„Sowas Dummes, „ hörte ich das Engelchen murmeln, „niemand hat mich lieb. Alle sind gegen mich. Alle wollen nur Böses von mir. Keiner gibt mir Liebe. Ich habe es doch wirklich versucht. Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll. Die Welt ist so grausam.“ Und ich versuchte es zu warnen, versuchte, ihm zu erklären, dass die Welt erst dann grausam wird, wenn es die Welt dafür hält, aber ich hatte keine Chance. Zu sehr war es in Selbstmitleid und Hass gegen sich selbst verfangen, als dass es mich hätte hören können. Aber ich gab meine Bemühungen nicht auf. Ich glaubte an mich und meine Fähigkeiten und ich glaubte, dass das Engelchen es schaffen würde, sich aus diesen Sümpfen, wenn es sich darin verfangen sollte, wieder zu befreien. Langsam trottete es seines Weges, sah nicht nach rechts und nicht nach links. Sah immer nur auf den Boden und sah ihn trotzdem nicht, sonst hätte es bemerkt, dass der Boden langsam aber stetig immer feuchter wurde und es sich dem Sumpf der Verzweiflung näherte.
Hier saß die Krake Unglaub und freute sich schon auf ein neues Festessen. Ich konnte sie schon singen hören: „Komm her, mein Engelchen. Bei mir bist du ganz richtig. Diese Welt ist böse und schlecht. In meinem Sumpf wirst du dich in Dreck und Modder wühlen können. Dann wirst auch du den Geruch der Welt annehmen. Das Atmen wird dir schwer fallen und dann wirst du froh sein, von dieser Welt zu gehen.“
Ja, das war ihr Klagelied. Tag für Tag und Nacht für Nacht. Und sie fand immer wieder ihre Opfer! Ich bin bis heute nicht dahinter gekommen, warum es so viele gab, die es hierher zog und ich für mich werde diese Lösung wohl nie erfahren. Und wenn ich ehrlich bin, so erpicht darauf, das zu erfahren, bin ich eigentlich auch nicht. Ich machte mir nur Gedanken um mein kleines Engelchen, das immer noch weinend und klagend neben mir marschierte und mich noch immer nicht hören konnte. Merkte es denn nicht, dass es nun schon mit den Knöcheln im Sumpf steckte? Merkte es denn nicht, dass das Gehen immer und immer schwerer wurde?
Der Matsch setzte sich an seinen Füßchen fest und spritzte sein schönes weißes Hemdchen voll, so dass auch bald schon das bislang noch reine Hemdchen ganz dreckig und traurig aussah. Immer weiter ging es in den Sumpf hinein, immer schwerer kam es voran, immer höher wurde der Sumpf und immer näher kam es der alten Krake Unglaub. Die ersten kleinen, bösen Geister schwirrten um das Engelchen herum, flüsterten schlechte Dinge über die Welt und das Leben in das Ohr des Engelchens und dafür war es eigenartigerweise offen. Jedes Wort sog es auf wie ein Schwamm. Kein Wunder! Wurde es doch durch die Geister in seiner Meinung bestärkt. Bis zu den Hüften steckte es im Schlamm, nur noch ein paar Meter und es war im Gebiet von Unglaub!
Und das Engelchen ging immer weiter, kämpfte sich voran. Mir wurde langsam das Atmen zur Qual. Wie konnte man hier überhaupt noch atmen? Aber ich vertraute darauf, dass wir es irgendwie schaffen würden. Noch waren wir nicht verloren! Es musste einen Weg geben. Da kam Unglaub. Mir blieb die Spucke weg. Mit lüsternem Blick kam es auf das Engelchen zu, beleckte sich die Lippen, freute sich auf das Festmahl. Die Augen von Unglaub quollen fast über vor Erwartung. Langsam streckte es seine glitschigen Arme aus. Überall Matsch - und Unglaub suhlte sich darin, als sei es ein wohltuendes Erfrischungsbad. Mir wurde ganz schlecht. Langsam musste ich mir aber wirklich etwas einfallen lassen, sonst war das Engelchen verloren.
Jetzt hatte Unglaub es erreicht, fasste es am Arm, zog es zu sich herüber. Ich zerrte mit aller Kraft am anderen Arm, aber Unglaub war stärker. Jetzt lag das Engelchen willenlos in seinen Armen. Das war ein Bild! Ein Engelchen mit schönem Gesichtchen in den Armen einer Riesenkrake, die grün und glitschig war. Ein Unterschied wie Tag und Nacht. Hell und Dunkel - so war auch der Anblick dieses Bildes. Es zerriss mir fast das Herz.
In einer Anwandlung von Güte hob Unglaub das Engelchen auf seine Arme, wog es hin und her. Das Engelchen schien zu schlafen, es lag dort in den Armen wie tot, zu keiner Regung mehr fähig. Leblos, hoffnungslos, einsam und allein, völlig hilflos. Da kam mir die Erleuchtung. Ein Vogel musste her. Und ganz stark wünschte ich mir, dass ein kleiner Vogel uns helfen möge. Wenn ich schon nicht sichtbar werden konnte, dann vielleicht ein kleines Vögelchen mit Flügeln, das heraus fliegen konnte aus diesem Sumpf. Ein Vögelchen, das so klein war und doch immer ein fröhliches Liedchen trällerte. Ein Vögelchen, das Meister war über sein Leben, dem kein Berg zu hoch und kein Wasser zu weit war. Und plötzlich hörte ich - noch etwas entfernt - ein fröhliches Tirilitirila, das langsam näher und näher kam. Die Rettung nahte! „Hallo, Vögelchen, „ begrüßte ich es herzlich, „ich freue mich, dich zu sehen. Danke, dass du mich gehört hast.“ Ich war erleichtert, denn noch nie war ich so froh gewesen, ein Lebewesen zu sehen, wie in diesem Moment, als es um Leben und Tod dieses kleinen Engelchens ging.
„Du weißt doch, dem Fröhlichen gehört diese Welt. Und bin ich auch nur klein, „ antwortete dieses kleine, schillernde Geschöpf, „ich habe doch alle Kraft der Welt. Alle Kraft, die ich brauche, ist in mir. Und weil ich um diese Kraft weiß, kann mir niemand etwas anhaben. Und niemand kann mir verbieten, diese Kraft zu nutzen. Also tue ich es. Und indem ich meine Kraft nutze, kann ich anderen von meiner Kraft abgeben und ihnen helfen. Das ist ein Gesetz des Lebens, das jeder kennt. Aber nicht jeder wendet es an. So, und jetzt wollen wir sehen, was wir machen können. Komm’ mit.“ Sprach’s und flog auf das glitschige Monster zu.
Ich wollte es warnen, aber meine Stimme versagte mir. Dieses klitze-kleine Vögelchen war so sehr von sich selbst überzeugt, dass ich mich nicht mehr traute, irgendetwas zu entgegnen. Also machte ich mich auf den Weg um ihm beizustehen. Es setzte sich auf den Kopf des Engelchens und fing an zu tirilieren. Schöner und klarer als ich es je gehört hatte. Nie hatte ich für möglich gehalten, dass man so schön tirilieren konnte. Unglaub versuchte, das kleine Vögelchen mit einer Hand zu erhaschen, mit der anderen Hand hielt es das Engelchen fest, das kaum noch zu leben schien. Wir mussten jetzt schnell handeln. Das Vögelchen wuchs über sich selbst hinaus. Geschickt entwischte es der Hand der Krake und jedes Mal, wenn es erfolgreich entwischt war, tirilierte es nur noch ein bisschen lauter und schöner als vorher, was die alte Krake nur noch wütender machte.
Durch dieses Wirrwarr schien wieder Leben in das Engelchen zu kommen. Langsam, ganz langsam öffnete es ein Auge, sah sich verwundert um, schien aber noch nicht zu registrieren, was hier gerade vor sich ging.
Das Vögelchen tat sein Bestes. Trickreich entging es den Klauen der Krake und ich hatte den Eindruck, als wenn es immer fröhlicher wurde, ja völlig über sich hinaus wuchs und immer größer und stärker dabei wurde. Jetzt begann ich, auf das Engelchen einzureden. „Du musst aufwachen. Es ist noch nicht zu spät. Du kommst hier wieder raus, wenn du nur willst. Du musst nur an dich glauben. Wir helfen dir, wir sind deine Begleiter. Wir waren immer bei dir, haben dich immer auf deinem Weg begleitet.
Wir werden auch in Zukunft zu dir stehen. Komm’, lass dir helfen. Vertraue! Du schaffst es! Wach auf. Es wird Zeit, hier zu verschwinden. Es gibt noch so viele schöne Dinge auf der Welt. Sieh’ dir das Vögelchen an. So klein und doch so flink, dass diese alte Krake ihm nichts, absolut nichts anhaben kann. Höre auf sein Lied. Sing mit! Es ist das Lied des Lebens!“
Und je mehr ich sagte, desto mehr drang meine Stimme offensichtlich in das Bewusstsein des Engelchens ein. Noch glaubte es mir nicht, aber es sah seine missliche Lage und ein kleiner Funke von Lebenswillen erschien auf seinem Gesichtchen. Und plötzlich rappelte es sich hoch. Die Krake war mit einer Hand mit dem Vögelchen beschäftigt - das war die Chance!
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