William Thackeray - Jahrmarkt der Eitelkeiten

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Der Gesellschaftsroman «Jahrmarkt der Eitelkeiten» zeichnet ein facettenreiches, alle sozialen Klassen einschließendes Bild der Londoner Gesellschaft zu Anfang des 19. Jahrhunderts. Alle streben nach sozialem Aufstieg. William Makepeace Thackeray zeigt anhand mehrerer Lebensläufe, wann und warum der Weg nach oben glückt, und welche Charaktereigenschaften einem dabei im Wege stehen.
Dieses E-Book enthält eine vollständige deutsche Ausgabe des Romans «Jahrmarkt der Eitelkeiten» (Originaltitel: «Vanity Fair») von William Makepeace Thackeray.

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Am Abend beglückwünschte sie den Leutnant in einer angemessenen Rede bei einem Glase Whisky-Toddy, und George ging wütend nach Hause, um mit Dobbin zu streiten, weil er sein Geheimnis verraten hatte. (Dobbin hatte die Einladung der Majorin O'Dowd ausgeschlagen und saß in seinem Zimmer, wo er Flöte spielte und, wie ich glaube, höchst melancholische Verse machte.)

„Wer, beim Satan, hat dich gebeten, von meinen Angelegenheiten zu sprechen?“ schrie Osborne zornig. „Warum, zum Teufel, muss das ganze Regiment wissen, dass ich bald heiraten will? Warum muss die geschwätzige alte Vettel, Peggy O'Dowd, an ihrer verdammten Abendtafel meinen Namen im Munde führen und meine Verlobung in allen drei Königreichen austrompeten? Und was für ein Recht hast du überhaupt, zu erzählen, ich sei verlobt, oder dich in meine Angelegenheiten zu mischen, Dobbin?“

„Es scheint mir ...“, fing Hauptmann Dobbin an.

„Zum Henker mit dem, was dir scheint, Dobbin“, unterbrach ihn der Jüngere. „Ich bin dir zu Dank verpflichtet, das weiß ich, und verdammt viel zu gut weiß ich das; aber ich will mir nicht ewig deine Predigten anhören, weil du fünf Jahre älter bist. Ich will verdammt sein, wenn ich mir deine überlegene Miene, dein höllisches Mitleid und dein Beschützergehabe länger gefallen lasse. Mitleid und Schutz! Ich möchte wohl wissen, in welchem Stück du mir über bist!“

„Bist du verlobt?“ unterbrach Hauptmann Dobbin.

„Was, zum Teufel, geht es dich oder einen anderen Menschen hier an, ob ich es bin?“

„Schämst du dich deshalb?“ fuhr Dobbin fort.

„Welches Recht hast du, mir diese Frage zu stellen? Das möchte ich gern wissen“, rief George.

„Großer Gott, du willst doch damit nicht sagen, dass du mit ihr brechen willst?“ fuhr Dobbin auf.

„Mit anderen Worten, du fragst mich, ob ich ein Ehrenmann bin“, erwiderte Osborne grimmig; „willst du das damit sagen? Seit einiger Zeit hast du gegen mich einen solchen Ton angeschlagen, dass ich verdammt sein will, wenn ich es mir noch länger gefallen lasse.“

„Was habe ich denn getan? Ich habe dir bloß gesagt, dass du ein süßes Mädchen vernachlässigst, George. Ich habe dir bloß gesagt, du sollst zu ihr gehen, wenn du in die Stadt fährst, und nicht in die Spielhäuser um Sankt James.“

„Ich nehme an, du willst dein Geld zurückhaben“, sagte George höhnisch.

„Natürlich will ich das – habe es immer gewollt, nicht wahr?“ rief Dobbin. „Du redest wie ein besonders Großmütiger.“

„Nein, zum Henker, William, verzeih mir bitte“, fiel ihm George in einem Anflug von Reue ins Wort. „Weiß der Himmel, du hast deine Freundschaft hundertfach bewiesen. Du hast mich schon oft aus heiklen Situationen errettet. Ich weiß, als Crawley von der Leibgarde diese Geldsumme von mir gewann, wäre es ohne dich um mich geschehen gewesen. Aber du solltest nicht so streng gegen mich sein. Du darfst mich nicht immer so schulmeistern. Ich liebe Amelia, ich bete sie an und so weiter. Guck nicht so böse. Ich weiß, sie ist fehlerlos. Aber siehst du, es macht keinen Spaß, etwas zu gewinnen, um das man nicht gespielt hat. Zum Henker! Das Regiment ist ja eben erst aus Westindien zurück, ich muss mich ein bisschen austoben. Wenn ich erst einmal verheiratet bin, will ich mich bestimmt bessern, Ehrenwort. Und – weißt du – Dob – sei mir nicht böse; nächsten Monat bekommst du hundert Pfund von mir, wenn mein Vater mir eine hübsche Summe gibt. Ich will Heavytop um Urlaub bitten und morgen in die Stadt fahren und Amelia besuchen – so, bist du nun zufrieden?“

„Man kann dir niemals lange zürnen, George“, sagte der gutmütige Hauptmann, „und was das Geld betrifft, alter Knabe, so würdest du wohl den letzten Shilling mit mir teilen, wenn ich welches brauchte.“

„Beim Zeus, das würde ich, Dobbin“, erklärte George höchst großmütig, obgleich er, nebenbei gesagt, nie Geld hatte, um etwas abzugeben.

„Ich wünschte nur, du hättest dir die Hörner schon abgelaufen, George. Hättest du das Gesicht der armen kleinen Emmy gesehen, als sie mich neulich nach dir fragte, so hättest du die Billardkugeln zum Teufel geschickt. Geh und tröste sie, du Schurke. Schreib ihr einen langen Brief. Tu etwas, um sie glücklich zu machen, eine Kleinigkeit tut's schon.“

„Ich glaube, sie hat mich verdammt gern“, stellte der Leutnant mit selbstzufriedener Miene fest und entfernte sich, um den Abend mit einigen lustigen Kameraden im Speisesaal zu beschließen.

Amelia am Russell Square blickte unterdessen zum Mond, der auf diesen friedlichen Fleck herabschien und ebenso auf die Chatham-Kaserne, wo Leutnant Osborne einquartiert war, und sie überlegte sich, was ihr Held wohl jetzt gerade tue. Vielleicht visitiert er jetzt die Wachen, dachte sie, vielleicht liegt er im Biwak, vielleicht sitzt er am Lager eines verwundeten Kameraden oder studiert die Kriegskunst droben in seinem einsamen Zimmer. Und ihre freundlichen Gedanken eilten dahin, als seien sie Engel mit Flügeln. Sie flogen am Fluß entlang nach Chatham und Rochester und versuchten in die Kaserne zu dringen, in der George war. Alles in allem war es, glaube ich, ganz gut, dass die Tore geschlossen waren und die Schildwache niemanden einließ, so dass der arme, kleine Engel im weißen Gewande die Lieder nicht hören konnte, die die jungen Burschen dort beim Whiskypunsch grölten.

Am Tag nach der kleinen Meinungsverschiedenheit in der Chatham-Kaserne traf der junge Osborne Anstalten, zur Stadt zu fahren, um zu beweisen, dass er wirklich zu seinem Wort stehe, und Hauptmann Dobbins Beifall blieb nicht aus. „Ich hätte ihr gern ein kleines Geschenk gemacht“, vertraute Osborne seinem Freunde an, „ich habe bloß kein Geld mehr, bis mein Vater mit dem Taschengeld herausrückt.“ Dobbin aber wollte nicht, dass Osbornes Gutmütigkeit und Großmut gehemmt werden sollten, und gab ihm daher ein paar Pfundnoten, die er, nach einigem anfänglichen Weigern, auch annahm.

Ich vermute, er hätte für Amelia bestimmt etwas recht Hübsches gekauft, hätte er nicht beim Aussteigen in der Fleet Street in einem Juweliergeschäft eine schöne Busennadel erblickt, deren Anziehungskraft er nicht zu widerstehen vermochte; und als er sie bezahlt hatte, hatte er nur noch wenig Geld übrig, um seiner Großmut freien Lauf zu lassen. Doch es machte nichts, denn wir können uns darauf verlassen, dass es nicht Geschenke waren, die Amelia von ihm erwartete. Als er zum Russell Square kam, leuchtete ihr Gesicht auf, als ob er der Sonnenschein gewesen wäre. Die kleinen Sorgen, Ängste, Tränen, schüchternen Befürchtungen, ruhelosen Einbildungen wer weiß wie vieler Tage und Nächte waren unter dem Einfluß jenes bekannten, unwiderstehlichen Lächelns im Nu vergessen. Er strahlte sie an, als er in der Salontür stand – ein Gott in seiner Pracht und mit seinem ambrosiaduftenden Backenbart. In Sambos Gesicht strahlte ein teilnehmendes Grinsen, als er Hauptmann Osborne meldete (er hatte den jungen Offizier um eine Stufe befördert). Der Diener sah das kleine Mädchen zusammenfahren und errötend von ihrem Beobachtungsposten am Fenster aufspringen und zog sich zurück. Sobald die Tür geschlossen war, flog sie Leutnant George Osborne ans Herz, als ob dieses das einzige richtige Nest für sie wäre. Ach, du armes, unruhiges Seelchen! Der schönste Baum des Waldes mit dem geradesten Stamme, den stärksten Ästen und dem dichtesten Laub, wo du dein Nest bauen und girren willst, kann gezeichnet sein – wofür, weißt du – und bald zu Boden krachen. Was für ein altes, altes Gleichnis ist das zwischen Mensch und Baum!

George küsste sie indessen recht freundlich auf die Stirn und die glänzenden Augen und war recht gnädig und gut, und sie hielt seine diamantene Busennadel (die sie noch nie zuvor an ihm gesehen hatte) für den schönsten Schmuck der Welt.

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