er die spontane, unkontrollierte Antiperistaltik seiner Speiseröhre mit brachialer Gewalt unterdrückte. Aber wie sollte er sprechen, wenn er sich fast übergab?
Fünf Augenpaare ruhten nun auf dem Prétre.
Waren das weibliche Jünger?
Jünger?
Weiblich?
Gibt’s so was?
Langlois schwindelte. Er holte tief Luft und beruhigte sich wieder etwas.
»Wie Sie sich vielleicht denken können, bin ich sehr beschäftigt. Wie wäre es, wenn Sie uns einfach einen Ihrer Träume erzählen möchten?«
Langlois fügte sich in sein Schicksal. Immerhin musste er jetzt nicht lügen. Die Träume waren real, er musste nur hier und da Kleinigkeiten auslassen. Nur: Wie beginnen? Er konnte doch nicht einfach losquasseln. Er musste J.S. seinem Status in dieser kleinen Runde gerecht werden und die richtige Anrede finden.
»Eure Heiligkeit … !?«
»Bitte.« J.S. war scheinbar zufrieden mit dem Titel und wies mit geöffneter Handfläche auf Langlois, um ihm das Wort zu übergeben.
»Ich bringe Euch Träume, die stets wiederkehren. Ich erzähle sie, ohne zu interpretieren. Den psychologischen Aspekt lasse ich ebenfalls unkommentiert. Ich bin auch, um ehrlich zu sein, nicht ausreichend qualifiziert, um die Träume zu deuten.«
»Das überlassen Sie UNS. Der Geist des Vaters wird UNS helfen, die Träume richtig zu verstehen. Denken Sie nicht?«
Langlois schoss das Blut in den Kopf.
»Natürlich.« Langlois erzählte:
Ich sitze mit fünf anderen in einem Weidenkorb und es ist recht gemütlich und behaglich, denn der ist mit dicken Lagen von Holzwolle gepolstert und es mangelt uns an nichts. Entweder sind wir so kleine Kerlchen oder der Korb ist riesengroß – das Verhältnis kann ich jedoch nicht feststellen. Ich halte meine Hand an das Korbgeflecht und prüfe die Glattheit. Das Material ist sehr glatt, also - und ich weiß nicht genau warum - nehme ich an, dass der Korb sehr groß ist und wir Menschen darin normale Größe besitzen. Irgendwie ist diese Erkenntnis wichtig und beruhigt mich, ich würde es nicht wollen, wenn es anders wäre. Also passt alles; auch die Verhältnisse innerhalb unserer Welt im Korb.
Einer spricht stumm zu uns und wir entlarven ihn sofort als Lügner. Wir begegnen ihm aber nicht im Zorn, wir sind nur verblüfft darüber. Wie kann er uns belügen, wo doch keine Not herrscht in unserer kleinen Welt? Was verspricht er sich davon? Da taucht eine Faust aus der Holzwolle auf und schleudert den Lügner aus dem Korb. Einer der Insassen greift seine Hand, kann ihn aber nicht halten. Er verliert ihn und der Lügner fällt in die Tiefe. Ein anderer springt sofort hinterher und wir verlieren beide bald aus dem Blick, denn unter dem Korb ist Nebel aufgezogen, der beide verschluckt.
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