„Außerdem trägt er schwarz-weiße Schuhe.“
„Siehste“, trumpfte Olivia auf, „doch ein Mafioso. Ich habe im Fernsehen gesehen, dass die solche Schuhe tragen.“
„Wie geschmacklos“, mokierte sich Kaily. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass solche Leute zur Hundeausstellung gehen.“
„Jedenfalls werde ich sie im Auge behalten“, versprach Barny, dem das Wort „Tierpension“ einen gehörigen Schrecken eingejagt hatte.
Auch Mariellas Eltern hatten die seltsamen Schuhe bemerkt und einen vielsagenden Blick gewechselt. Aber da rollte die Autoschlange auch schon vorwärts, und Herr Graf musste sich konzentrieren, denn sein Fahrzeug wurde als letztes auf die Fähre gewunken. Die riesige Limousine hinter ihnen passte nicht mehr auf das Schiff. Sie blieb als einziges Fahrzeug am Ufer zurück. „Die ärgern sich jetzt bestimmt“, stellte Mariella zufrieden fest. „Kümmere dich nicht mehr um diese Leute, sondern steig lieber aus und schau mal, wie schön es hier ist.“ Lucie Graf ging mit ihrer Tochter zum Heck der Fähre, die inzwischen abgelegt hatte.
Bellagio – ein Hauch von Luxus
Die hübschen bunten Häuser Varennas leuchteten in der Morgensonne. Hohe Berge zeichneten sich scharf gegen den blauen Himmel ab und hoch über dem Städtchen thronte majestätisch das uralte, halb verfallene Castello di Vezio. Lucie Graf erzählte Mariella die Geschichte von der LangobardenköniginTheodolinda, die vor vielen hundert Jahren in dieser alten Burg weilte. „Vielleicht können wir das Castello einmal besichtigen“, schlug sie vor. „Man hat einen Teil des alten Gemäuers restauriert. Außerdem soll es da oben eine Greifvogelzucht geben.“
„Was sind Greifvögel?“, fragte Mariella, die sich brennend für alle Tiere interessierte. „Falken, Habichte, Adler und auch Uhus nennt man Greifvögel“, antwortete ihre Mutter. „Zeitweise fliegen die sogar frei herum und kehren immer wieder zur Burg zurück.“ Mariella war begeistert. „Toll, das müssen wir sehen“, rief sie übermütig, während sie zum Bug des Schiffes lief, denn der Fähranleger von Bellagio kam bereits in Sicht. Im Gegensatz zu den kleinen farbenfrohen Häusern Varennas waren die Gebäude Bellagios wesentlich größer und vornehm weiß oder pastellfarben gestrichen. Lucie Graf erklärte ihrer Tochter, dass in den meisten dieser Häuser große luxuriöse Hotels oder Geschäfte untergebracht waren. Auch hier erhob sich über der Stadt ein weithin sichtbares, schlossähnliches Gebäude, die „Villa Serbelloni“. Bellagio lag in der Mitte des Comer Sees auf einer großen Landzunge, die den See in zwei Seearme teilte. Deshalb war die Fahrt mit der Fähre der einfachste Weg, um dorthin zu kommen.
„Was ist das für ein riesiges Gebäude?“, fragte Mariella und deutete auf die weitläufige terrakottafarbene Fassade des alten Grandhotels Britannia, das direkt hinter dem Schiffsanleger lag. „Das ist ein ehemaliges Luxushotel, das leider schon lange leer steht und allmählich verfällt“, antwortete ihre Mutter. „Das sieht doch aber gar nicht verfallen aus“, meinte Mariella. „Aus der Nähe sieht man schon, dass es nicht mehr bewohnt wird. Aber jetzt komm, wir müssen zurück. Sonst fährt Papa ohne uns los.“ Gerade rechtzeitig waren sie wieder am Auto. Während Rolf Graf den Wagen startete, erzählte Mariella, was sie soeben gelernt hatte.
Kaily rekelte sich vorsichtig, damit ihr Fell nicht in Unordnung geriet, und flötete: „Habt ihr gut zugehört? Ein Hauch von Luxus liegt über diesem Städtchen. Ich glaube, ich bin hier genau richtig.“ Olivia, die in der äußersten Ecke der bequemen Transportbox lag, um ja nicht eines von Kailys Haaren zu zerknittern, verdrehte die Augen. „Du lebst doch schon im Luxus“, erwiderte sie. „Du bist ein Showgirl, machst Urlaub im Süden, du hast ’ne tolle Familie, du wirst im Auto herumkutschiert, du hast Barny und mich – was willst du denn noch? Denk mal an den armen Nando, der meistens auf der Straße lebt.“ „Denk mal an Nando ...,“ äffte Kaily sie nach. „Es reicht ja wohl, wenn du an ihn denkst, oder?“
„Du bist eingebildet und frech“, ereiferte sich Olly. „Barny, was sagst du dazu?“ „Vertragt euch, Mädels. Denkt dran, gleich ist Showtime“, versuchte Barny zu schlichten und fügte gelangweilt hinzu: „Dieser italienische Nando-Casanova ist doch total unwichtig.“
„Find ich auch“, pflichtete Kaily ihm bei. Olly drehte ihnen beleidigt den Rücken zu und zischte: „Ich finde euch beide doof.“
Inzwischen wendete die Fähre, um dann mit dem Heck voran in Bellagio anzulegen. So konnte das Auto der Grafs als erstes Fahrzeug vom Schiff rollen. Staunend betrachtete Mariella die prächtigen Fassaden der alten Hotels. Die meisten Geschäfte befanden sich in schattigen Laubengängen, vor denen altmodische, in Falten gelegte, bis auf den Boden reichende Stoffmarkisen angebracht waren. Rolf Graf fuhr die Uferstraße entlang, die von blühenden Oleanderbäumen und duftenden Blumenrabatten gesäumt wurde. Auf der anderen Straßenseite konnte man nun das ehemalige Grandhotel Britannia ganz aus der Nähe betrachten. „Jetzt sieht es doch ein bisschen unheimlich aus“, sagte Mariella. „Das passiert mit alten Häusern, wenn sie für längere Zeit unbewohnt sind“, entgegnete Lucie Graf. „Aber man sieht doch immer noch, dass es einmal ein sehr prachtvolles Gebäude war.“ Mariella nickte zustimmend und schaute weiter interessiert aus dem Fenster. „Seht mal, da sind ja schon ganz viele Leute mit ihren Hunden. Ich glaube, wir sind bald da“, rief sie. Herr Graf fuhr jetzt sehr langsam und vorsichtig, denn vor, hinter und neben ihnen strebten Hunde aller Rassen, zusammen mit ihren Besitzern, dem Ausstellungsgelände zu. Während das Auto geparkt wurde, machte Kaily in der Transportbox vorsichtig einige Aerobic-Übungen. „Heh, was hampelst du hier herum?“ Olivia, die ein kleines Nickerchen gemacht hatte, fühlte sich gestört. „Wir sind da, du alte Schlafmütze!“, klärte Kaily sie auf und machte unverdrossen weiter. „Ich hampel nicht, ich mache Lockerungsübungen. Schließlich muss ich mich nachher auf dem Catwalk graziös bewegen.“
„Ach, und deshalb benimmst du dich jetzt wie ein Trampeltier“, schnaubte Olly. Kaily hörte auf der Stelle mit ihren Übungen auf und sah sie fassungslos an. „Sagtest du gerade Tram-pel-tier?“, fragte sie und betonte jede Silbe.
„Ja-wohl!!!“, trumpfte Olivia auf. Wütend starrten sich die beiden an, und Kaily wollte gerade anfangen, Olly an den Haaren zu ziehen, als Barny, den das Gezanke nervte, dem Streit ein Ende machte. Ganz beiläufig bemerkte er „Cara mia, deine größte Konkurrentin, Pepita von Stolzenfels, ist auch hier – und sie sieht toll aus.“
Kaily war sofort abgelenkt und setzte sich in Positur. „Toller als ich???“, fragte sie mit einem Unterton, der es nicht zuließ, dass man diese Frage mit „Ja“ beantwortete. Barny zog sich geschickt aus der Affäre: „Sie ist doch ein völlig anderer Typ als du, bellissima, das kann man gar nicht vergleichen.“
„Außerdem weiß doch jeder von uns, dass du die Schönste bist“, fügte Olivia süffisant hinzu, was Kaily geflissentlich überhörte. Vorsichtig und ordentlich drapierte sie ihr Haarkleid um sich herum und seufzte: „Ach ja, aber hoffentlich wissen das auch die Preisrichter.“
Carlotta bietet jeden Preis
Mittlerweile hatte Familie Graf den Campingtisch, die Stühle, den Picknickkorb und Kailys Kosmetikköfferchen aus dem Auto geladen und imSchatten eines Baumes abgestellt. Während Lucie Graf auf die Sachen aufpasste, holte Mariella zusammen mit ihrem Vater die Vierbeiner aus dem Auto. „Schau nur, unsere beiden Prinzessinnen liegen wie hingegossen auf ihrem Seidenkissen und sind ganz brav“, lobte Mariellas Vater die beiden Yorkie-Mädchen. „Barny hat sich während der Fahrt aber auch vorbildlich benommen“, sagte Mariella. Sie legte Barny eine rote Leine an, was dieser sich leise grummelnd gefallen ließ. Er war ja schon froh, dass nicht auch noch Strasssteine an seinem Halsband funkelten. Die Glitzerhalsbänder waren, Gott sei Dank, den beiden Mädchen vorbehalten. Während Olivia und Kaily, die ihren Streit schon vergessen hatten, mit ihrem Seidenkissen auf dem Tisch liegen durften, machte Barny es sich auf Mariellas Schoß bequem. Zufrieden sahen die drei sich um. Die Hundeausstellung fand in dem märchenhaften Park einer alten Villa statt. Rosen, Hortensien, Oleander und Jasmin blühten und dufteten um die Wette. Uralte Bäume spendeten Mensch und Tier genügend Schatten und man hatte einen phantastischen Blick auf den See, die Berge und die malerischen Städtchen an beiden Seeufern.
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