Wut auf das Leben – ich zerbreche immer mehr
Neben dem tiefen Schmerz quälte mich diese große Wut. Wut auf diesen Schicksalsschlag, Wut auf die Krankheit, Wut auf die Ärzte, die ihr meiner Meinung nach nicht genug geholfen hatten und sie einfach sterben ließen und Wut vor allem auf das Leben. Ich fing an, dieses ungerechte Leben zu hassen. Immer wieder stellte ich mir die Frage: „Warum?“ Doch ich fand keine Antwort darauf und so quälte mich diese Frage tagein, tagaus und während die Wochen und Monate vergingen, fiel ich mit meiner Verzweiflung und meinem Schmerz in ein immer tieferes psychisches Loch, aus dem ich mich kaum noch befreien konnte. Trost und Anteilnahme von Familie und Freunden kamen nicht bei mir an, denn der Schmerz war zu groß, dass Trost ihn hätte lindern können. Ich war gefangen in meiner tiefen Seelenqual und völlig gelähmt in meinen verzweifelten Gefühlen. Auch nach vielen Monaten konnte ich ihren Tod in keinster Weise akzeptieren, doch noch immer versuchte ich, dem Leben und den Anforderungen des Alltags gewachsen zu sein. Und so quälte ich mich durch die Tage und versuchte, so gut es noch möglich war, mein psychisches Leid zu überspielen, denn ich war immer eine starke Frau, die bereits früh lernen musste, mit Niederlagen umzugehen, den Schmerz in jeglicher Hinsicht zu ertragen und still zu weinen. Ich hatte gelernt, eine Frau zu sein, die nichts so schnell aus der Bahn wirft. Hatte ich schließlich in meinem Leben schon so vieles an Leid erfahren und große Herausforderungen des Lebens gemeistert. Also wollte ich, wie es mein Umfeld von mir gewohnt war, wie immer „stark“ sein. Ich lernte, mein Leid zu überspielen und äußerlich zu lachen, doch mein Herz, es weinte so bitterliche Tränen und in meinem Herzen fühlte ich nur noch diese tiefe Traurigkeit. Wenn ich allein war und insbesondere nachts brach die Fassade, die ich aufgebaut hatte, regelmäßig zusammen. Erschöpft fiel ich abends ins Bett, da mir die Trauer jegliche Energie raubte und ich kaum noch wusste, wie ich die schweren Tage überstehen kann. Ich war nur noch müde, doch ich fand keinen Schlaf mehr und gelangte in eine quälende negative Gedankenspirale, aus der ich nicht mehr heraus kam. Ich hatte jegliche Flexibilität im Denken verloren. Ich konnte weder ein- noch durchschlafen. In den frühen Morgenstunden wachte ich regelmäßig auf und die Gedanken drehten sich wie immer nur im Kreis. Ich fand keinen inneren Frieden mehr. Der innere Rhythmus, der normalerweise den gesunden Schlaf regeln sollte, funktionierte bei mir längst nicht mehr. Die Schlafstörungen quälten mich insbesondere in der zweiten Nachthälfte, so dass ich von nun an nur noch müde und antriebslos durch den Tag ging. Insbesondere das Aufstehen am Morgen schien mir wie eine Last und eine unüberwindbare Hürde. Mit diesen endlosen Grübeleien, die ich mittlerweile auch tagsüber nicht mehr unterdrücken konnte, stellte sich zunehmend ein Gefühl der Leere, Anteilnahmslosigkeit und Freudlosigkeit ein. Freude empfinden oder andere schöne Gefühle, dazu war ich längst nicht mehr in der Lage. Mein Lachen hatte ich inzwischen komplett verloren. Alles, was ich noch fühlte, waren tiefer Schmerz und Trauer. Die Tage wurden immer schwieriger und nervenaufreibender und ich wusste bereits am Morgen nicht, wie ich den Tag überstehen soll. Ich sehnte mich von früh an nach den Abenden, denn dann hatte ich den quälenden Tag endlich hinter mir.
Ich falle in eine Alkoholsucht, mit der ich meinen Schmerz betäuben möchte
Am Abend griff ich immer öfter zu einem Glas Wein. Den Alkohol wählte ich als Form der „Trauerhilfe“, um mein Bewusstsein zu reduzieren und den Schmerz damit etwas unterdrücken zu können. Durch die zunehmende Wirkung des Alkohols fiel ich in eine Art Rausch und ich hatte das Gefühl, die Sorgen ein wenig vergessen oder zumindest ein Stück weit verdrängen und etwas besser einschlafen zu können. Ich nahm mir vor, diese Art „Unterstützung“ nur vorübergehend zu wählen, um den tiefen Schmerz wenigstens ein wenig erträglicher zu machen, doch aus einem Glas Wein wurden bald zwei oder drei Gläser und irgendwann war es regelmäßig eine Flasche und es verging kaum noch ein Abend, an dem ich ohne Alkohol auskam. Ich fühlte, dass dies nicht richtig ist, doch ich kam mittlerweile ohne meinen Wein am Abend nicht mehr aus. Die leeren Flaschen häuften sich und ich versuchte, sie zu verstecken und unauffällig zu entsorgen, damit ich mein Alkoholproblem vor meiner Familie vertuschen konnte. Ich wollte mir meine Sucht nicht eingestehen, doch ich fühlte die Abhängigkeit immer deutlicher. Und so konnte ich zwar nachts etwas besser einschlafen, doch umso schwerer gelang es mir, am Morgen aufzustehen, da ich mich dem Alkoholkonsum entsprechend fühlte und ich fast jeden Morgen mit einem „Kater“ erwachte, der mir zusätzliche Beschwerden bescherte und meinen Tag noch anstrengender werden ließ. Und so quälte ich mich von nun an noch mehr durch die schweren Tage, was mich dennoch nicht davon abhielt, am darauffolgenden Abend wieder eine Flasche Wein zu öffnen, denn der Wein war mein Rettungsanker am Abend. „Heute nur ein bis zwei Gläser! Nur, um die Last des Tages abzuschütteln!“, versuchte ich mich immer wieder zur Vernunft zu bringen, doch es wurde meist mehr. Wollte ich doch damit den Schmerz ein wenig „betäuben“ und dies gelang mir nicht mit nur einem Glas. Nach einem Glas war ich doch noch viel zu tief versunken in der realen schmerzhaften Welt. Dass es ein fataler Irrglaube war und ich meine Probleme mit Alkohol ganz sicher nicht verkleinern konnte, vermochte ich in dieser schweren Zeit nicht erkennen. Heute weiß ich, dass ich die Sorgen damit nur vergrößerte, denn Alkohol löst keine Probleme. Auf keinen Fall und ich kann davon einfach nur abraten. Fängt man einmal damit an, Alkohol zu trinken, zieht einen diese Sucht ziemlich schnell in einen Teufelskreislauf, aus dem man nicht mehr so mühelos heraus kommt, denn heute weiß ich, dass der schädigende Alkoholkonsum mich letzten Endes nur noch depressiver machte und mich ganz sicher nicht aus der Trauer befreien konnte.
Ich versuche zu kämpfen, doch es gelingt mir nicht
Noch immer versuchte ich, gegen die Trauer und den Schmerz anzukämpfen, doch dies gelang mir nicht, denn die Fassade zerbrach immer mehr und mein Herz war längst in 1000 Stücke gebrochen. Eine grauenvolle Leere lag mittlerweile auf meiner Seele, die mich immer mehr lähmte, mich nahezu erdrückte und es mir kaum noch möglich machte, den Alltagsaufgaben noch irgendwie gewachsen zu sein. Ich fühlte mich wie ein Gefangener in meiner verzweifelten Gefühlswelt, in der die schönen Gefühle oder Empfindungen restlos erloschen waren. Mein Gedankenkarussell drehte sich nur noch rückwärts und ließ mich nicht mehr zur Ruhe kommen. Ich fand keinen inneren Frieden mehr. Nach vorn zu schauen, war mir nicht mehr möglich. Ich sah alles nur noch pessimistisch und negativ und war gefangen in meiner Trauer und ohnmächtig gelähmt in meinem Schmerz. Es fühlte sich so an, als seien alle positiven Gefühle restlos abgestorben. Viele Monate waren mittlerweile vergangen und ich fühlte mich inzwischen täglich überfordert und den Anforderungen des Lebens keineswegs mehr gewachsen. Ich schleppte mich nur noch durch die schweren Tage und sehnte mich die ganze Woche über nach dem Wochenende, doch es verging immer viel zu schnell und reichte längst nicht mehr aus, um so viel neue Kraft zu sammeln, die ich für die neue Arbeitswoche und den damit verbundenen Alltagsanforderungen benötigen würde. Der Zustand wurde immer unerträglicher und an jedem Wochenende nahm ich mir erneut vor, mit neuem Elan in die nächste Woche zu starten, die Sorgen zu vergessen oder wenigstens zu verdrängen und von „Punkt 0“ zu beginnen. Doch mein Elan war völlig erloschen und ich fand die nötige Kraft einfach nicht mehr, um wieder einmal im Leben von vorn zu beginnen. An keinem einzigen Wochentag hatte ich die Kraft und dieses Gefühl quälte mich sehr. Sonntags war es ganz besonders schlimm, wenn mich die Panik vor dem Montag völlig zermürbte. Bereits Sonntag früh verfiel ich in Panik. Der Gedanke an den Beginn der neuen Arbeitswoche ließ mich Woche für Woche jeden Sonntag verzweifeln. Der Montag erschien mir wie ein hoher Berg, den ich zu ersteigen hatte und ich nicht wusste, wie ich das schaffen soll. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie ich diesen Berg bewältigen soll und es schnürte mir die Luft ab. Sah ich mich doch bereits am Sonntag auf den unteren Stufen abstürzen.
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