"Sindolf", rief er den vor der Tür wartenden Verwalter. "Sperr die Hure ein. Ich werde später über sie entscheiden. Und bring mir diesen Bastard. Bereite die Tortur vor. Ich will die Wahrheit aus seinem Munde hören, mich nicht mit dem Gewäsch der Weiber abgeben."
Sindolfs Knechte zogen Rango an einem Seil, dessen Ende sie zuvor um seine Handgelenke geschlungen hatten, aus dem Verlies. Oben angekommen schlug ihm bereits der beißende Rauch des kräftig lodernden Feuers entgegen. Er wand sich, spuckte und biss, doch es half nichts. Sie zogen seine Arme Richtung Decke, bis er noch eben auf den Füßen stehen konnte.
"Sprich, du Ausgeburt der Hölle, was tatest du meiner Tochter an?" Norman schlug ihm bei seiner Frage heftig ins Gesicht. Am liebsten hätte er ihn erschlagen. Doch das wäre zu gnädig gewesen. Rango schwieg. Seine fast schwarzen Augen funkelten böse unter den anschwellenden Lidern hervor.
"Lass ihn mein Wappen spüren", wies Norman seinen Verwalter an, worauf dieser ein glühendes Eisen aus dem Feuer hob und mit festem Druck auf Rangos Brust presste. Dessen Schrei hallte über das ganze Burgareal, ließ Johannes und Falko erschrocken zum Turm eilen. Die ganze Nacht verbrachten sie vor dem vergitterten Fenster, die schrecklichen Szenen, die sich dahinter abspielten, nur ahnend. Als der Morgen graute, wiederholte Rango mit schwacher Stimme zum siebten Mal die gleichen Worte. "Ich sah Framgard das erste Mal. Sie wusch sich im Bach. Ich konnte nicht an mich halten, riss ihr das Kleid herunter und warf es ins Wasser."
"Und wer war dabei?", wiederholte Norman seine Frage zum siebten Mal.
"Niemand, ich war allein", kam die Antwort zum siebten Mal aus dem blutenden Mund des Jungen.
"Legt ihn in Ketten. Er soll uns zu der Stelle führen, wo das Verbrechen geschah. Und falls er nicht die Wahrheit sprach, schneiden wir ihm die Zunge heraus." Norman hatte genug gehört. Der Hund würde bei seiner Antwort bleiben. Und es war die beste Antwort, die er geben konnte. So behielt Framgard zumindest einen Teil ihrer Ehre und es gab einen Schuldigen, mit dessen Bestrafung volle Genugtuung zu erlangen war.
Rango erinnerte sich kaum, wie der den Weg zurück in den Wald fand. Was Norman dort sah, entsprach der Aussage des Jungen. Ein Bündel Reisig, für einen Mann weder zu groß noch zu klein, fand sich da. Auch Rangos Kittel lag noch auf dem Boden. Dass der neu gewaschen und ungetragen wirkte, interessierte nicht. Der Herzog erwartete etwas und er bekam es. Warum sollte er weiter nachforschen? Zumal Framgards Kleid fehlte, nicht etwa einträchtig bei Rangos Lumpen lag. Die Beweise genügten. Norman konnte gut mit dem Gesehenen leben. Rangos Aussage war bestätigt. Die Folter hatte, wie schon so oft, die Wahrheit ans Licht gebracht. Die Knechte trieben den geständigen Gefangenen zurück in seinen Kerker. Und sie verstanden ihr Handwerk, ließen ihn trotz der schweren Eisen flink wie ein Reh in Richtung der Burg springen, seiner gerechten Strafe entgegen. Und vor lauter Eifer übersahen sie das Paar grasgrüner Augen, welches sie aus dem Gebüsch beobachtete. Lange wartete Falko, der alles so gerichtet hatte, wie es nach Rangos Worten aussehen musste. Erst im Schutze der Nacht schlich er auf dem geheimen Weg zu Johannes zurück.
"Bringt meine Tochter", befahl Norman. Als sein Kind vor ihm stand, zitternd und bleich, überkam ihn ein Anflug von Mitleid. Doch kurze Zeit später hatte er sich wieder im Griff. "Es ist der Teufel im Weibe, welcher Männer Dinge tun lässt, die verboten sind. Du kannst diese Schuld nicht ablegen. Doch du kannst Buße tun. Du wirst für alles sühnen. Konrad, der Bucklige, ist bereits auf dem Wege. Voller Freude erfuhr er, dass du sein Werben erhörtest."
"Niemals, lieber sterbe ich." Framgard antwortete trotzig und ohne Zögern.
"Zusammen mit meinem Kind, deinem Enkel", setzte sie deutlich lauter hinzu. Norman verlor für einen Moment die Fassung, stand mit offenem Mund, nahm die Hand, welche ihm Erika reichte, die neben den Gatten getreten war.
"Lass mich nur machen", sagte sie mit ruhiger Stimme.
"Liebes Kind", sie sah Framgard fest in die Augen. "Wir Frauen müssen unser Schicksal tragen, so wie Gott es uns vorbestimmte. Du wirst Konrads Frau. Das stand seit Langem fest. Nur so sicherst du den Fortbestand all dessen, was dein Vater erbaute. Oder willst du sämtliche Familien ins Unglück stürzen, die von uns abhängen?"
Framgard schüttelte den Kopf, nur ein wenig, aber doch eindeutig. Sie wollte nicht weiteres Unglück über die ihren bringen.
"Ich wusste, du bist ein schlaues Kind. Und damit du siehst, dass wir dich lieben, dein Vater und ich, wird dein Vater Rangos Leben verschonen." Erika drückte die Hand ihres Mannes fest zusammen. Ich dulde keinen Widerspruch, gab sie eindeutig zu erkennen.
"Am Tage deiner Hochzeit werde ich den Gefangenen begnadigen. Er soll sein Leben behalten." Norman fiel es schwer, Rango vor dem Tode zu bewahren. Es würde seine Autorität untergraben. Keiner durfte erfahren, dass es Frauen waren, die diese Entscheidung erzwangen. Doch er wusste, er hatte nur dies eine Kind. Ein Weiteres würde Gott ihm nicht schenken. Nach Framgards Geburt wohnte er nicht nur Erika bei. Vater wurde er nie wieder. Allein durch Heirat der Tochter konnte er sein Lebenswerk bewahren. Sollte ihrer unheilvollen Verbindung mit dem Diener des Pfaffen ein Sohn entspringen, wäre das Konrads Erstgeborener und Erbe.
"Du bleibst auf deinem Zimmer, bis Konrad mit dir vor den Priester tritt." Normans Gesichtsausdruck ließ keine Widerrede zu.
"Ich tue, wie ihr mich heißt, Vater", antwortete Framgard, "so ihr ihn verschont."
In diesem Moment erkannte es auch der raubeinige Kämpfer. Rango traf nicht die alleinige Schuld. Framgard ging freiwillig diese Liaison ein. Zum Glück endete das Gespräch an diesem Punkt. Die Wahrheit zu wissen, war bestimmt nicht gut.
Seit Rangos Schreie die Nacht zerschnitten, sich wie Schwerter in Falkos Herz bohrten, sprach der Sachsenjunge kein Wort. Doch sein stilles Flehen, die stummen Rufe seiner Augen, der innbrünstige Glaube an die Götter seines Stammes erfüllten den Raum um ihn. Kein Baum, kein Pferd, dem er seinen Seelenschmerz nicht entgegenschleuderte. Wo blieb Saxnot? Waren es nicht die hohen Bäume, waren es nicht die edlen Pferde, in denen er wohnte, aus deren Blättern, mit deren Augen er das heftige Schreien eines Kindes erkennen sollte?
"Geh in den Wald und sammle Holz." Johannes musste Falko aus seiner Lethargie befreien. Es half Rango nicht, sich aufzugeben, denn Helfen konnte Gott auch durch den wachen Geist seines Dieners. Und dieser sagte, Norman braucht Framgard. Sie würde sein einziges Kind bleiben. Der Herzog war unfruchtbar und Erika zu fromm, sich nochmals einem anderen Mann hinzugeben. Sie tat es einmal, Framgard entsprang dieser Nacht. Das Geheimnis bewahrten der Mönch und die gläubige Seele, die sich nur dies eine Mal nicht gegen ihre tiefste Sehnsucht versperrte, tief im Herzen.
Nachdem Falko loszog, kniete sich Johannes vor das mächtige Kreuz, versank in stillem Gebet, drehte seinen Kopf nicht, als die Tür der Hütte aufging, drehte ihn nicht, als sich ein Mann neben ihm niederließ.
"Dein Diener wird leben."
Johannes kannte die Stimme. Norman war zu ihm gekommen.
"Noch heute trifft Konrad hier ein. Morgen wirst du Framgard und ihn trauen. Dann solltest du die beiden Jungen nehmen und voller Eifer deinem Missionswerk nachgehen. Diese Burg bleibt euch zukünftig verschlossen." Norman stand auf und verschwand so unauffällig, wie er kam.
Es tat Falko so gut, inmitten des Waldes, in der Natur, fern den Menschen mit ihrer Grausamkeit zu sein, den weichen Laubboden unter seinen Füßen zu spüren, die warme Sonne auf der Haut zu fühlen. Längst lagen sein Kittel neben dem gesammelten Holz und er selbst auf dem raschelnden Bett aus Blättern, sog seine Nase den würzigen Geruch der Erde ein, träumte sich sein Hirn hinweg aus dieser bösen Zeit. Mit seinen Geschwistern flog er über frühlingsgrüne Wiesen, jeder auf seinem Pferd, er auf Gis. Die Vögel sangen. Das Leben erfand sich neu, so wie jedes Jahr nach der Kälte des Winters, so wie jedes Mal die Geburt dem Tod folgte.
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