„Ich soll so schnell wie möglich nach Genf kommen und man will mich wieder mit dem Fall betrauen.“
„Wieso das?“
„Weil man mir Unrecht getan hätte,“ meinte sie etwas zögernd.
„Und was hast Du gesagt?“
„Nichts,“ erklärte sie. „Ich habe Zeit es mir zu überlegen.“
„Und was passiert, wenn Du nicht zurückkommst?“
Sie zuckte die Achseln: „Wolf, sag mir die ganze Wahrheit, denn es ist für mich lebenswichtig. Seid Ihr amerikanische Agenten?“
Lenning überlegte einen Moment. „Corinne, wir haben nachher noch genug Zeit, dann sprechen wir über alles. Aber bitte komm' noch hinein zum Nachtisch und dann begleite ich Dich in Dein Hotel.“
In diesem Augenblick kam Pierre wieder an den beiden vorbei und hielt Dax ein großes Stück Fleischwurst hin, das dieser sich sofort schnappte.
„Dein Hund hat noch Hunger,“ fand Pierre und Lenning nickte.
„Ihm schmeckt es hier.“
„Das ist mehr Appetit als Hunger!“ Pierre lachte.
Zum Nachtisch gab es Eis mit heißen Himbeeren und das ganze in Brandteigkugeln verpackt. Das Essen war wirklich hervorragend gewesen und Lenning ließ an seinem geistigen Auge nochmals die Gänge vorüberziehen. Die Zeit war unheimlich schnell vergangen, denn es war schon fast 23:00 Uhr, als Corinne, die sehr viel stiller als zu Anfang, klein und zusammengesunken neben Lenning saß und sich eigentlich nicht mehr an Gesprächen beteiligte, mit dem Zeigefinger der rechten Hand auf die Goldkette am linken Handgelenk deutete und danach beide Hände wie zum Beten faltete.
Wolf Lenning hatte verstanden und erklärte seinen Freunden: „Gleich nach dem Nachtisch werden wir hinübergehen. Corinne ist etwas durcheinander und sehr ermüdet.“
„War das Väterchen so streng?“ Tom machte einen Witz, aber erkannte sofort, dass Witze nicht angebracht waren.
„Nicht böse sein, aber Ihr werdet Eure Gründe haben, warum Ihr so still geworden seid.“
„Ich bin doch nicht still geworden,“ antwortete Wolf Lenning, aber John nickte mit dem Kopf.
„Tom hat recht. Geht hinüber und tragt aus, was Ihr klären müsst. Derweilen halten wir hier schon die Stellung...“ und er zeigte mit dem Daumen nach oben.
Plummy, dem die Umstände auch sehr leid taten, reichte Wolf Lenning zum Abschied die Hand.
„Nicht traurig sein“, rief er. „Sonst wirst Du den Wein allein austrinken müssen.“
Er drückte Lenning die beiden Flaschen Lenningwein in die Hand. Dieser betrachtete sie, wusste aber keine Antwort.
„Wir trinken sie ein anderes Mal“, besann sich aber eines besseren. „Komm´, eine öffnen wir noch und die andere nehme ich mit.“
Da kam Pierre ganz schnell mit einem Korkenzieher und öffnete die Flasche. Neue Gläser wurden aufgestellt und die Flasche Wein auf die Gläser verteilt. Corinne betrachtete das Etikett der vollen Flasche, die ihr Wolf in die Hand gegeben hatte.
„Da steht ja Dein Name und Dein Wappen?“
Sie blickte ungläubig auf das Etikett. „Bist Du ein Winzer?“ fragte sie.
„Nein“, lachte da Pierre. „Der hat keinen anständigen Beruf. Der ist nicht so etwas Bodenständiges.“
Und fast tonlos hörten alle Corinne sagen: „Kein anständiger Beruf...“
„Hab ich etwas Falsches gesagt?“ Pierre schaute zu Corinne, die wieder eine Stufe trauriger blickte.
„Auf, jetzt probieren wir den Wein!“
Und alle probierten den Wein und fanden, dass er das beste an Getränken für heute Abend war, insbesondere der hohe Alkoholgehalt rief bei allen ungläubige Anerkennung hervor.
„Der ist fast so stark wie ein Sherry.“
Und Pierre meinte: „Fast hätte ich gedacht, das wäre ein Druckfehler, aber sein Alkoholgehalt ist wirklich beachtlich.“
„Über 14 %.“, erklärte John, der den Wein schon gekannt hatte.
Corinne leerte ihr Glas relativ flott. „Er ist sehr schwer“ sagte sie noch und schwieg dann wieder.
Lenning verabschiedete sich danach rasch von den anderen und ging mit Dax und Corinne hinaus. Sie zogen sich ihre Mäntel an und gingen ins Freie. Der Schneefall hatte jetzt aufgehört und die Nacht funkelte sternenklar. Es war bitterkalt. Wolf nahm Corinne bei der Hand und ließ Dax von der Leine los. Sie gingen noch ein Stückchen durch den Schnee und unterhielten sich dabei nicht. Ab und zu spürte Wolf, dass seine Hand fest gedrückt wurde und er erwiderte das Drücken mit einem ebenfalls festen Händedruck.
„Was mag in ihr nur vorgehen?“ dachte er und dann gab er sich gleich selbst die Antwort: „Sie überlegt, ob ich sie anlüge und jedes Mal wenn sie wieder zu dem Ergebnis kommt, dass ich es ehrlich mit ihr meine, drückt sie meine Hand.“
Kurze Zeit später kamen sie beim Hotel an. In der Vorhalle befand sich, wie vorher schon, niemand mehr. Sie gingen über die Treppe und wollten gerade das Appartement betreten, als Corinne plötzlich zu Wolf herumfuhr.
„Halt um Gottes Willen jetzt Deinen Hund fest an der Leine, damit Mimi erst in Sicherheit gebracht werden kann.“
Wolf Lenning lächelte. „Mimi, braucht keine Angst vor Dax zu haben. Dax würde so gern einmal Mimi am Hintern lecken.“
Corinne musste jetzt lachen. „Warum? Leckt er gern Katzen am Arsch?“ fragte sie.
„Ja,“ antwortete Wolf. „Es kommt immer einmal vor, dass es ihm eine Katze gestattet und dann freut er sich und kann gar nicht mehr aufhören.“
Corinne musste lachen. „Das werden wir ja sehen!“
Sie ging zunächst kurz allein hinein und winkte dann den beiden anderen, zu folgen.
„Corinne, ich liebe Dich“, rief Wolf und schloss sie in seine Arme.
Sie hatte wieder Tränen in den Augen. „Wolf, ich liebe Dich“, murmelte sie und küsste ihn.
Wolf wartete nach dem Kuss einen Moment und meinte dann, Corinne könne ja die Flasche Wein öffnen.
Corinne verstand diesmal sofort. Sie öffnete die Flasche und betrachtete wieder neugierig das Etikett.
„Warum steht da Dein Name?“ fragte sie wieder.
„Weil ich diesen Wein mehr oder weniger gemacht habe. Das heißt, ich habe den Weinbauern genau angewiesen, wie er ihn auszubauen habe. Das heißt, er ist komplett durchgegoren und ich habe mich auch dafür interessiert, wie lange die Trauben noch gehangen haben.“
„Ah ja,“ meinte Corinne gedehnt. „Du redest also allen Fachleuten in ihr Handwerk hinein. Sogar den Weinbauern.“
Lenning schmunzelte. „So kann man es natürlich auch ausdrücken.“
„Übrigens,“ begann Corinne nach dem ersten Schluck wieder. „...der Wein schmeckt hervorragend. Ich habe es drüben nur so gesagt, in Wirklichkeit war er wie ein Kuss von Dir.“
Lenning nahm einen Mund voll des recht starken Weines und setzte seine Lippen auf die Corinnes. Mit einem leichten Druck der Wangenmuskulatur spülte er den Wein aus seinem Mund in den Corinnes. Corinne schluckte, nahm ihrerseits einen Schluck aus dem Glas und beförderte diesen auf die gleiche Weise in Wolfs Mund. Dann schaute sie wieder Lenning in die Augen. Ihre Lider schienen etwas tiefer zu hängen als vorher, ihre Rede wurde leicht langsamer.
„Du wolltest mir etwas erzählen“, begann sie von neuem.
„Ja, Corinne, ich erzähl´ Dir jetzt die ganze Geschichte. Ich will nichts weglassen, aber muss begreiflicher Weise ein bisschen zusammenfassen, sonst sitzen wir morgen um die Zeit noch hier. Wenn Du Fragen hast, beantworte ich sie Dir alle ehrlich, verknüpfe das allerdings mit einer Bedingung.“
„Und die wäre?“
Corinnes Augenlider hoben sich kaum merklich.
„Du lässt mich zuhören, wenn Du mit dem Justizminister sprichst.“
„Aber Du redest mir nicht hinein!“
Corinne schien in ihren Überlegungen noch ganz klar zu denken.
„Nein, ich verspreche Dir, nicht reinzureden, wenn Du das nicht willst.“
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