Am Telefon diskutiere ich das Problem mit Sjaak, und er hat eine super Idee: Hyperpro, der niederländische Hersteller von Federbeinen, macht auch Tieferlegungen für Motorräder.
»Mit unserem verstellbaren Federbein kannst du die Sitzhöhe, wann immer du willst, um bis zu elf Zentimeter verringern«, erfahren wir von John Troost, dem Chef bei Hyperpro. Das ist wirklich reichlich. Mir genügen bereits sechs Zentimeter für eine kraftvolle Bodenhaftung. Damit kann ich dann hoffentlich auch die Berge an Gepäck stemmen, die wir auf unserer Fahrt dabei haben werden.
Mit dem Motorrad nach Alaska,
das ist eine Herausforderung
für Mensch und Maschine —
im Winter ist es ein Abenteuer.
Sjaak und ich müssen uns jeweils komplett neu einkleiden und ausrüsten. Nicht nur die sonst auf Reisen üblichen Sommer-T-Shirts sind bei minus 40 Grad Celsius zu dünn. Auch das Zelt, der Schlafsack und die Isomatte müssen andere Funktionen erfüllen. Eigentlich möchten wir gerne in Hütten und Herbergen übernachten. Aber ein Schneesturm kann unsere Pläne schnell über den Haufen werfen. Die Entfernungen in Kanada und Alaska sind groß. Wir können uns nicht darauf verlassen bei jedem Wetter eine Unterkunft zu finden.
Dazu kommt, dass uns niemand sagen kann, wie sich unsere Motorräder bei extremen Minustemperaturen tatsächlich verhalten. Keiner der beiden Hersteller testet seine Maschinen bei minus 40 Grad Celsius. Deshalb möchten wir so ausgerüstet sein, dass wir auch bei technischen Problemen eine Chance haben, in eisiger Kälte zu überleben. In diesem Zusammenhang kommt mir meine Berufserfahrung in der Outdoor-Branche sehr gelegen. Bei unserer Sicherheit möchte ich keine Risiken eingehen. Unser Not-Biwak muss funktionieren. Alaska soll nicht unser letztes Reiseziel sein.
Eine Voraussetzung dafür ist ein stabiles, windfestes und schneesicheres Zelt. Der Zelthersteller Hilleberg sitzt in Schweden und kennt sich mit den extremen Wetterbedingungen im hohen Norden gut aus. René Guba von Hilleberg rät uns zu einem Tunnelzelt, weil es mehr Platz bietet als ein Iglu. Ein Tunnelzelt aufzubauen ist jedoch etwas aufwändiger, weil es nur steht, wenn es mit Schnüren abgespannt ist. Im Gegensatz dazu kann ein Kuppelzelt auch ohne Heringe und Abspannleinen stehen. Deshalb wählen wir das Staika als transportables Iglu. Damit haben wir ein leichtes Zelt, das uns im Notfall in kürzester Zeit einen vernünftigen Wetterschutz bietet. Falls es uns zu eng werden sollte, lasse ich die Alukoffer mit dem Gepäck gerne als Spielzeug für die Eisbären draußen stehen.
Nun brauchen wir noch Betten. Ein Lager aus Heu oder Stroh, mit kuschligen Schaffellen, ist selbstverständlich sehr romantisch. Es würde uns aber große Transportprobleme bereiten. Bisher haben mich auf allen meinen Reisen Isomatten von Therm-A-Rest begleitet. Und auf dem Schnee punktet diese sich selbst aufblasende Unterlage zusätzlich mit einer guten Isolierung. Damit uns unterwegs nicht die Luft ausgeht, wähle ich das Modell mit der Tough Skin, sie schützt die Matte laut Herstellerangaben auch vor scharfen Eiskristallen.
Aber welcher Schlafsack eignet sich sowohl für sommerlich warmen Nächten als auch bitterkalte Notbiwaks? Aus Zwei mach Drei lautet die Lösung des österreichischen Schlafsackherstellers Carinthia: Ein leichter Kunstfaserschlafsack für den sonnigen Süden, ein kuscheliger Daunenschlafsack für frostige Nächte, und wenn man beide ineinander steckt, halten sie zusammen bis minus 40 Grad Celsius warm. Diese Lösung gefällt mir. Außerdem kenne ich die Schlafsäcke aus Österreich und weiß, dass ich mich auf ihre Qualität verlassen kann.
In meinem Haushalt befinden sich außerdem mehrere Edelstahl-Thermoskannen. Eine davon habe ich 1990 auf meiner ersten Reise in den USA gekauft und werde sie nun wieder dorthin mitnehmen. Die Küche mit Benzinkocher und Topf steuert Sjaak aus seinem Fundus zur Camping-Ausrüstung bei. Damit können wir Schnee schmelzen und Müsli kochen.
»Ich kann gar nicht mit ansehen, wenn Du immer frierst«, sagt mein Kletterpartner Mani oft und fragt mich, warum ich meine Reisen nicht in den Winter verlege, um in der kalten Zeit in warme Gegenden zu fahren. Im November 2008 war es endlich soweit. Freudestrahlend verkündete ich ihm:
»Ich mache diesen Winter eine Motorrad-Tour!«
»Super! Wo soll es denn hingehen?« »Nach Alaska …«
Das Zwiebelprinzip ist bei Winterfahrern sehr beliebt. Mehrere Schichten an Kleidung ermöglichen eine individuelle Regulierung der Temperatur. Dazu müssen die einzelnen Textillagen jedoch aufeinander abgestimmt sein, nicht nur das Material, sondern auch die Größe. Drei dicke Lagen unter einem normal passenden Motorradanzug bedeuten, dass die einzelnen Schichten der Isolierung zusammengepresst und damit unwirksam werden. Unter Umständen schnürt es einem sogar an Hüfte, Kniekehlen und Ellenbogen das Blut ab und man friert alleine aus diesem Grund. Auf alle Fälle aber ist man steif und unbeweglich und fühlt sich nicht mehr wohl.
Also fahre ich mit einem Koffer voller Klamotten zum Unterziehen nach München, um in der BMW Niederlassung den Streetguard Motorrad-Anzug in der richtigen Größe zu finden. In der Umkleide des beheizten Verkaufsraums schlüpfe ich zunächst in die Ortofox Thermo-Unterwäsche, ziehe dann die beheizbare Leggin vom italienischen Hersteller Klan darüber, garniere das Ganze mit einer weiteren Schicht Wolle und teste anschließend verschiedene Motorrad-Hosen. Meine Bewegungen werden immer langsamer. Bei Größe 42 wage ich völlig durchgeschwitzt einen Sitzversuch auf einem dafür bereitstehenden Motorrad. Nichts zwickt, nichts drückt — abgesehen von der Hitze.
Ich reiße mir die Kleider vom Leib, ziehe wieder meine normale Jeans an und wiederhole die ganze Prozedur mit der Jacke. Zuletzt probiere ich den Kragen mit den entsprechenden Halswärmern und der Sturmhaube zu schließen. Der abnehmbare Kragen des Streetguard kommt mir dabei sehr entgegen. Er legt sich komfortabel um meinen Hals. Dass ich kaum noch Luft bekomme, liegt ausschließlich an der Hitze. Aber das Ergebnis lohnt die Mühe: Alles passt.
Tatsächlich ist mir der Anzug natürlich ganze vier Nummern zu groß und ich probiere ihn vorsichtshalber auch noch ohne isolierende Unterschicht an. In der engsten Einstellung hält sich die Hose gerade noch an meinen Hüften fest. Das reicht. Ich will schließlich nicht Miss Florida werden, sondern eine ziemlich extreme Motorrad-Tour machen.
Carinthia hat neben Schlafsäcken auch winddichte Jacken und Hosen mit G-Loft Füllung im Sortiment. Sie haben ein kleines Packmaß, sind winddicht, extrem leicht und sehr bequem. Außerdem passen sie über den Motorradanzug und kommen deshalb mit ins Gepäck. Aber die Erfahrung zeigt, dass es sehr schwer ist, einen Zweiteiler tatsächlich völlig winddicht zu bekommen. Zwischen Hose und Jacke besteht eine Kältebrücke, die bei echten Minustemperaturen spürbar wird. Daher nehme ich noch einen Regencombi von Held mit. Natürlich in der XXL-Version, damit ich ihn einfach, bequem und schnell über allen anderen Schichten anziehen kann.
Nun bleiben noch die Extremitäten: Natürlich sollte man beim Motorradfahren einen kühlen Kopf bewahren. Aber wenn das Visier einfriert, hilft das auch nicht weiter. Arai hat nicht nur gut sitzende Helme, sondern auch beheizte Visiere – ohne längs oder quer laufende Drähte. Sie kommen normalerweise im Formel 1 Sport zum Einsatz, etwa in Malaysia, wo die Luftfeuchtigkeit sehr hoch ist. Wir wissen nicht, wie sie die Kälte verkraften. Also bitte ich Horst, einem Freund von Freunden, zwei Visiere mit Drahtheizung bauen. Die Technik hat sich bei meinen Gespann fahrenden Freunden in vielen Wintern bewährt, also vertraue ich darauf.
Die größten Sorgen mache ich mir allerdings um meine Finger. Zum einen, weil ich extrem verfroren bin, und zum anderen, weil ich sie ganz dringend brauche. Zum Gas geben und Kuppeln, aber vor allem natürlich zum Bremsen. Während meiner Taiga Tour hatte ich in Japan von BMW Winterhandschuhe bekommen. Sie haben mich damals gut durch das herbstliche Russland gebracht. Inzwischen sind sie jedoch ein bisschen in die Jahre gekommen. In der Hoffnung, dass die Qualität gleich gut geblieben ist, besorge ich mir von BMW ein neues Paar.
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