„Was hast du, Tim? Du siehst blass aus, so verspannt. Als wäre eine Horde Steuerfahnder unangekündigt hier aufgetaucht.“ „Nein, es ist nichts. Ich habe eine schwierige Woche vor mir. Dachte an all die Dinge, die noch zu erledigen sind“, log er. Wie einen Turban hatte sie ein Handtuch um ihr nasses Haar gewickelt, massierte irgendeine Creme in Bauch und Brüste, während sie Janzen fixierte. Misstrauisch, wie er fand. Misstrauisch, als argwöhne sie, dass er etwas vor ihr verberge.
„Es gibt Ärger, Tim. Margot will sich aus unserem Werbevertrag zurückziehen. Sie meint, dass sie sich mit der Giftcreme nicht den Namen ruinieren will. Zieh mal den Reißverschluss zu!“ Er spürte ihren festen Po durch mehrere Lagen feinster Stoffe in seinem Schritt, als sie sich mit dem Rücken zu ihm gewandt leicht nach vorne beugte. Mit sirrendem Ton schloss er ihr Kleid, Zahn für Zahn wurde sie wieder ganz zur Key Account Managerin. „Wir kriegen immer mehr Reklamationen“, nuschelte sie durch zugekniffene Lippen, zwischen denen eine große Haarklammer klemmte, während sie Oberkörper und Kopf nach vorne warf und das widerspenstige Blond zu einem festen Knoten verdrehte. „Tim, stimmt mit den Algen etwas nicht? Gibt es etwas, das ich wissen sollte?“
Die Sache mit der Creme war etwas verzwickt. Immer wieder hatten Kundinnen über Allergien geklagt, nachdem sie eine von algalflower produzierte Algenmaske aufgetragen hatten. Janzen kultivierte einen speziellen Stamm seiner Grünalge, produzierte die Algen in seinen Bioreaktoren auf dem Gelände der Rußfabrik und verkaufte das gereinigte und getrocknete Algenmehl als Mittel gegen Hautalterung an algalflower. Das Kosmetikunternehmen stellte daraus eine hochpreisig vermarktete Gesichtsmaske her. Zugpferd für den Verkauf des Produktes war Margot Siebert, ein in die Jahre gekommener Serienstar der Kultserie „Königsallee“, die mittlerweile in mehr als 300 Folgen ausgestrahlt worden war.
Den Kunden wurde weisgemacht, dass die Maske durch den Einsatz spezieller Algen freie Radikale, aggressive Bestandteile belasteter Luft, abfangen und entschärfen könne. Der Verjüngungseffekt würde schon nach kurzer Zeit spürbar und für jeden erkennbar sein. Es hatten sich immer wieder Kundinnen des Produktes bei algalflower beschwert und wollten ihr Geld zurück, weil sie trotz intensiver Anwendung keine Verbesserung der Oberflächenstruktur ihrer Gesichtshaut hatten erkennen können. Dieses Problem hatte man aber bislang gut in den Griff bekommen. Im Fall einer Reklamation schickte die Firma den enttäuschten Kundinnen ein Gratispäckchen mit wertvollen Salben und Cremes aus der Gesamtkollektion des Unternehmens sowie eine von Margot Siebert handsignierte und mit einem Foto versehene Karte zu.
In letzter Zeit hatte sich die Situation aber verschärft. Die Kundinnen beschwerten sich vermehrt über juckende Haut und über Rötungen. Bei einigen von ihnen hatte sich die Haut nach Auftragen der Maske in Schuppen abgeschält. Die Sache drohte, aus dem Ruder zu laufen und algalflower bemühte sich fieberhaft jegliche negative Presse zu vermeiden. Janzen dachte an die verunreinigte Kultur und hoffte, dass die Wege nicht zu seinem Labor zurückverfolgt werden konnten.
„Ich gehe davon aus, dass euer tschechischer Zulieferer für die Maskenbasis Probleme mit der Qualitätssicherung hat.“ Janzen strich entschlossen sein weißes Hemd glatt und schob es unter den Bund seiner Tuchhose. Als er sich bückte, um seine Schuhe zu schnüren, spürte er einen dumpfen Druck in seinem Schädel. Ihm missfiel die Richtung, die sein Treffen mit Kim genommen hatte. Er hatte gehofft, seine Verträge mit algalflower ausweiten zu können. „Ihr solltet mehr Wert auf eure Rohstoffe legen und nicht auf so zweifelhafte Quellen setzen, auch wenn ihr dafür mehr berappen müsst.“ Gedankenverloren sortierte Kim irgendwelche Unterlagen in ihrer Aktentasche, blickte dann aber lächelnd zu ihm hoch.
„Tim, Hürliman hat mir empfohlen, mich nach einem anderen Algenlieferanten umzusehen, wenn sich die Sache weiter zuspitzt.“ Hürliman war ein Investor, der im Pharmabereich viel Geld verdiente und vor einigen Jahren algalflower mit einer fetten Finanzspritze unter die Arme gegriffen hatte. Jetzt war Hürliman Kims Chef. Ein immer freundlich dreinblickender Schweizer. Einer, über den man hinter vorgehaltener Hand sagte, dass er seine Frau für einen guten Deal an einen arabischen Scheich verkaufen würde. „Lass uns Freitag weiter darüber sprechen. Wenn ich von meinem Jahrestreffen zurück bin.“ In der offenen Küche, vom Sofa aus nicht einzusehen, drückte er auf den Knopf der Jura Impressa. Das grüne Blinken erzeugte ein Espressogefühl, weckte seine Lust auf schwarze Röstaromen. „Ich rufe dich an“, rief er Kim zu, fasste an den verwitterten Griff der Stahltür, die sein Loftatelier vom Laborbereich trennte, in dem er mit Carl Reimer, seinem Assistenten, an der Optimierung seiner Lebensgrundlage arbeitete.
3
Zurzeit lief es nicht rund für ihn. Dabei war er damals, in den Anfängen, der gefragte Shootingstar der Szene gewesen. Seine Firma CarbOxygen war als junges Hightech-Unternehmen von Presse und Öffentlichkeit gefeiert worden. Der Vertrag mit der Rußfabrik war ein Aufbruch, schürte den Glauben an das Machbare, an eine grüne Industrie. Janzen, überwältigt von frühen Erfolgen, ließ sich maßgeschneiderte Anzüge anfertigen und Auszeichnungen umhängen.
Wie irrsinnig mussten dem alten Staudt seine Ideen in den Ohren geklungen haben. Er hatte den alten Industriekapitän im Industrieausschuss der IHK getroffen, wo er sich wütend über den Würgegriff ausgelassen hatte, der durch immer neue Umweltauflagen auf der Rußfabrik lastete. An einem trüben Novembertag zu der Fabrik am Rande der Stadt hinausgefahren. Wie ein Aussätziger hatte sie dort in ihren Grautönen gelegen, nur durch ein paar Erdbeerfelder von den Wohnquartieren der angrenzenden Stadtteile getrennt. Rheinruß , ein Name, der nach Inkontinenz klingt, als ginge es um die unkontrollierten Auswürfe eines in die Jahre gekommenen Industriegreises. Dabei waren seine Ausscheidungen schwarzes Gold und auf den Märkten als Schwarzpigment gefragt. „Nichts ist schwärzer als Ruß“, hatte Staudt gesagt und ihn in ein Plastikgefäß schauen lassen, dass einer Urne glich. Janzen blickte in ein Schwarz, das er vorher so noch nie gesehen hatte. Ein Stoff, der alles Licht restlos vertilgte. So hatte er sich in seiner Jugend die Hölle ausgemalt. Ein Schauer war ihm damals beim Blick in das schwarze Nichts über den Rücken gelaufen.
„Sie kennen das, Janzen, Sie sind doch vom Fach.“ Staudt hatte ihn in seinem Büro empfangen, das holzvertäfelt und mit Ölgemälden seiner Vorgänger ausstaffiert an ein Jagdzimmer erinnerte. Über der schwarzen Anzughose, dem weißen Hemd und der roten Krawatte trug er einen grauen, sauberen und gestärkten Kittel mit dem Aufdruck „Rheinruß“ auf der Brusttasche. Staudt war um seinen Schreibtisch herum direkt auf ihn zugekommen. Hatte ihm in Gutsherrenart seine linke Hand auf die Schulter gelegt. Seite an Seite hatten beide auf das riesige Backsteingebäude vis-a-vis geschaut, in dessen Inneren schwere Öle zu Ruß verbrannt wurden, tagein und tagaus. Aus den Schornsteinen hinter dem Gebäude waren nebelschwadige Rauchsäulen aufgestiegen. Wirbel um Wirbel pulsierte die Fabrik zwiebelförmige Gebilde in peristaltischen Bewegungen aus ihrem Gedärm ins Freie.
„Das, was Sie dort sehen, Janzen, ist reiner Wasserdampf“, hatte er leicht mürrisch vorgebracht. „Aus meiner Fabrik entweichen weniger Schadstoffe ins Freie als aus dem Arsch der Kühe auf den Weiden rundherum." Janzen mochte den derben Zorn des Rußunternehmers, dem die Auswirkungen der Globalisierung stürmisch ins Gesicht bliesen. Mit vornehmem Zorn hatte Staudt sich ihm zugewandt. „Wir werden den Tag erleben, Janzen, an dem die Chinesen den Ruß liefern und wir raus aus dem Geschäft sind. Man legt uns hier Handschellen um, die in China keiner tragen muss. Die Leute schauen auf das Werk und lassen ihre Kinder beim ersten Husten auf Pseudokrupp untersuchen. Dabei haben wir in den 90ern Filter eingebaut und aus dem Rauch alles rausgeholt, Schwefeloxide, Stickoxide, Schwermetalle und all das Zeugs, das früher ungefiltert in die Nachbargärten fiel. Nur noch Wasserdampf, alles nur noch Wasserdampf und die Leute blicken drauf, als wäre es der Schwanz des Teufels. Alle wollen unsere Produkte, Druckerschwärze und das tiefe Schwarz der Autoreifen, aber keiner will die Fabrik vor der Haustür." Staudt hatte Luft geholt und sich mit seiner Linken, die er jetzt von Janzens Schulter genommen hatte, an die in Falten gelegte Stirn gefasst. Er schien zu grübeln, nach Vergleichen zu suchen, Assoziationen, die seinen Vorwurf untermauern sollten, dass die Menschen zwar alles wollten, die Kehrseite aber nicht akzeptierten. Kopfschüttelnd und nach Worten suchend hatte er dagestanden.
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