1 ...8 9 10 12 13 14 ...18 Alois konnte sich nur wundern. Die meisten, die hier eine Kerze oder dergleichen abstellten, hatten den Mann überhaupt nicht gekannt. Es sollte wohl nur ein Symbol der Pietät und der Anteilnahme sein.
Ein Unbekannter erschoss den Weihnachtsmann. Erst morgen am Montag würde die Freisinger Presse voll damit sein und ihre eigenen Ideen und Fantasien für diese blutige Tat veröffentlichen. Da der Tote in seinem Kostüm abtransportiert worden war, konnte keiner der gestrigen Fotografen und Gaffer das eigentliche Gesicht des Toten vor die Linse bekommen haben. Außer dem Oberbürgermeister und der Polizei wusste niemand von der wahren Identität des Toten. Und der OB würde seinen Mund halten, das war gewiss. Einen Skandal wollte er auf jeden Fall vermeiden.
»Oberbürgermeister schickt den Weihnachtsmann in den Tod«, dachte Alois.
Das wäre eine grässliche Schlagzeile.
»Lass uns bitte gehen, Melanie, ich mag nicht mehr. Einen Glühwein will ich nicht und Hunger habe ich auch noch keinen. Lass uns gehen, hier gibt es nichts mehr zu sehen. Ich denke, wir wissen morgen mehr, wenn wir die Daten vom Einwohnermeldeamt haben. Und wir müssen jemanden zu den Nachbarn schicken. Irgendjemand wird den Toten wohl besser kennen.«
»Na gut, wenn du unbedingt willst. Dann gehen wir eben. Ich fahre dich nach Hause. Was ist eigentlich mit Gizmo?«
»Der ist in Regensburg bei Freunden. Die haben einen Bauernhof, da kann er herum tollen.«
»Vermisst du ihn denn nicht?«
»Ich wollte ihn am Mittwoch wieder abholen aber das überlege ich mir noch. Wenn er sich ordentlich benimmt, dann soll er bleiben, bis der Fall abgeschlossen ist. Das ist schon okay so.«
Melanie ließ nicht locker: »Warum hast du ihn überhaupt weg gebracht?«
»Wegen Salzburg.«
»Salzburg? Was ist denn mit Salzburg?«
»Ach, Melanie, das ist eine ziemlich private Geschichte.«
Melanie spitzte die Ohren. »Etwas Privates, und ausgerechnet von dir. Das ist interessant. Erzähl! Handelt es sich dabei um eine Frau, Alois?«
»Ich sage jetzt nichts. Fahr mich nach Hause. Bitte! Ein anderes Mal. Vielleicht. Ich will jetzt heim.«
Zwanzig Minuten später war Alois wieder in seiner Wohnung, schnappte sich das Telefon, legte sich auf die Coach und telefonierte mit Margit in Salzburg, um ihr ein wenig von dem zu erzählen, was passiert war und warum er nicht hatte kommen können. Und es war schön mit ihr zu reden.
Als Alois am Montag früh ins Büro kam, hing Melanie schon am Telefon und ärgerte sich mit jemandem vom Einwohnermeldeamt herum. Es ging natürlich um Sascha Krüger.
»Dann schicken Sie mir bitte alles zu, was Sie haben, und zwar schnell. Es geht hier um Mord. Basta.«
Dann legte sie auf und knallte das Telefon unsanft auf ihren Schreibtisch.
»Das ist doch das Letzte. Diese Clowns«, schimpfte sie weiter.
»Was ist denn los, Melanie? Komm bitte wieder runter. Erzähl mal!«, versuchte Alois sie zu beschwichtigen.
»Sachen gibt es, die gibt es nicht. Unser Sascha Krüger ist in Freising erst seit 1990 bekannt. Da ist er hierher gezogen. Hatte zunächst nur ein Einzimmerappartement, dann eine Zweizimmerwohnung und jetzt die Dreizimmerwohnung in der Kochbäckergasse. Er kommt angeblich aus Weimar. Ist nach Öffnung der Mauern nach Freising gekommen, ohne jegliche Papiere. Sein DDR-Ausweis soll ihm angeblich noch vor der Wende vom Staatssicherheitsdienst abgenommen worden sein. Damit er nicht fliehen kann. Er hatte nur eine Geburtsurkunde und ein Schreiben von der Stadt Weimar dabei. Daraufhin haben die lieben Freisinger ihn recht herzlich in der Domstadt aufgenommen. Er bekam einen neuen Ausweis und einen neuen Reisepass. Seither nennt er sich Sascha Krüger, gebürtig in Weimar und wohnhaft in Freising.«
»Nennt er sich? Und was ist daran so schlimm, Melanie?« Alois verstand ihre ganze Aufregung nicht.
»Weil das Quatsch ist. Nach der Wende, ich sage mal nach dem bürokratischen Chaos nach der Wende, hätte sich jeder aus der DDR in der BRD neue Papiere besorgen können. Keiner in der BRD wusste wie eine Geburtsurkunde zu DDR-Zeiten aussah und ein Schreiben der Stadt Weimar? Das machte man mit einer alten Schreibmaschine. Die Stempel gab es auf dem Flohmarkt. Was glaubst du wie viel ehemalige Stasi Agenten so in die BRD geflohen sind, um vor ihren ostdeutschen Häschern sicher zu sein?«
»Jetzt holst du aber weit aus. Du willst also sagen, der Sascha Krüger ist ein ehemaliger Stasi-Mann, der unter einer neuen Identität jetzt hier in Freising wohnte?«
»Nein, das will ich nicht sagen. Das ist nicht das Thema. Nur es besteht auf jeden Fall die Möglichkeit, dass sein Name falsch ist ......«
»..... und er als geheimer Spitzel unerkannt unter uns weilte .....«, fügte Alois belustigt hinzu.
»Du weißt doch überhaupt nichts über uns. Stasi, nicht Stasi, was glaubst du, was da so alles passiert ist? Auch ich habe meine Stasi-Akte eingefordert.«
»Und was stand darin?«
»Nichts. Gar nichts. Braves Mädchen. Keine Ambitionen die DDR zu verlassen.«
»Na also. Und den Krüger hat nun ein ehemaliger Stasi-Agent erschossen, damit er sein Geheimnis mit ins Grab nimmt?«
»Alois, du bist manchmal so doof. Ich wollte nur damit sagen, dass es 1990 leicht war, sich in die BRD abzusetzen. Ihr habt ja nicht mal gecheckt, dass manche zwei- oder mehrmals die hundert DM Begrüßungsgeld bekommen habe. Für einen Stempel im Pass oder Ausweis haben wir auf der Bank 100 DM bekommen. Manche auch etwas mehr.«
»Unser lieber Sascha Krüger hat dergleichen nichts in seinen Papieren in seiner Wohnung, auch keinen Hinweis auf ein Schließfach bei einer Bank, wo er diverse Papiere versteckt haben könnte. Er war ein unbescholtener Mann, der sich im Winter als Weihnachtsmann verdingte. Vielleicht auch aus Versehen erschossen wurde, vielleicht einfach nur eine Verwechslung.«
»Niemals. Denk an die Worte von Frau Dr. Nagel. Sein Herz. Sein Herz auf der falschen Seite. Und der Schuss ging direkt durchs Herz.«
»Ich bleibe dabei, er war ein unbescholtener Mann.«
»Wir müssen wissen, wer er war, nur so kommen wir weiter. Über den Mann zum Motiv und vom Motiv dann zum Mörder.«
»Das würde ich so nicht sagen, dass er ein unbescholtener Mann war«, unterbrach Rainer Zeidler die beiden, indem er mit dem Laptop auf dem Arm ins Büro hinein schneite.
»Mit der Stasi hatte der ganz sicher nichts zu tun«, fuhr er fort. »Wir haben nichts dergleichen auf seinem Rechner gefunden, aber er hatte andere Vorlieben und das nicht zu wenig. Wenn ihr mal schauen wollt?«
Rainer stellte den Laptop auf Melanies Schreibtisch und klappte ihn auf.
»Wie habt ihr ihn denn knacken können, der war doch verschlüsselt?«, fragte Alois.
»War nicht einfach, aber Schurig hat es geschafft. Das Kennwort war Antonov-An-225. Der Name für das größte Flugzeug der Welt . Und das Passwort war Mrija. Mrija war der Spitzname des Kolosses. Das ist Russisch und heißt auf Deutsch Traum. Es wurde übrigens nur einmal gebaut. Und es fliegt heute noch.«
»Ein Flugzeugname? Was soll denn das?«
»Na der Krüger war doch ein Fan von diesen Bausätzen, die du in seinem Arbeitszimmer gefunden hast. Mich hat das interessiert, deshalb bin ich noch ein zweites Mal mit Schurig hin. Und der Bausatz von diesem Frachtflugzeug hatte einen Aufkleber. Schurig hat es entdeckt. Krüger hatte einen Aufkleber vom Hersteller des Laptops darauf geklebt. Wahrscheinlich eine Art Gedankenstütze. Ich habe ein paar Mal herumprobiert und dann hatte ich es.«
Alois schüttelte den Kopf. »Ein Aufkleber. Die Menschen sind doch doof.«
»Ich finde das mit dem Aufkleber ziemlich kreativ. Es gibt viele, die kleben ihre Kennwörter unten auf den Rechner. Für alle zugänglich. Und einfach zu finden.«
»Unglaublich. Aber zurück zu Krüger. Was willst du uns denn zeigen?«
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