‚Die hab ich noch an’, stellte sie erleichtert fest, ‚und gefesselt bin ich auch nicht. Der Schirm ist bestimmt weg, aber da fällt mir schon noch was ein.’
Sie tastete nach ihrem Hals, konnte jedoch keine Würgemale oder Bisswunden feststellen. Er hatte ihr wohl nichts getan.
„Besser, du bleibst noch liegen und kommst nicht zu schnell hoch“, kam es von oben.
‚Das könnte dir so passen’, dachte sie, ‚du wirst dich gleich wundern, Freundchen.’
„Wir sind untröstlich, dabei wollten wir dich nur begrüßen. Bitte glaub uns, das ist uns noch nie passiert.“
Sie hielt die Luft an und drehte den Kopf zum Flur. Aber er schien immer noch allein. Sie atmete aus.
‚Der mit seinem Pluralis Dingsbums. Wieder war sie darauf reingefallen, was für ein Getue. Was will der hier? Ein Einbrecher mit freundlicher Begrüßung? Ein Vampir der sich entschuldigt?’
Sie dachte an ihren Selbstverteidigungskurs. Aber noch war der Kerl zu weit weg.
‚Jetzt hab ich’s, der ist ein Psychopath! Ich muss ihn so schnell wie möglich loswerden, mich auf ihn stürzen oder abhauen. Ganz ruhig, was sagt mein Kreislauf, setz ich mich langsam hin oder spring ich auf?’
Da spürte sie das Sofakissen unter ihrem Kopf.
‚Arbeiten Psychopathen mit Kopfkissen? Vielleicht ist der einfach nur schizophren und spricht von sich in der Mehrzahl?“
Der Typ hörte nicht auf, sich zu entschuldigen.
„Es tut uns so furchtbar leid, ein bedauerliches Missverständnis, gewissermaßen ein diplomatischer Fauxpas. Dabei wollten wir dir nur die Ohrläppchen reiben.“
Mit einem Ruck saß sie senkrecht.
„Wie bitte?“
Die Szene war grotesk. Der Eindringling hockte zerknirscht am anderen Ende des Sofas. Sie saß mit großen Augen auf dem Boden und traute ihm nicht über den Weg. Dabei sah der nicht aus wie ein Serienkiller. Das ergab alles keinen Sinn. Außerdem hatte er das Handy vor sie auf den Sofatisch gelegt, ‚das macht doch kein Einbrecher’ dachte sie. Sie griff danach.
„Los hau ab, sonst ruf ich die Polizei“, sagte sie das nächstbeste, was ihr einfiel. Sie erinnerte sich.
„Bin ich nicht auf den Boden geknallt?“
Sie fasste sich an den Hinterkopf, aber da tat nichts weh, sie spürte nicht mal eine Beule. Er lächelte.
„Wir haben uns erlaubt dich zu heilen, siehst du?“
Er zeigte an seine Stirn.
„Unsere Schwellung ist auch weg und das Gewand haben wir ebenfalls geheilt.“
Tatsächlich, die Knöpfe seiner Jacke saßen wieder fest. Seine Hilfsbereitschaft machte sie zugänglicher.
„Diese Nummer, dass du Frauen die Ohren langziehst, machst du das öfter?“
Langsam stand sie auf und setzte sich auf den Stuhl. Auf Augenhöhe und mit dem Handy fühlte sie sich sicherer. Er rieb mit Daumen und Zeigefinger seine beiden Ohrläppchen.
„Das ist der königliche Gruß. Damit zeigen wir in aristokratischem Gestus unsere Wertschätzung. Je länger wir reiben, desto höher ist sie.“
„Komm, jetzt ist Schluss“, sagte sie verärgert. „Du sagst mir jetzt sofort, wer du bist und was du willst.“
Er schien sie gar nicht zu hören und redete vor sich hin.
„Dabei hattest du uns noch gewarnt, wir sollten dir nicht zu nahe kommen, hast du gesagt.“
Er hob den Kopf und sah sie an
„Wie bitte, was war dein Ansinnen noch gleich?“
„Wer du bist, hab ich gefragt.“
Er wollte aufstehen, doch sie warnte ihn.
„Nee, nee, nix Ohrenreiben, wir bleiben schön sitzen.“
Er zuckte mit den Schultern.
„Wir haben es wohl versaut, wie man so sagt. Vielleicht fangen wir einfach noch mal von vorn an?“
‚Der ist ja am Boden zerstört’, dachte sie. ‚Alles doch bloß ein Missverständnis?’
Sie holte sich die App mit dem direkten Kontakt zu Maa aufs Display.
„Genau, von vorn anfangen, das versuchen wir jetzt. Ich hier und du mit deiner Kleingruppe auf dem Sofa. Aber ihr habt nur einen Versuch. Und das hier“, sie hob das Handy, „ist die direkte Verbindung zu meinem Notruf.“
Schlagartig schaute er zufrieden.
„Siehst du“, strahlte er, „jetzt war das mit dem Pluralis Majestatis schon ziemlich richtig.“
Ihr Handy summte.
„Ist das schon der Notruf?“, fragte er erschrocken. Sie warf einen Blick aufs Display.
„Nein, eine Nachricht von einer Freundin“
summ summ
geile party heute abend
was machst du kommst du im herbst
HDL
Madja, Spitzname Maja aus Sarajewo war eine Nachtmaus. Anna Mona hatte sie im letzten Jahr bei einem Städtevergleichskampf kennengelernt, seit dem schrieben sie sich gelegentlich. Maja war zwar nur für zwei Tage hier gewesen, doch sie hatten sich auf Anhieb verstanden. So gut, dass Susi in den Tagen danach Anzeichen von Eifersucht gezeigt hatte.
„Dein Handy summt ja in einem durch“, hatte sie gemeckert.
Aber dann hatte sie festgestellt, dass sie hier war und Maja weit weg. Die fragte gerade an, ob Anna Mona bei der nächsten Veranstaltung in Bosnien-Herzegowina dabei sein würde.
‚Mit der chatte ich gleich noch’, nahm sie sich vor. Denn bei irgendwem musste sie Dampf ablassen, sonst würde sie niemals in den Schlaf finden.
„Fertig?“, fragte er.
Sie nickte.
„Ich bin froh“, fing er an, „dass wir mit Lessy deinen Hinterkopf heilen konnten.“
„Mit wem?“
Er hielt das Handgelenk mit der Rolex hoch.
„Das Teil heißt Lassie? Oma hat mal von ihrer Lieblingsserie im Fernsehen erzählt, mit einem Hund der so hieß. Da war sie aber noch ein Kind und der Hund schwarz-weiß. Deine Uhr kann doch bestimmt nicht bellen, oder?“
Sie grinste, aber er blieb ernst.
Immerhin hat Lessy dich gefunden. Das ist doch toll.“
„Was heißt hier toll? Ich werde überfallen und soll mich auch noch freuen?“
Ihr kam eine Idee und sie schaute um sich.
„Wo ist denn die versteckte Kamera? Oder sind wir bei ‚Deutschlands verrückteste Stuntmen’? Ah, ich weiß, du bist vom Überraschungspartyservice. Aber kommt ihr nicht in knapper Wäsche aus der Torte?“
Er blieb ernst.
„Du bist doch Anna Mona oder?“
Sie schaute ungläubig.
„Woher willst du das wissen?“
„Das wollen wir dir ja gerade erzählen.“
„Da warte ich schon die ganze Zeit darauf. Bisher weiß ich nur, dass du mich gesucht hast. Aber nicht, was du von mir willst.“
„Unser Name ist“, er rückte auf dem Sofa nach vorn.
„Lieber nicht“, sagte sie und hob die Hand mit dem Handy. Er blieb tatsächlich sitzen. Sie lächelte.
‚Wenigstens ist er lernfähig.’
„Unser Name ist“, er zögerte „äh.“
Er bekam einen roten Kopf. Die Nummer war ja nun der totale Absturz.
„Wie bitte?“, gab sie prustend zurück. „Du hast deinen eigenen Namen vergessen? Das gibt’s doch nur im Film oder?“
Er schaute verlegen.
„Wir dürfen unseren Namen leider nicht verraten, aber wir entstammen einem alten Herrschergeschlecht.“
Anna Mona zog ihre Augenbrauen zusammen, ihre Unterlider spannten sich. Schnell wechselte er das Thema.
„Zum Glück sind wir richtig gelandet.“
„Wenn das eine geglückte Landung war, möchte ich eine Notlandung von dir nicht erleben. Zerlegst du dann meinen Schreibtisch?“
Er lächelte gequält.
„Das wollten wir nicht, wir können alles erklären.“
„Schon klar. Du übst wohl schon für die Midlife-Crisis? Schatz es ist alles ganz anders, als es aussieht.“
Er schaute mit sorgenvollem Blick auf seine Rolex.
„Bestimmt war etwas mit den Landekoordinaten nicht in Ordnung. Vielleicht habe ich auch die Bahn eines Meteors gekreuzt, bin in den Lichtschweif einer Sternschnuppe geraten. Hoffentlich ist Lessys Energiesystem intakt, denn das ist das Wichtigste.“
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