Glücklicher Weise waren noch andere Gäste auf der Allee unterwegs, um sich nach dem Essen die Beine zu vertreten. Langlois äugte immer wieder zu den fünf rötlichen Kuppeln hinüber. Rand hatte gemeint, nach der Messe würden alle für vier Tage hierher übersiedeln. O.k., und wozu? Das hätte Langlois schon gerne gewusst. Was sollte das für einen Sinn ergeben? Er musste da ein wenig nachforschen. Als ihnen eine größere Gruppe von Besuchern entgegenkam, zweigte Langlois von der Allee ab und ging kurzerhand zum Eingang einer dieser Bauwerke. Er zückte seine ID-Card und zog sie durch den Schlitz beim Eingang.
»Nur für Autorisierte!« Die Tonlage der computergenerierten Stimme ließ keinen Zweifel daran, dass in dieser Beziehung keine Ausnahme gemacht wurde. Langlois hätte gerne ein weiteres Mal die Karte in das Lesegerät geschoben, ließ es aber bei dem einen Versuch bewenden und begab sich wieder zu seinem Freund mit dem rustikalen Beinkleid.
»Na, können´ses nicht erwarten zu sehen, wies da drin aussieht?«
»Bin einfach nur interessiert.« Langlois lenkte vom Thema ab: »Sagen Sie, was machen Sie eigentlich beruflich?«
»Ja. Also. Wo soll ich da anfangen?« Nicht gut, gar nicht gut , dachte Langlois. Wer so anfängt, hört am Ende nicht mehr auf zu quasseln . Zehn Runden später, als sie vor dem Eingang zu ihrer Kuppel ankamen, unterbrach Langlois den geschwätzigen Rand: »Seien Sie mir bitte nicht böse, ich habe heute noch einen Termin bei J.S. und würde mich vorher gerne noch etwas frisch machen.«
»Wie? Sie treffen den jetzt? Sozusagen Privataudienz?«
»Sozusagen.«
»Da bin ich platt.«
»Also… ja… Dann bis später.«
Mein Gedächtnis, mein Gedächtnis , dachte Langlois. »Äh, könnten Sie mir einen Riesen-Gefallen tun?«
»Wenn Sie mich nicht drum bitten, Ihnen mal schnell eine Portion Vanille-Eis aus Brisbane zu holen, gerne.«
»Könnten Sie mir einen Adapter leihen?«
Zehn Minuten nach sieben war Langlois bereit. Das elektronische Räuchergerät, eigentlich eine Erfindung für Kiffer, die mit diesem Gerät - das aussah wie ein Handy mit Antenne - ausgestattet, die Polizei täuschen konnten, wenn diese die Unverfrorenheit besaß, sie zu kontrollieren, war geladen und mit bestem arabischen Weihrauch befüllt. Auf der Anzeige las Langlois 168°C, die perfekte Temperatur, um das Harz zu verdampfen, aber nicht zu verbrennen. Die Antenne des Handys war das Rohr, mit dem man die Dämpfe ansaugen konnte. Verdampft wurde der Inhalt nur, wenn man am Rohr ansaugte, ähnlich wie bei einer E-Zigarette. Nach guter alter exorzistischer Tradition würde Langlois versuchen, so nahe wie möglich an J.S. heranzukommen und ihm dann – auch das war sehr wichtig – mit einem Vaterunser auf den Lippen eine Wolke Weihrauch aus nächster Nähe verpassen. Manch einer reagierte verstört auf solcherlei Belästigung , aber das wollte der Priester gerne riskieren.
Vor dem Ausgang der Kuppel empfing ihn eine Dame aus dem indigiofarbenen Team. Sie streckte ihre Hand in Richtung seines Brustbeins aus und Langlois wich zurück, aus Angst, die Frau würde ihm die Hand auf die Brust legen wollen. Sie hatte aber andere Absichten. Sie griff sich seine ID-Card, um sie über das Lesgerät zu ziehen. Erst nachdem sie mit einem Lächeln ihre guten Absichten zum Ausdruck gebracht hatte, entspannte sich Langlois und die Prozedur konnte erfolgreich über die Bühne gebracht werden. Das Lesegerät gab einen Piepton von sich und das war für sie das Zeichen, sich in Bewegung zu setzen.
Der Priester war bestürzt, wie sehr er erschrocken war, als sie ihn fast berührt hatte. Was war denn da so schrecklich daran? Er sollte sich vielleicht wieder mal eine Massage gönnen, sich bewusst berühren lassen. Stand denn irgendwo geschrieben, dass Priester keinen Körperkontakt haben durften?
Die Indigo-Frau verdrehte den Kopf und verkündete über ihre Schulter, dass sie Dana hieß, dass der Heiland wartete und dass alle schon gespannt wären, was er, Langlois zu erzählen hätte. Dieser hatte sich drei Geschichten zurechtgelegt - allesamt reale Träume, die er in den letzten Tagen durchlebt hatte und die alle mit J.S. zu tun hatten. Ein paar pikante Details würde er wohl auslassen müssen. Wenn er bewusst an diese Einzelheiten dächte, wurde die To-Do-Liste für seine nächste Beichte unüberschaubar, also verdrängte er diese unangenehmen, ja, unappetitlichen Traumsequenzen und fokussierte seine Gedanken auf die jugendfreien Teile. Immerhin: Er hätte ein paar schöne Geschichten zu erzählen. Und: Er hatte sich fest vorgenommen, J.S. nach der ersten Geschichte mit Weihrauch anzupusten, um ihm den Dämon auszutreiben.
Sie standen vor der zentralen Kuppel. Es war kurz vor halb acht und die Sonne beschoss jetzt den indischen Ozean mit ihren Neutrinoschauern. Die rund um den künstlichen Krater verlaufende Böschung erweckte den Eindruck eines herangezoomten Horizonts. Als die Sonne den Kraterrand erreichte, ging alles ganz schnell: Zuerst warf sie die extrem langen Schatten der am höchsten Punkt des Hanges wachsenden Bäume auf die Rasenflächen zwischen den Kuppeln und, noch deutlicher kontrastierend, auf die große Hauptkuppel und das flüssige Gold der Photonen des Gestirns vermischte sich mit dem weiß-goldenen Mosaik der Fliesen am unteren Kuppelrand. Der Effekt, den die letzten Sonnenstrahlen hervorriefen, war ein Flimmern und Flackern in Gold und Silber; das Schauspiel dauerte aber nur ein, vielleicht zwei Minuten, dann war das Gestirn verschwunden und es wurde übergangslos die indirekte Beleuchtung durch die von unten rosa angestrahlten Zirrus-Wolken wirksam und nun verwandelte sich die sandfarbene Kuppel in ein anilinrosarotes, dann alpenrosarotes parabolisches Gebilde, scheinbar materielos, überlagert von den durch die Höhenwinde ausgefransten Federwolken.
Dana legte ihre ID-Card auf das Lesegerät und mit dem Klicken der schweren Doppeltüre schalteten sich im gleichen Moment rund um die Kuppeln auf dem ganzen Gelände die Rasensprinkler ein und verbreiteten augenblicklich eine angenehme Luftfeuchtigkeit. Davon bekam Langlois allerdings nichts mehr mit. Dana führte ihn in eine Schleuse, Langlois hörte ein weiteres Klicken und sein Blick verlor sich in einer weitläufigen Halle, deren Decke, ganz im Stile Gaudis, mit parabelförmigen Bögen gestützt war. Rechts und links des Mittelganges waren, anders als gewöhnlich in Kirchen, keine Holzbänke, sondern verstellbare ergonomische Liegen aneinander gereiht. Sie glichen modernen, körpergerechten Sonnenliegen und irgendwie erwartete man sich da vorne einen Strand, sah aber eine Bühne, auf der perspektivisch sich verkleinernde, mit schwarzem Samt bespannte Rahmen standen. Der größte der Rahmen an der Vorderkante der Bühne war drei Meter breit und sicherlich acht Meter hoch, vier Meter dahinter stand ein kleinerer, schmalerer und wieder einige Meter dahinter ein noch kleinerer. Wozu diese Anordnung diente, verschloss sich Langlois´ Wissen.
Der Boden des Mittelganges war ein Mosaik aus Motiven der Genesis. Man konnte auf den ersten Blick sehen, dass dies keine billige Arbeit aus Fliesenscherben war, sondern eine Komposition aus speziell angefertigtem Tongut, das mit teuren Glasuren in absolut naturnahen Farben sowie Gold- und Silbertönen versehen war. Jeder der sieben Teile der Schöpfungsgeschichte war in ein anderes Licht getaucht als das jeweils vorherige und der Blick verlor sich solchermaßen in einem irritierenden farblichen Spektrum, das der gewohnten Wahrnehmung einen Streich zu spielen schien.
Nahe des Eingangs sah man die Erschaffung des Lichts; wenn man den Gang in Richtung der Bühne abschritt, erschienen die Errichtung des Himmelsgewölbes, die Trennung von Land und Wasser sowie die Erschaffung der Pflanzen, gefolgt von den Himmelkörpern, die am Himmelsgewölbe angebracht werden und einer Prozession von Meerestieren und Vögeln, Landtieren und Mann und Weib. Mann und Weib waren links und rechts einer goldenen, polierten Fläche von zwei Metern Durchmesser unmittelbar vor der Bühne abgebildet und diese Fläche brauchte keine Beleuchtung von oben – sie strahlte selbst in einem Licht, vergleichbar mit dem einer Höhensonne. Woher das Licht kam, konnte Langlois nicht erkennen.
Читать дальше