Die alte Quinta gehörte meiner geliebten, etwas schrägen Großmutter, Oma, Granny oder Paula, wie sie genannt werden wollte. Sie lebte seit Jahren in den Staaten oder war auf Reisen. Oma war schon ewig nicht mehr auf der Quinta gewesen, darum fiel es uns auch nicht im Traum ein, dass sie dort sein könnte.
Ich selber war mal als kleiner Pups durch den Garten gestolpert, aber daran konnte ich mich natürlich nicht erinnern. Mama hat nach ihrem ersten und letzten Besuch verkündetet: „Ich geh lieber ins Hotel!“ Für Mama ist Urlaub in einem Ferienhaus der reine Horror. Da muss man Betten beziehen, Spinnenweben beseitigen, Vorräte auffüllen. All das braucht man in einem Hotel nicht. Sie fand die Quinta grässlich und nur, weil ich mal einen etwas anderen Geburtstag feiern wollte, hatte sie unüberlegt und mir zu liebe dieser Reise zugestimmt.
Dazu muss ich kurz die Story der Quinta erzählen. Sie ist genauso schräg, wie meine Oma Paula. Sie hatte das alte Bauernhaus von ihrem schwerreichen Großvater geerbt. Es war eine Ruine, wie Ausgrabungsstätte aus der Spätbronzezeit. Hätte man glatt als Touristenattraktion ausbauen können, erzählte Papa mal.
Aber Oma wollte selber da wohnen. Mit ihrem Mann, meinem zukünftigen Opa, hatte sie alles liebevoll und mit viel Mühe restauriert. Glück und Stolz erfüllte sie, wenn sie ihr Werk anschauen und genießen konnte. Es war ihr verzaubertes Paradies bis, na ja, bis sie meinen Großvater mit einer anderen im Bett erwischte. Vor Schreck bekam Opa einen Herzinfarkt und segnete das Zeitliche. Echt krass!
Und na ja, Oma wollte die Quinta nicht mehr betreten. Papa liebt die Quinta. Sie ist für ihn das Symbol unbeschwerter Sommerferien. Und jetzt lustiger Golfreisen.
Ich hatte die Quinta noch nie mit Bewusstsein erlebt. Ich stellte es mir romantisch wie in französischen Ferienfilmen vor, dort den Geburtstag zu feiern. Als einziger „Fremder“ durfte Moritz mitkommen. Wir wollten so einen richtig gemütlichen Urlaub machen. Mit chillen, schwimmen, sonnen, lecker essen und trinken und vielleicht auch mal in die Dorfdisco gehen. Und mit meinem Freund wollte ich das genießen, na ja, was man halt in der Sommerhitze so tut.
Ach ja, Moritz!
Aus dem traulichen Tête à Tête zu viert wurde nichts.
6 Von Blitzen und Küssen oder Lächle und sei froh, es kann schlimmer kommen
Wie alle meine Freundinnen schleppe ich immer meinen riesigen Stoffbeutel mit mir rum. Da ist alles drin, was ich bin. Ohne den Beutel verlasse ich nie das Haus. Nie ohne Handy, mein Samsung Tablet und das schwarze Notizbuch: „Für Nachtgedanken!“ hatte Papa gesagt, als er mir das Büchlein schenkte. Ich schreibe niemals nachts, da schlaf ich wie ein Murmeltier. Senile Bettflucht heb ich für später auf. In dieses schwarze Büchlein kommen kleine Gedankensplitter und kurze Gedichte oder Aphorismen. Wann immer mir etwas auf- oder einfällt, kritzele ich es auf die rauen Seiten des Werkdruckpapiers.
Moritz ist furchtbar neugierig und er versucht immer einen Blick ins Buch zu erhaschen. Er denkt, es gibt für mich kein anderes Thema als nur immer Moritz! Manchmal sind männliche Wesen sehr auf sich beschränkt, zumindest die, die ich kenne. Als wenn es nicht auch noch andere Themen als „Moritz“ gäbe! Ich hatte ihm bei Todesstrafe verboten, in dem Buch zu schnüffeln. Entsprechend verschnürte ich es mit einem komplizierten Makramee Knoten. Keiner würde es nach dem Öffnen wieder hinkriegen, dass ich nichts merkte. Nur, außer Moritz interessierte sich sowieso keiner für meine Ergüsse. Wenn ich gut drauf war und Moritz total süß fand, las ich ihm auch mal daraus vor.
Er verstand nicht alles oder sogar meistens gar nichts. Es machte ihn glücklich, wenn ich ihn ins Vertrauen zog. Wir waren ja noch nicht wirklich lange ein Paar. Wir trafen uns in unserer Clique auf dem Tennisplatz und flirteten mit den Augen. Er hatte eine Tussi. Und ich konnte mit all den Testosteron gesteuerten Typen nicht viel anfangen. Zu unsensibel, zu selbstbesoffen, zu unaufmerksam und zu uninteressiert. Nicht an mir, sondern an allem. In dieser Schublade steckte Moritz auch.
Dann passierte es bei einem Gewitter in dem Häuschen an unserer Bushaltestelle. Dieses gläserne Ungetüm verdiente den Namen Schutzhütte nicht. Wir wurden beide klatschnass und kalt. Moritz, zog mich näher zu sich, legte seine Jacke um mich. Ein warmer Duft von Leder und Mann kitzelte meine 30 Millionen Duft-Rezeptoren.
„Komm ich wärme dich!“ dabei klapperten seine Zähne noch mehr als meine. Er schob seine Hand auf meinen Rücken, sie war eiskalt und ich ließ einen kleinen Schrei los. Er hielt mir mit der anderen Hand den Mund zu und zog mich näher an sich: „He, stellt dich nicht an, wir müssen uns gegenseitig wärmen. Der nächste Bus kommt erst in zwanzig Minuten.“
Den nächsten Bus haben wir verpasst. Unsere Küsse hatten die Wirkung von Heizöfchen oder sogar offenen Feuerstellen! Man sollte im Winter viel mehr küssen! Das Knutschen heizte ein und wir dampften in der Kälte wie Thermalquellen. Der Regen rann in Sturzbächen an der Glaswand des Bushäuschens runter. Es roch nach Moder und verfaulten Bananenschalen im Papierkorb. Aus unsren Schuhen triefte das Wasser wie Softeis von der Eistüte.
Blitze und Donnerschläge am Himmel, Blitze und Entladungen bei uns! Es knisterte und funkte gewaltig! Die Blitze am Himmel konnten kaum mit unseren mithalten! Irgendwie merkten wir davon nichts. Je mehr es krachte und donnerte, umso mehr explodierten unsere Gefühle. Aber bei allem Begehren war er so zärtlich, streichelte meine Seele mehr als ich es je erfahren hatte. Ich brannte lichterloh!
Eigentlich ist Moritz zu alt für mich, immerhin fünf Jahre älter. Er wirkt aber nicht irgendwie überlegen und keineswegs besserwisserisch, wie die anderen im Klub, die schon über zwanzig sind. Mir gefällt, dass er immer gute Laune versprüht, lächelt und sich durch nichts aus der Ruhe bringen lässt. Manchmal tut er gelangweilt, weil das cool und überlegen wirkt. Aber vielleicht ist ihm das nicht bewusst und er ist einfach so. Die meisten Mädchen himmelten ihn an. Er ist die Lässigkeit in Person.
Aber dieser erste Kuss in der Bushaltestelle, im Regen: einfach berauschend! Moritz war nicht mehr so lässig, jedenfalls nicht bei mir. Er war zart, ein wenig gehemmt und dann doch wieder temperamentvoll und einfach unbeschreiblich.
Von da an trafen wir uns, so oft es ging. Selten noch mit der gesamten Clique. Und Wochen später lungerte Moritz mehr bei uns zu Hause rum, als bei seiner eigenen Mutter. Es machte ihm nichts aus, wenn ich nicht dort war. Dann trank er mit Mama Kaffee und plauderte mit ihr. Das gefiel beiden mehr als mir manchmal lieb war. Es erinnerte mich an dem Song von Simon und Garfunkel „Missis Robinson“. Moritz hatte die Reifeprüfung allerdings längst hinter sich.
Mama wirkt auf Männer ungemein anziehend. Sie hat Eigenschaften, die mir völlig abgehen. Sie schweigt vielsagend und hört aufmerksam zu. Sie schaut ihrem jeweiligen Gegenüber voll in die Augen, als wäre er das außergewöhnlichste Exemplar Mensch, das sie je getroffen hat. Sie gibt nicht immer und überall ihren Senf dazu. Sie erinnert sich genau, was jemand sich wünscht, wie er denkt, wie er sich fühlt. Und manchmal reagiert sie darauf auch sehr mitfühlend und freundlich. Bei mir leider nicht, ich bin ja „nur“ ihre Tochter. Bei mir will sie ihren „Erziehungsauftrag“ erfüllen. Überhaupt bin ich ihr Werk!
Glaubt sie!
Irgendwie ist ein achtzehnter Geburtstag anders als ein sechzehnter oder neunzehnter. Man hat die Lizenz, erwachsen zu sein. Man darf wählen, man darf seinen Wohnort selbst bestimmen und natürlich, den Führerschein machen. Ich hatte ihn schon und durfte gleich, wenn wir wieder zu Hause sind, allein Auto fahren. Mein Traum war ein kleiner dottergelben Smart! Oder ein Hybrid DS 3 in Ferrari Rot! Das wäre mega cool. Keiner in meiner Klasse hat das! Das war mein geheimer Geburtstagswunsch, den ich regelmäßig und gar nicht geheim von mir gab. Mal sehen, ob Papa verstanden und Mama nicht die Handbremse gezogen hat.
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