Nicht selten dämmerte sie dabei ein. Wenn sie dann aber erwachte und ihre ‚Lorem sororem‘ noch immer an ihrer Seite fand, war sie so gerührt, dass sie einem eigenartigen Weinanfall irgendwo zwischen Dankbarkeit und Trauer verfiel.
Schon war man geneigt zu glauben, die Hofrätin sei ein anderer Mensch geworden, der mit der früheren Beatrice kaum noch etwas gemein hatte. Aber die Veränderungen ihres Wesens waren so gravierend, dass man es auf herkömmliche Weise kaum erklären konnte und Zauberei schon nicht mehr ausschloss. Natürlich sprach das niemand aus, zumal dieser Wandel ja durchaus erwünscht war. Und doch begann man sich insgeheim zu sorgen.
Als Beatrice dann auch noch ganz offen ihre Reue zeigte und verkündete, nunmehr die volle Wahrheit zu gestehen und die Herren des Tribunals und vor allem ihren Mann um Verzeihung bat, beeindruckte das sogar den sonst so hartgesotten Amtmann Kunze. Aber so sehr er sich auch bemühte – er konnte keine Intrige darin finden, denn ein solches Geständnis bewahrte sie zwar vor der hochnotpeinlichen Befragung, nicht jedoch vor der Wasserprobe.
Mit gemischten Gefühlen überbrachte er diese Botschaft Kunibert, der es zunächst gar nicht glauben wollte.
Als sie es dann nochmal in seiner Gegenwart wiederholte und sich damit selbst überführte und das ohne jede Angst und Mitleidshascherei, verwunderte und beschämte ihn das gleichermaßen, dass er sie am liebsten in die Arme genommen hätte. Aber er konnte es einfach nicht fassen.
‚Das ist nicht Beatrice‘, dachte er bei sich, als sie so gebrochen und demütig vor ihm kniete und ihn ahnen ließ, welche unheimlichen Kräfte hier gewirkt haben mussten.
Schon wollte er Anweisung geben, den Grund dafür zu erfahren, notfalls mit Gewalt. Glaubte er doch immer noch an eine Finte, deren Sinn sich ihm nur nicht erschloss. Zugleich aber fürchtete er sich davor, weil er genau wusste, was und wen er damit diskreditierte.
Zurück blieb sein tiefes Entsetzen über diese so unerwartete Annahme ihres Urteils, von dem sie doch wissen musste, was es bedeutete. Das bedrückte ihn bald mehr als die Furcht vor einem möglichen Freispruch, so dass er in der folgenden Nacht kein Auge zu bekam.
Aber es entsprach nun mal seinem Naturell, in unerwarteten Wendungen stets etwas Schicksalhaftes zu sehen. So war es nur natürlich, dass er, von einem übermächtigen, beinahe zwingenden Verlangen nach Seelentrost getrieben, sich am Ende wieder in die Arme ausgerechnet jener Frau flüchtete, die diese Wendung herbeigeführt hatte.
„Oh Gott, Sie wird brennen, und ich weiß nicht, ob ich mich darüber freuen soll“, jammerte er, als er sich diese Vorstellung vergegenwärtigte und schmiegte sich wie ein schutzsuchendes Kind an sie.
„Aber war das nicht Euer Wille?“, erwiderte sie daraufhin emotionslos.
„Ja schon, aber du verstehst das nicht. Sie sollte nach den Regeln des Protokolls überführt werden. Dazu gehörte ihr Widerstand. Hexen leisten immer Widerstand. Das müssen sie, es liegt in ihrer Natur. Gerade jemand wie du sollte das doch wissen. Doch jetzt verstehe ich sie nicht mehr. Sie kann doch nicht einfach gestehen, ich meine, so wie sie es tat. Wenn aber doch, führt sie etwas im Schilde. Sie will mich narren, mein Gewissen beschmutzen und vor Gott beschämen. Oh ja, ich kenne sie.“
„Aber was habt Ihr erwartet?“
„Ich habe erwartet, dass sie ...“ Über die unerwartete Deutlichkeit dieser Frage verdutzt, hielt er empört inne. „Sag mal, was erlaubst du dir eigentlich? … Du meinst also, ich hätte es gewusst ... Natürlich meinst du das, weil ich in deinen Augen nichts weiter als ein Lump bin, nicht wahr?“
Gekränkt wandte er sich von ihr ab, erschrak jedoch zugleich darüber und schaute ängstlich drein. „Aber das bin ich nicht. Ich werde es dir beweisen. Das Einzige, was ich für sie noch tun kann, wäre ein gnädiger Tod … Würdest du das für mich erledigen? Ich meine, würdest du ihr vorher etwas geben? Du hast die Möglichkeiten dazu. Ich weiß, dass du es kannst. Sie vertraut dir. Ich bitte dich, gib ihr etwas davon, bevor der Henker die Scheite entzündet. Es soll dein Schade nicht sein.“ Er hielt ihr ein kleines Fläschchen mit einer Flüssigkeit entgegen.
„Ihr wollt mich zur Mörderin machen?“, folgerte sie entgeistert.
„Aber was redest du? Du sollst ihre Erlöserin sein! Darin liegt etwas Edles. Ich sage das nur, weil, nun ja, weil die Wasserprobe zu ihren Ungunsten ausfallen wird.“
„Das wisst Ihr jetzt schon?“
„Nun sei doch nicht so naiv“, empörte er sich erneut. „Das Rad, worauf man sie bindet, kann nicht untergehen, verstehst du? Schon deshalb wird sie brennen, und niemand kann es verhindern.“
„So ist das also. Urteilt Ihr in Euren Prozessen immer so?“
„Ach komm, es geht doch um etwas ganz anderes. Es geht um … Was stellst du eigentlich für Fragen, he? Was erlaubst du dir? Hast du vergessen, dass ich deine Identität kenne und es mir ein Leichtes wäre, deinen Prozess wieder aufzurollen?“
Sie schüttelte jedoch nur den Kopf über so viel Naivität. „Nur zu. Nur weiß ich nicht, ob ich dann so fügsam wäre wie Eure Beatrice. Immerhin verbindet uns einiges, habt Ihr das vergessen?“
„Ich habe gar nichts vergessen, vor allem deinen Freund, den Magister Daniel Titius, nicht. Glaubst du, der gäbe noch einen Pfifferling auf dich, wenn er erfährt, wer sie weichbekommen hat?“
„Das mag vielleicht sein. Aber glaubt Ihr, ich würde Euch dann nicht als das entlarven, was Ihr seid, ein Förderer eines Hexenmeisters, der sich einen Dreck um die Loyalität des Rates schert, so lange es nur dem eigenen Vorteil dient? Oder wie wollt Ihr erklären, dass bereits kurz nach seinem Auftauchen alle Lohensteinakten verschwunden waren und somit niemand außer Euch davon erfahren konnte?“
„Das wagst du nicht!“ Er war kurz davor, sie zu schlagen.
„Da wäre ich mir nicht sicher.“
„Du verdammte, kleine…“ Schon packte er sie an der Gurgel, ließ aber gleich wieder von ihr ab. Ihr Lächeln verriet ihre ganze Geringschätzung, als wüsste sie längst um seine Schwäche.
Aber womöglich hat sie sogar Recht? schoss es ihm durch den Kopf. Nichts ist schlimmer als Selbstzweifel ausgerechnet in Momenten der Schwäche.
Welches Chaos brach jetzt in ihm aus, wobei er für einen Moment tatsächlich erwog, alles wieder rückgängig zu machen.
Er könnte vor dem Tribunal eine Geschichte erfinden, wonach er ihr den Incubus absichtlich in den Schrank gelegt und den Wein selbst gepanscht hatte, um sie in Verdacht zu bringen. Das wäre mit einer momentanen Überspannung leicht zu entschuldigen. Mit ein wenig Glück wäre das noch so zu drehen, dass die Öffentlichkeit so gut wie nichts davon erfuhr, selbst auf die Gefahr, sich damit zum Gespött zu machen.
Kaum aber überdachte er die Vorstellung eines Rückfalls in sein altes Leben, einschließlich der damit verbundenen Konsequenzen, knickte er erneut ein und bedauerte unter Tränen seine Schwäche, die ihn in ihren Augen erneut herabsetzen musste.
Aber die Würfel waren gefallen und niemand konnte daran noch etwas ändern.
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