Eine halbe Stunde nach unserer Ankunft läutete die große Tischglocke zum Essen, und ich ging mit meinen beiden Schülerinnen hinab (es sind sehr magere, nichtssagende Dingerchen von zehn und acht Jahren); ich trug Dein hübsches Musselinkleid (weswegen die abscheuliche Mrs. Pinner so frech wurde, als Du es mir schenktest), denn ich soll als Familienmitglied behandelt werden, nur wenn Gesellschaften gegeben werden, müssen die jungen Mädchen und ich oben speisen.
Die große Tischglocke rief also zum Essen, und wir alle versammelten uns in dem kleinen Salon, wo Lady Crawley sich aufhält. Sie ist die zweite Lady Crawley und Mutter der jungen Mädchen. Sie war die Tochter eines Eisenhändlers, und ihre Heirat galt als glänzende Partie. Sie scheint früher hübsch gewesen zu sein, und ihre Augen weinen ständig um die verlorene Schönheit. Sie ist blaß, mager und hochschulterig und hat offenbar nichts zu sagen. Ihr Stiefsohn, Mr. Crawley, befand sich ebenfalls im Zimmer. Er war in vollem Staate, feierlich wie ein Beerdigungsunternehmer. Er ist blaß, mager, häßlich und schweigsam, hat dünne Beine, eine eingefallene Brust, einen heufarbenen Bart und strohgelbe Haare. Er ist das leibhaftige Ebenbild seiner seligen Mutter über dem Kaminsims – Griselda, aus dem edlen Hause Binkie.
„Dies ist die neue Gouvernante, Mr. Crawley“, sagte Lady Crawley, trat auf mich zu und ergriff meine Hand, „Miss Sharp.“
„Oh!“ ließ Mr. Crawley sich vernehmen, streckte den Kopf kurz vor und wandte sich wieder einer umfangreichen Broschüre zu, die er gerade las.
„Ich hoffe, Sie werden nett zu meinen Mädchen sein“, sagte Lady Crawley, ihre roten Augen wie stets tränengefüllt.
„Ach Gott, Ma, natürlich wird sie das“, sagte die ältere; und mit einem Blick sah ich, dass ich mich vor dieser Frau nicht zu fürchten brauchte. Der Butler, ganz in Schwarz, mit einem ungeheuren weißen Jabot, das aussah, als sei es eine abgemalte Spitzenkrause der Königin Elisabeth in der Halle, meldete: „Gnädige Frau, es ist aufgetragen.“ Lady Crawley nahm Mr. Crawleys Arm und ging in den Speisesaal voraus, wohin ich ihr, an jeder Hand eine meiner kleinen Schülerinnen, folgte.
Sir Pitt war bereits, mit einer silbernen Kanne beschäftigt, im Zimmer. Er war soeben aus dem Keller gekommen und gleichfalls in vollem Staat, das heißt, er hatte seine Gamaschen abgelegt und zeigte seine kurzen, dicken Beine in schwarzen Wollstrümpfen. Das Büfett war beladen mit funkelndem altem Geschirr – goldenen und silbernen Bechern, Serviertellern und Menagen –, ganz wie in Rundell Bridges Geschäft. Auch alles auf dem Tisch war von Silber, und zwei Bediente mit rotem Haar und kanariengelben Livreen standen neben dem Büfett.
Mr. Crawley sprach ein langes Tischgebet, und Sir Pitt sagte amen, worauf die großen silbernen Deckel von den Gerichten abgenommen wurden.
„Was gibt es denn zu essen, Betsy?“ fragte der Baronet.
„Ich glaube Hammelbrühe, Sir Pitt“, antwortete Lady Crawley.
„Moutons aux navets“, setzte der Butler gravitätisch hinzu (ausgesprochen, bitte sehr, wie: Mudongonaveez), „und die Suppe ist potage de mouton à l'Ecossaise. Die Beigerichte bestehen aus pommes de terre au naturel und chou-fleur à l'eau.“
„Hammelfleisch bleibt Hammelfleisch“, sagte der Baronet, „ist was verteufelt Gutes. Was für ein Schaf war es, Horrocks, und wann habt ihr geschlachtet!“ „Eins von den schottischen Schwarzgesichtern, Sir Pitt, wir haben es am Donnerstag geschlachtet.“
„Wer hat was davon abbekommen?“
„Steel aus Mudbury hat zwei Keulen und den Rücken genommen, Sir Pitt; allein er sagt, das letzte sei zu jung und bloß verdammt wollig gewesen, Sir Pitt.“
„Möchten Sie etwas potage, Miss Sharp?“ fragte Mr. Crawley.
„Vorzügliche schottische Hammelbrühe, meine Liebe“, sagte Sir Pitt, „obwohl man es französisch benamst.“
„Ich glaube, in anständiger Gesellschaft ist es so üblich, das Gericht so zu nennen, wie ich es getan habe, Sir“, erwiderte Mr. Crawley hochmütig, und nun wurde uns das Besprochene samt dem mouton aux navets von den Bedienten in der kanariengelben Livree auf silbernen Tellern serviert. Danach gab es Ale und Wasser für uns junge Damen, in Weingläsern serviert. Ich bin keine Ale-Kennerin, aber ich kann mit gutem Gewissen sagen, dass ich mir Wasser vorziehe.
Während wir uns an dem Mahl erfreuten, fragte Sir Pitt, was aus den Hammelschultern geworden sei.
„Ich glaube, sie wurden in der Gesindestube verzehrt“, sagte die Lady demütig.
„Das stimmt, gnädige Frau“, bestätigte Horrocks, „was anderes bekommen wir ja auch nicht.“
Sir Pitt brach in ein heiseres Lachen aus und setzte seine Unterhaltung mit Mr. Horrocks fort. „Das kleine schwarze Ferkel von der Kenter Sau muß doch jetzt ganz schön fett sein.“
„Es wird noch nicht gleich platzen, Sir Pitt“, versetzte der Butler ernsthaft, worüber Sir Pitt und die jungen Damen gewaltig lachen mußten.
„Miss Crawley, Miss Rose Crawley“, sagte Mr. Crawley, „euer Lachen scheint mir ganz und gar fehl am Platze.“
„Mach dir nichts draus“, sagte der Baronet, „wir werden das Ferkel am Sonnabend probieren. Schlachte es Sonnabend früh, John Horrocks. Miss Sharp ißt Schweinefleisch für ihr Leben gern, nicht wahr, Miss Sharp?“
Dies war, glaube ich, das ganze Tischgespräch. Als das Mahl beendet war, wurde eine Kanne heißes Wasser vor Sir Pitt gestellt, zusammen mit einer Korbflasche, die, glaube ich, Rum enthielt. Mr. Horrocks schenkte mir und meinen Schülerinnen ein Gläschen Wein ein, Lady Crawley erhielt einen Humpen. Als wir uns zurückzogen, holte sie aus ihrem Handarbeitskasten ein riesiges, nicht enden wollendes Strickzeug; die jungen Mädchen fingen an, mit einem schmutzigen Kartenspiel Cribbage zu spielen. Es brannte nur eine Kerze, aber sie stand in einem prächtigen, alten, silbernen Leuchter. Nach einigen Fragen, die die Lady an mich richtete, stand ich vor der Wahl, mich entweder an einem Band Predigten oder an der Broschüre über die Kornzölle, in der Mr. Crawley vor dem Essen gelesen hatte, zu ergötzen.
So saßen wir wohl eine Stunde, bis Schritte zu hören waren.
„Packt die Karten weg, Mädchen“, rief die Lady in großer Angst; „legen Sie Mr. Crawleys Bücher hin, Miss Sharp!“ Kaum waren wir diesen Befehlen nachgekommen, als Mr. Crawley eintrat.
„Meine jungen Damen, wir wollen unsere gestrige Abhandlung fortsetzen“, sagte er, „und jede von euch soll abwechselnd eine Seite lesen, so dass Miss Sharp Gelegenheit erhält, euch zu hören.“ Und nun begannen die armen Mädchen eine endlose, langweilige Predigt über die Bekehrung der Chikasaw-Indianer zu buchstabieren, die in der Bethesda-Kapelle in Liverpool gehalten worden war. War das nicht ein entzückender Abend?
Um zehn mußten die Dienstboten Sir Pitt und den ganzen Haushalt zur Abendandacht zusammentrommeln. Sir Pitt trat zuerst ein, ganz rot im Gesicht und etwas unsicher auf den Beinen; nach ihm erschienen der Butler, die Kanarienvögel, Mr. Crawleys Diener, drei andere Männer, die aufdringlich nach Stall rochen, und vier Frauenzimmer. Eine von denen war sehr aufgedonnert und warf mir einen verächtlichen Blick zu, als sie sich auf die; Knie fallen ließ.
Nachdem Mr. Crawley seine Ansprache und seine Erläuterungen beendet hatte, erhielten wir unsere Kerzen und gingen zu Bett. Dann wurde ich beim Schreiben gestört, wie ich meiner lieben, süßen Amelia bereits geschildert habe.
Gute Nacht! Tausend, tausend, tausend Küsse!
Sonnabend. – Heute morgen um fünf Uhr hörte ich das schwarze Ferkel quieken. Rose und Violet haben mich ihm gestern vorgestellt, auch den Ställen und dem Hundezwinger und dem Gärtner, der Obst für den Markt abnahm. Sie bettelten und flehten um eine Weintraube aus dem Gewächshaus; er meinte aber, Sir Pitt habe jede Beere gezählt, und er würde um seine Stelle kommen, wenn er sich breitschlagen ließe, eine wegzuschenken. Die lieben Mädchen fingen ein Füllen in der Koppel. Sie fragten mich, ob ich reiten wolle, und begannen dann selbst zu reiten, als der Stallknecht unter abscheulichen Flüchen herbeikam und sie fortjagte.
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