Keine fünf Minuten saß er dort, als er den vertrauten Stechschritt von Beth hinter sich wahrnahm.
»Nathan? Ist alles okay bei dir?« Sie ließ sich neben ihm auf den Steg nieder.
»Ja, es geht schon. Mach dir keine Sorgen.«
»Kate meinte, du wärst fast zusammengebrochen?« Der besorgte Unterton seiner Tante stimmte ihn traurig. Er wollte nicht, dass sie sich Sorgen um ihn machte. Sie hatte genug eigene Probleme, aber er wusste, dass das unumgänglich war, als er hierher kam. Für einen kurzen Moment bereute er, dass er zugestimmt hatte, hier seine Auszeit zu nehmen, aber dann spürte er Beth warme Hand, die ihn sanft über den Rücken strich und er wusste, dass es die richtige Entscheidung gewesen war.
»Das ... das war nur eine Schmerzattacke in meinem Bein«, gab er schließlich zu und starrte auf seine Hände, die unruhig in seinem Schoß lagen. Im Vorbeigehen hatte er sich eine hübsche Blume gepflückt, dessen Blätter er nun nervös abzupfte und ins Wasser segeln ließ.
»Hast du immer noch Probleme mit der dieser alten Verletzung?«
»Ja, immer mal wieder. In letzter Zeit besonders stark«, murmelte er leise. Seit seinem Oberschenkelbruch vor sechs Jahren, der dank der Pfuscherei eines Arztes lange gebraucht hatte zu verheilen, kamen und gingen die Schmerzen. Er konnte seiner Tante nicht sagen, dass ihn die Ärzte mittlerweile einfach nur für verrückt hielten. Psychosomatisch hieß meist die Diagnose, wenn sie ihm nicht gerade weiszumachen versuchten, er wäre schmerzmittelabhängig. Dabei hatte er schon seit Jahren keine einzige Schmerztablette mehr genommen.
»Aber das wird schon wieder. Ich bin die stickige Luft hier nicht mehr gewöhnt. Gib mir ein paar Tage, dann kann ich voll zupacken.« Er hob entschlossen seinen Blick und sah Beth in ihre grünen Augen.
Skeptisch hob sie eine Braue und musterte ihn eingehend. »Bist du dir sicher? Ist es nicht besser, du lässt das untersuchen?«
Er seufzte schwer und wandte sich wieder ab, zu stechend bohrten sich Beths Augen in seine.
»Das bringt nichts, Beth. Ich lebe seit Jahren damit und werde auch weiterhin damit klarkommen müssen.«
Sie nickte leicht und stand wieder auf. »Na gut. Das musst du wissen, du bist immerhin ein erwachsener Mann.« Ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen, bei dem Nathan nicht anders konnte, als es zu erwidern. »Das ist richtig. Lässt du mich noch ein wenig hier allein?«
»Natürlich.« Mit einem Nicken drehte sie sich um und ging zurück auf die Ranch.
Nathan seufzte, er wusste, dass er Kate früher oder später über seine Verletzung und die damit verbundenen Probleme aufklären musste. Zumal es die letzten Monate immer schlimmer wurde. Aber dazu musste er sich überwinden und das fiel ihm alles andere als leicht.
2. Ein Zaun, der für Ärger sorgt
Kate ging mit gemütlichen Schritten auf das Haus zu. Der Wind hatte etwas aufgefrischt und sie zog ihr weißes Hemd etwas enger um ihren Körper. Die Sonne war bereits untergegangen und die ersten Sterne funkelten am Himmel.
Als sie die Hintertür öffnete, schlug ihr schon der wohltuende Duft von krossem Brathähnchen á la Beth entgegen. Ihr absolutes Lieblingsessen. Sie hatten es sich zur Gewohnheit gemacht, dass sie abwechselnd kochten.
Das Wasser lief ihr schon im Mund zusammen, als sie sich am Küchentisch niederließ. Beth war nicht in der Küche und auch von Nathan fehlte jede Spur, also schnappte sie sich die Tageszeitung und lehnte sich entspannt zurück.
Ihr Herz machte einen Satz, als sie über einen Artikel stolperte, der von einem Football-Star mit Aggressionsproblemen handelte. Unwillkürlich spannte sie sich an und erst, als sie las, dass es dabei um einen gewissen Meyer und nicht ihren Ex ging, entspannte sie sich wieder. Football-Stars waren doch alle gleich - völlig egal ob Spieler oder Manager, schoss es ihr durch den Kopf, als die Tür aufging und Beth gut gelaunt die Küche betrat.
»Du bist ja schon da. Deckst du den Tisch?«
Kate faltete die Zeitung ordentlich zusammen und legte sie auf die kleine Kommode, auf der noch weitere alte Zeitungen und Briefe lagen.
»Kommt Nathan auch zum Essen?« Sie öffnete die altmodische, weiße Vitrine und griff nach den Porzellantellern.
»Nein, wohl eher nicht«, seufzte Beth, während sie das Hähnchen aus dem Ofen holte und vorsichtig tranchierte.
Kate zuckte nur mit den Schultern und deckte den Tisch nur für sie und Beth.
Wie immer schmeckte das Hähnchen einfach köstlich und Kate schlug sich den Bauch anständig voll, auch wenn sie ein schlechtes Gewissen plagte, denn sie wusste, dass das meiste davon auf ihren Hüften landen würde.
Als sie den Tisch wieder abräumte, die Essensreste in den Müll warf und die Teller in die Spülmaschine räumte, fasste sie sich ein Herz und sprach Beth wegen Nathan an. Den ganzen Tag schon brannte ihr die Frage auf der Seele.
»Du Beth? Sag mal, was hat Nathan eigentlich?«
»Was meinst du?«
»Naja ... ist er krank oder so?«
Beth seufzte tief, während sie Wasser aufsetzte und sich dann wieder an den Tisch setzte.
»Nein. Also ... naja, so kann man es nicht sagen.«
Kate drehte sich zu ihr und lehnte sich an die Küchenzeile, während sie Beth misstrauisch musterte. »Und wie kann man es dann sagen?«
»Er ist nicht ernsthaft krank, falls du das denkst. Er hat ein paar Probleme und möchte hier wieder einen klaren Kopf bekommen. Du hast Unterstützung gebraucht und er war mit Kost und Logie einverstanden, deswegen hat sich das angeboten.«
Kate verschränkte ihre Hände vor der Brust. Mit dieser Antwort war sie alles andere als zufrieden. Sie musste sichergehen, dass Nathan wirklich eine Hilfe war und ihr nicht nur auf der Tasche lag. »Aber er sah nicht gerade fit aus. Ich brauche jemanden, der zupacken kann und keinen den ich hier durchfüttere.«
»Das musst du nicht. Gib ihm ein paar Tage, sich an das heiße Klima zu gewöhnen. Das wird schon.«
Damit stand Beth auf, ging zu dem Wasserkessel und goss sich eine Tasse Tee ein. Sie wusste, dass sie nicht mehr aus ihr herausbekommen würde, und entschied sich ihr einfach zu vertrauen. Bisher war jede Entscheidung, die Beth ihr geraten hatte, auch die Richtige gewesen.
»Na gut. Es wird schon werden«, murmelte sie, als sie sich auf den Weg in ihr Schlafzimmer machen wollte.
»Das wird es.« Beth warf ihr einen fröhlichen Blick zu und Kate musste unwillkürlich lächeln. Sie hätte nie gedacht, dass sie in ihr eine so gute Freundin finden würde. Immerhin betrug der Altersunterschied 20 Jahre. Aber wenn sie in Beths warme Augen sah, wusste sie, dass sie ihr niemals schaden würde. Immer wieder betonte ihre Freundin, wie ähnlich Kate ihrer Tante Marla war. Umso mehr traf es sie, dass sie ihre Tante niemals kennenlernen durfte.
Als Kate in ihr kleines Zimmer trat, riss sie das Fenster auf und ließ die frische Luft ein. Der Duft von den aufkommenden Nebelfeldern wehte zu ihr hinauf und sie atmete tief ein. Ihr Blick glitt nach oben in den Himmel, wo die Sterne ein riesiges Meer aus funkelnden Punkten bildete. Ein friedvolles Gefühl breitete sich in ihr aus, das sie in vollen Zügen genoss.
Der riesige Vollmond, der am Horizont tanzte, überzog die Wiesen und Bäume mit einem silbrigen Glanz und alles wirkte so irreal, wie aus einem Märchen entsprungen. Glühwürmchen tanzten in der Nähe einer Hecke und Kate musste schmunzeln.
Das war der Ort, an dem sie alt werden wollte und den konnte ihr niemand nehmen.
*
Es war bereits Dunkel, als sich Nathan wieder auf den Weg zur Ranch machte. Er war froh, kannte er den kurzen Weg noch gut aus seiner Kindheit, sonst hätte er sich wohl in der Dunkelheit verirrt. Auch, wenn der Mond seinen Weg hell erleuchtete, sahen alle Wegkreuzungen gleich aus.
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