Henryk Degler
Von Frauen, Männern und Tieren
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Inhaltsverzeichnis
Titel Henryk Degler Von Frauen, Männern und Tieren Dieses ebook wurde erstellt bei
Kapitel 1
Ein Betriebsjubiläum
Uckermark
Ein Buch über die Tiere und andere menschenähnliche Wesen
Einigkeit und frech und Freiheit
Die Marsfrau
Eine Reise nach Norge
Impressum neobooks
Kapitel 1
Aus Mannheim nach Norwegen
Angefangen hat alles mit einer Annonce in einer linksliberalen deutschen Wochenzeitung. Amelie, schöne Germanistin, klar und nicht mutig sucht Kontakt. Bin siebenunddreißig und liebe das Leben.
Zu dieser Zeit arbeitete ich viel und liebte wenig in Mannheim. Eine Stadt, die im Kern nur aus Quadraten besteht und in ihren ehemaligen Grenzen von zwei Flüssen spitzwinklig schüchtern eingeschenkelt wird. Dem deutschen Rhein und dem schwäbischen Neckar. Es gibt keine Straßennamen. Nur Buchstaben und Ziffern. Ich wohnte in H 12. Mittendrin in kurpfälzischer Gelassenheit und türkischer Übermacht. Ich kam im Sommer an, viele Türken waren wohl in Anatolien oder sonst wo und schlafloste ab September mit den gewaltigen Männergesängen der hallenden Hinterhofmoscheen. Die Reaktion auf die Antwort auf die Annonce war unerwartet steril und allgemein. Irgendwie hatte ich anderes erwartet. Von einer schönen Germanistin allemal. Der Name war sehr schön. Amelie
AMELIE
Amelie ist eine schöne Frau. Sie sieht es. Sie steht vor dem fenstergroßen Spiegel, lässt ihre Hüfte vorsichtig und doch entschlossen, als wenn sie etwas Verbotenes tun würde, zur Seite ausfahren und sie sieht sich und lächelt. Amelie ist nackt. Die Hände ihres Mannes gleiten über ihre Schultern, berühren ihre Brüste, umfahren ihren Bauch und verbleiben beweglich an ihrer nackten Scham. Amelie fühlt sehr viel Schönes und ist erregt. Der Haken an der Sache ist: Es ist kein Mann da und in vierzig Minuten müsste Amelie im Büro sein aber da sie weiß, dass ihr zum Monatsende gekündigt wird, entschließt sie sich und legt ihre Hüfte mit einem angedeuteten Schwung auf die andere Seite. Ein kleines Röllchen von wunderbarer Fraulichkeit schaut frech aus dem Spiegel. Und nun lacht Amelie und flüstert (als wenn es wieder etwas Verbotenes sein könnte):„Leckt mich am Arsch“.
THOMAS
Im Sommer 2007 habe ich gesehen, wie im reichsten Land der Welt, Norwegen, ein vor mir stehender Penner einen riesengroßen Sack leerer Plastik- und Glasflaschen in den Pfandautomaten wurschtelte und damit scheinbar motorisch überfordert war. Ich stand in der Reihe, wollte nur meine sechs leeren Bierflaschen tauschen und hatte schon ein neues sixpack vom guten Ringnes Bier im Korb. Achtzig Kronen. Zehn Euro. Dann ging der Penner einkaufen. Zwei Paprika Schoten, zwei Becher Fettarm- Milch, sechs Möhren und eine Rolle Toilettenpapier. „That’s our „bonus. Wir müssen alle etwas tun für unsere Haus.“ Sagte er. Und ich nahm mein Sixpack Ringnes Bier für 80 Kronen (immer noch zehn Euro) und verließ, zwar etwas nachdenklich aber doch froh und heiter bei strahlendem Sonnenschein den Supermarkt in Birkeland, Südnorwegen.
AMELIE
Und nun fährt Amelie nach Norwegen. Nicht zum Penner, den wird sie nie kennen lernen. Sie durchfährt Jütland in Dänemark entspannt und doch zu hastig, bugsiert ihren etwas größer geratenen Kleinwagen nicht ganz problemlos auf die Fähre via Kristiansand, wundert sich und mit ihr Magen, dass es im Sommer und fast mitten in Europa doch so hohe und vor allem lange Wellen gibt und erreicht kurz nach Mitternacht die norwegische Küste, bald darauf auch einen Hafen und schließendlich den norwegischen Zoll. So weit, so gut. Jetzt wird es schlecht. Der Zoll. Ein auserlesener, von sich und der Kontrolle an sich überzeugter Haufen von Beamten mit einem großen Interesse am Schnüffeln mitten in Europa ,sodass Amelie als Reaktion auf diese Anti-Wikinger entgegen allen ihren wohlerzogenen Grundsätzen flucht und spuckt und dann in dieser Stimmungslage in Norwegen einfährt. Und schnell ganz langsam ruhig wird. Und Norge sieht, schnuppert und bald nichts mehr hört. Nur noch lächelt. Die beste aller DVD, Claire de Lune, einschiebt und jede Kurve eigentlich zweimal umfahren möchte, weil sie eben angekommen ist. In einem Traum. Sie weiß, er wird zerreißen, wie die Gespinste, die sie jetzt über dem Fluss sehen kann. Aber das Glück, es ist jetzt hier und es wird für eine kurze aber wunderbare Zeit bei ihr sein.
Und dann knallt sie frontal mit dem Brückengeländer über der Tovdalenselva am letzten Wasserfall vor dem rettenden Campingplatz zusammen. Sie erwacht in der Notaufnahme im Krankenhaus von Kristiansand.
“Glück gehabt. Wir konnten Ihre Krankenkarte nicht finden. Wo befindet sie sich?“
Seltsame Norweger, in Deutschland wäre das nicht so, denkt Amelie, und verfällt wieder in einen Schwebezustand zwischen Leben und weit weg sein.
Am nächsten Morgen ist ihr Kopf immer noch bleischwer. Aber sie sieht die Spinne an der Decke und hört die Frau über ihr fragen: Ist alles okay? Wo ist ihre Chipkarte, wir konnten sie nicht finden.
„Im Rucksack, links“.
„Danke, es so wichtig für uns.“
„Und wenn ich jetzt tot wäre?“
„Dann wäre sie noch wichtiger.“
„Sie sind Norwegerin?“
„Ich bin Portugiesin.“
„Sie sind so blond.“
„Sie sprechen wie alle anderen.“
„Sie sind sehr schön.“
„Wir dürfen das zu den Patienten nicht sagen.“
„Mir tut mein Kopf so weh“.
„Ich gebe dir ein wenig mehr, aber hush.
„Erzähl mir etwas über Portugal. Ich kenn es nicht. Es muss ein sehr schönes Land sein.“
„Schlaf. Portugal ist ein sehr kleines trockenes Land und hat sich vor vielen hunderten Jahren an der Welt überhoben. Es hat so wenig Töchter und Söhne, die essen jetzt Trockenfisch aus Norwegen und karren Melonen nach Düsseldorf. Schläfst du? Gut. Gut. Verrat mich nicht. Ich soll hier eigentlich nur putzen, na, ja nicht ganz.“
Sie strich mit schokoladenbraunen Fingern über Amelies Augenbrauen und küsste sie dann. Vielleicht träumte sie das aber auch nur.
Sei es wie es sei. Seitdem liebte Amelie Portugal.
Am nächsten Morgen kam eine nette massive Norwegerin zu ihr und verließ sie die nächsten Tage nicht mehr. Amelie wusste nicht mal ihren Vornamen, aber seither erinnerte sie sich an ihre Hände. Die waren so groß und zerrissen.
THOMAS
Ich war nur auf dem Weg, zum Supermarkt, nicht zum Sixpack sondern zum Alibi-Geithost, Ziegenkäse für Deutschland, als ich eine Elchkuh rammte. Sie stolperte über die Straße, glotzte auch noch etwas blöd und drehte mir dann ihr Hinterteil zu. Das war aus ihrer Sicht eine gute Lösung, denn unsere Karambolage verursachte bei ihr nur ein erstaunlich kindliches Quieken und mehrere Hüpfer runter von der Straße hinein in den endlosen norwegischen Wald. Nicht mal ein richtiger Elch, dachte ich noch und wurde dann wohl bewusstlos. Hat man mir später im Krankenhaus gesagt. Dort quiekte auch ich, als ich mich das erste Mal in einen vorgehaltenen Spiegel sah.
„Brillenhämatom“, sagte die offensichtlich aus Spanien stammende Norwegerin und kicherte dabei unverschämter Weise. Jetzt ist es wunderbar blau, bald wird es grün und gelb – dann bist du durch. Solange solltest du Spiegel meiden. Alles andere erklärt ihnen gleich der Arzt.“
„God morn“, sagte dieser vier Stunden später. Keine Angst. Ich spreche vorzüglich deutsch. Habe in Budapest studiert, wegen des Numerus Clausus und dann meinen Abschluss bei der Bundeswehr gemacht.
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