„Na, ihr drei Hübschen, was habt ihr vor?“, fragte Mariellas Vater gut gelaunt. „Wir drei werden uns jetzt frisieren“, antwortete Mariella und beobachtete aus den Augenwinkeln, wie Olivia versuchte, sich unter einem Liegestuhl zu verstecken. Mit einer geübten Handbewegung holte sie die kleine, heftig strampelnde Ausreißerin unter dem Möbelstück hervor.
„Wieso muss ich eigentlich genauso oft gekämmt und gebürstet werden wie du?“, giftete Olly in Kailys Richtung. „Schließlich musst du auf den Laufsteg und nicht ich! Und was ist mit Barny? Warum ist der nie dran mit Kämmen?“ Als hätte sie die Unterhaltung ihrer beiden Yorkies verstanden, rief Mariella: „Barny, komm mal her!“
Barny, der immer noch mit Nando um den Ast kämpfte, ließ diesen augenblicklich los, und Nando kullerte ein Stück den Berghang hinunter. „Eeeh, Bodyguard, das war ein fieser Trick!“, rief er Barny hinterher.„Aber wir sehen uns sicher noch mal wieder!“
„Worauf du dich verlassen kannst, amico mio“, knurrte Barny über die Schulter zurück, lief ins Haus und stellte sich brav hinter Olivia an, um von Mariella gekämmt zu werden. Später saßen alle auf der Terrasse, bewunderten den Sonnenuntergang und beobachteten, wie in den Bergdörfern am anderen Ufer des Sees nach und nach die Lichter angingen. Aus einem der Nachbarhäuser schallte Hundegebell in die abendliche Stille, in das Barny lauthals mit einstimmte, während die beiden Yorkie-Mädchen sich vornehm zurückhielten.
„Barny scheint das italienische Hundegebell schon gut zu verstehen“, meinte Lucie Graf. Mariella lächelte ihre Mutter verschmitzt an: „Ja, ich finde auch, er spricht perfekt „Bello Italiano“. Aber schau, Mama, da ist wieder die Fledermaus, die schon im letzten Jahr hier war.“ In der Dämmerung schwirrte etwas haarscharf über ihre Köpfe hinweg.
„Buona sera, Pipistrello!“, rief Kaily. „Schön, dass du auch wieder da bist.“ „Buona sera, meine Süße“, piepste die kleine Fledermaus zurück, während sie pfeilschnell an der Terrasse vorbeiflog und in rasender Geschwindigkeit zweimal die große Pinie im Garten umkreiste. „Ich freu mich auch, euch alle wiederzusehen. Aber ich habe heute Abend gar keine Zeit. Ich muss zum monatlichen Fledermaustreffen ins Fuerte de Fuentes.“ Sie flog noch einen gewagten Looping und schwirrte dann ab, in Richtung des alten Forts, das auf einem Hügel am See lag.
„Wahnsinn!!“ Barny hatte seine Unterhaltung mit der vierbeinigen, italienisch bellenden Dorfbevölkerung unterbrochen und sah Pipistrello verträumt nach. „So möchte ich auch mal fliegen können.“
„Dann hättest du Flughund werden sollen“, riss ihn Olivia mit ihrer direkten Art recht unsanft aus seinen Träumereien. Sie konnte nicht ahnen, dass Barnys Traum sich bald auf recht ungewöhnliche Weise erfüllen sollte.
Eine merkwürdige Begegnung
Zwei Tage später war es dann so weit: Alle zwei- und vierbeinigen Mitglieder der Familie Graf standen sehr früh auf, um zur Hundeausstellung nach Bellagio zu fahren. Aber zunächst wurden Olivia und Kaily in die Badewanne gesteckt, mit duftendem Shampoo eingeseift und wieder abgeduscht. Dann massierte Mariella ihnen eine Haarkur ins Fell und spülte sie gründlich wieder aus. Anschließend föhnte sie die langen, seidigen Haare der kleinen Terrier vorsichtig auf lauwarmer Stufe trocken. Morgenmuffelig ließen die beiden Yorkie-Mädchen die Prozedur über sich ergehen. Als Mariella schließlich den Föhn ausschaltete, kam Barny, der sich erfolgreich vor dem Baden gedrückt hatte, aus seinem Versteck hervor und sagte bewundernd: „Super, Mädels, ihr seht toll aus. Kaily, du erreichst bestimmt einen der ersten Plätze.“
„Phhh“, machte Kaily, deren Haarkleid stahlblau und golden in der Morgensonne glänzte, „was soll ich mit einem der ersten Plätze? Ich will den 1. Platz und den riesengroßen Siegerpokal. Dann bin ich der schönste Hund Europas.“ „Das wollen die anderen aber auch alle erreichen“, gab Olivia zu bedenken, die zwar sehr hübsch war, aber nie Interesse am Showgeschäft gezeigt hatte. „Aber ich werde es schaffen!“, sagte Kaily selbstbewusst und hielt ganz still, als Frau Graf ihr eine prächtige, rote, perlenverzierte Schleife ins Haar steckte. Herr Graf trieb ungeduldig zur Eile an. „Beeilt euch, sonst braust uns die Fähre in Varenna noch vor der Nase weg“, rief er und brachte schon mal den Campingtisch und die Stühle zum Auto.
„Wir sind schon fertig.“ Mariella stellte die große, bequem ausgestattete Hundetransportbox, in der Olivia und Kaily wie zwei Prinzessinnen in der Sänfte saßen, in den Wagen. Dann setzte sie sich ebenfalls auf den Rücksitz. „Barny kann aber nicht den ganzen Tag alleine zu Hause bleiben“, rief sie ihrer Mutter zu, die mit der Provianttasche aus dem Haus kam. Lucie Graf deutete auf den Vordersitz: „Schau mal, wer sich da schon breit macht“, lachte sie. Barny wackelte charmant mit dem Schwänzchen und sprang dann bereitwillig zu Mariella und ihren beiden Schützlingen auf den Rücksitz. Als Herr Graf losfuhr, stand plötzlich Nando am Straßenrand. „Ciao, bambina“, rief er. „Wohin soll die Reise gehen?“ Fast mühelos rannte er mit seinen langen Windhundbeinen ein Stück neben dem Auto her. „Dahin, wo der Pfeffer wächst“, knurrte Barny ziemlich unfreundlich. Aber Olivia übertönte ihn mit ihrem hellen Stimmchen: „Nach Bellagio, zum Schönheitswettbewerb“, rief sie.
„Bene, cara mia, dann sehen wir uns heute Abend, wenn ihr zurück seid“, antwortete Nando. „Viel Glück!“ Dann blieb er stehen, denn er war nun doch ein wenig außer Atem.
Am Fähranleger in Varenna standen bereits mehrere Autos in zwei Warteschlangen. „Na, hoffentlich ist die Fähre groß genug, um alle Wagen mitzunehmen“. Rolf Graf sah besorgt auf seine Armbanduhr. „Die nächste Fähre geht eine Viertelstunde später. Das ist immer noch früh genug“, beruhigte ihn Frau Graf. In diesem Moment trat ihr Mann heftig auf die Bremse. Der Fahrer einer großen, protzigen Limousine, an deren Motorhaube die goldenen Buchstaben „CD“ prangten, versuchte sich in die kleine Lücke zwischen dem Auto der Grafs und deren Vordermann zu schieben.
„Das hat der sich so gedacht“, sagte Mariellas Vater und ließ sein Auto millimeterweise vorrollen. Schließlich setzte die Limousine zurück und reihte sich hinter ihnen als letztes Auto in die Warteschlange ein. „Warum nicht gleich so?“, brummte Herr Graf. „Habt ihr die merkwürdigen Leute in dem Auto gesehen?“, fragte Mariella. „Die Frau auf dem Rücksitz trägt eine Pelzstola mitten im Juni, und die Sonnenbrille des Chauffeurs hat Spiegelgläser.“
„Kleines, jeder kann sich so kleiden, wie er möchte. Das geht uns nichts an.“ Die Stimme von Mariellas Mutter hatte einen leicht tadelnden Unterton. Herr Graf schmunzelte und sagte: „Also, ich finde auch, dass der Chauffeur wie ein Mafioso aussieht.“ Mariella beugte sich zu der Hundebox hinunter und flüsterte: „Ich weiß zwar nicht genau, was ein Mafioso ist – aber er sieht merkwürdig aus.“ Laut sagte sie: „Ich glaube, die hatten auch ’nen Hund dabei.“ „Ach herrje“, seufzte Olivia. „Ein Mafia-Hund! Und direkt hinter uns in der Warteschlange! Das hat uns gerade noch gefehlt.“
„Das wissen wir doch noch gar nicht genau“, brummelte Barny, der noch ein kleines Nickerchen gemacht hatte. „Außerdem, was soll schon passieren, solange ich bei euch bin.“ Er reckte und streckte sich ausgiebig.
„Du solltest dir die Leute wenigstens mal ansehen, alte Schlafmütze.“ Olivia war etwas ungehalten. „Genau“, mischte sich Kaily ein. „Schließlich habe ich dich als Bodyguard engagiert und nicht als Langschläfer. Also, pass gefälligst auf mich auf. Sonst sorge ich dafür, dass du die nächsten Ferien in der Tierpension verbringst.“ Das hatte gesessen. Jetzt war Barny hellwach und riskierte einen Blick aus der Heckscheibe auf die hinter ihnen parkende Limousine. Der Chauffeur war gerade ausgestiegen, um eine Fahrkarte für die Fähre zu kaufen. Als er bezahlte, blitzte ein großer Ring an seinem Finger. Auch die Spiegelgläser seiner Sonnenbrille warfen wütende Blitze in Richtung des Autos, das ihn nicht vorgelassen hatte. Barny legte sich schnell wieder auf den Rücksitz. „Der Typ sieht wirklich nicht sehr freundlich aus“, sagte er.
Читать дальше