Dieser Herr und der Schirrmeister schienen Sir Pitt gut zu kennen und machten sich über ihn lustig. Beide waren sich darüber einig, dass er ein alter Knicker sei – womit sie einen sehr geizigen, knauserigen Menschen meinen. Wie sie erzählten, gibt er nie jemandem Geld, und so eine Knauserigkeit hasse ich. Der junge Herr machte mich auch darauf aufmerksam, dass wir den letzten Teil des Weges sehr langsam fuhren, weil Sir Pitt auf dem Bock saß und die Pferde auf dieser Strecke ihm gehören. „Wenn ich erst die Zügel in der Hand habe, werde ich sie nach Squashmore jagen“, sagte der Student. „Immer geben Sie's ihnen, Master Jack“, meinte der Schirrmeister. Als ich den Sinn dieses Satzes erfaßte und begriff, dass Master Jack die Absicht hatte, den restlichen Weg selbst zu kutschieren und sich an Sir Pitts Pferden zu rächen, mußte ich natürlich auch lachen.
In Mudbury jedoch, vier Meilen von Queen's Crawley entfernt, erwartete uns ein wappengeschmückter Vierspänner mit prächtigen Pferden, und so fuhren wir mit Pomp in den Park des Baronets. Eine schöne Allee von einer Meile Länge führt zum Hause, und die Frau am Parktor (auf dessen Pfeilern eine Schlange und eine Taube, die Schildhalter im Crawleyschen Wappen, angebracht sind) machte uns unendlich viele Knickse, als sie die alten eisernen verschnörkelten Tore aufstieß, die denen im verhaßten Chiswick ähneln.
„Das ist eine Allee“, sagte Sir Pitt, „eine Meile lang. In diesen Bäumen da steckt Holz im Werte von sechstausend Pfund. Ist das etwa nichts?“ Allee spricht er Ollee aus, und nichts – nischt; es klingt so drollig; ein Mr. Hodson, sein Knecht aus Mudbury, saß mit im Wagen, und sie sprachen von Pfänden, Versteigern und Trockenlegen und Pflügen und eine Menge über Pächter und andere landwirtschaftliche Dinge – vieles, was ich gar nicht verstand. Sam Miles war beim Wildern ertappt worden, und Peter Bailey hatte man endlich ins Armenhaus gesteckt. „Geschieht ihm ganz recht“, sagte Sir Pitt, „dem seine Familie und er haben mich in den letzten hundertundfünfzig Jahren auf dem Gut genug betrogen.“ Vermutlich ein alter Pächter, der seine Pacht nicht bezahlen konnte. Eigentlich hätte Sir Pitt sagen müssen „dessen Familie“, aber reiche Baronets brauchen nicht so auf die Grammatik zu achten wie arme Gouvernanten.
Im Vorüberfahren bemerkte ich einen prächtigen Kirchturm, der einige alte Ulmen im Park überragte, und davor, mitten auf einer Wiese, umgeben von einigen Nebengebäuden, ein altes, rotes, efeubewachsenes Haus mit hohen Schornsteinen und in der Sonne blitzenden Fenstern. „Ist das Ihre Kirche, Sir?“ fragte ich.
„Ja, der Henker soll sie holen“, antwortete Sir Pitt (nur, meine Liebe, brauchte er einen viel schlimmeren Ausdruck), „wie geht es Buty, Hodson? Buty ist mein Bruder Bute, meine Liebe – mein Bruder, der Pfarrer. Ich nenne ihn Buty oder Biest, haha!“
Hodson lachte ebenfalls, dann aber wurde er ernster und sagte kopfnickend: „Ich fürchte, es geht ihm besser, Sir Pitt. Gestern war er auf seinem Pony draußen und besichtigte unsere Kornfelder.“
„Da hat er wohl nach seinem Zehnten gesehen, der Henker soll ihn holen!“ Hier benutzte er wieder den gleichen schlechten Ausdruck. „Wird ihm denn der Branntwein nie den Garaus machen? Er ist so zäh wie der alte Dingsda, der alte Methusalem.“
Mr. Hodson lachte wieder. „Die jungen Leute haben Universitätsferien und sind nach Hause gekommen. Sie haben John Scroggings so verdroschen, dass er beinah ins Gras biß.“
„Was? Meinen zweiten Wildhüter verdroschen!“ brüllte Sir Pitt.
„Er war auf dem Land des Pfarrers, Sir“, erwiderte Mr. Hodson; und Sir Pitt schwor wutschnaubend, dass er sie bei Gott deportieren lassen würde, wenn er sie einmal auf seinem Grund beim Wildern ertappte. Er verkündete: „Ich habe mein Präsentationsrecht verkauft, Hodson, keiner von der Brut soll die Pfarre bekommen“, worauf Mr. Hodson sagte, er habe vollkommen recht. Aus all diesem ist mir klargeworden, dass die zwei Brüder in Uneinigkeit leben – wie das bei Brüdern und auch bei Schwestern so oft vorkommt. Erinnerst Du Dich nicht an die beiden Miss Scratchley in Chiswick, die sich andauernd in den Haaren lagen – und an Mary Box, die Louisa immer stieß?
Kurz darauf sprang Mr. Hodson auf Sir Pitts Befehl aus der Kutsche und stürzte sich mit seiner Peitsche auf zwei kleine Knaben, die im Wald Holz sammelten. „Hau sie, Hodson“, brüllte der Baronet, „peitsch ihnen die Seele aus dem Leibe und bring sie ins Haus hinauf, die Vagabunden; ich werde sie einsperren lassen, so wahr ich Sir Pitt heiße.“ Und gleich darauf hörten wir Mr. Hodsons Peitsche auf die Schultern der armen kleinen schluchzenden Wichte klatschen. Als Sir Pitt die Übeltäter in Gewahrsam wußte, fuhr er weiter zum Schloß.
Die ganze Dienerschaft stand zu unserer Begrüßung bereit, und....
Hier, meine Liebe, wurde ich gestern nacht durch ein entsetzliches Getrommel gegen meine Tür unterbrochen; und wer, glaubst Du, war es? Sir Pitt Crawley in Schlafrock und Nachtmütze: was für eine komische Figur! Als ich vor solchem Besuche entsetzt zurückfuhr, trat er näher und griff nach meiner Kerze. „Keine Kerze nach elf Uhr, Miss Becky“, sagte er, „gehen Sie im Dunkeln ins Bett, Sie kleines hübsches Weibstück“ (so nannte er mich), „und wenn Sie nicht wollen, dass ich jeden Abend wegen der Kerze komme, so denken Sie daran, um elf Uhr im Bett zu sein.“ Und mit diesen Worten gingen er und Horrocks, der Butler, lachend davon. Du kannst glauben, dass ich keinen zweiten Anlaß mehr zu ihrem Besuch geben werde. Nachts machen sie zwei ungeheure Bluthunde los, die gestern nacht die ganze Zeit bellten und den Mond anheulten. „Ich nenne den Rüden Packan“, erklärte Sir Pitt, „er hat tatsächlich schon einen Menschen zerrissen und nimmt es mit einem Stier auf; seine Mutter hieß früher Flora, jetzt aber nenne ich sie Blaffer, denn zum Beißen ist sie nun zu alt, haha!“
Die große Haustür von Queen's Crawley, das ein abscheuliches, altmodisches, rotes Backsteingebäude mit hohen Schornsteinen und Giebeln im Stile der Königin Elisabeth ist, führt auf eine von der Familientaube und –schlange flankierte Terrasse. Weißt Du, meine Liebe, die Eingangshalle ist bestimmt ebenso groß und düster wie die in dem guten alten Schloß Udolpho. Sie hat einen ungeheuren Kamin, wo man Miss Pinkertons halbe Schule unterbringen könnte; der Feuerrost ist groß genug, um mindestens einen Ochsen darauf zu braten. Rundherum an den Wänden hängen wer weiß wie viele Generationen von Crawleys, einige mit Bärten und Halskrausen, andere mit riesigen Perücken und auswärts gedrehten Füßen, einige in langen, geraden Schnürleibern und Röcken, so steif wie Türme, wiederum andere mit langen Ringellocken und, ach, du lieber Gott, kaum Korsetts. An dem einen Ende der Halle befindet sich die große Treppe, ganz aus schwarzem Eichenholz, so unheimlich wie nur möglich; zu beiden Seiten führen mit Hirschgeweihen geschmückte hohe Türen ins Billardzimmer, in die Bibliothek, in den großen gelben Salon und in die Frühstückszimmer. Ich glaube, im ersten Stock gibt es wenigstens zwanzig Schlafzimmer; in einem steht das Bett, in dem Königin Elisabeth geschlafen hat. Meine neuen Schülerinnen haben mich heute morgen durch diese anheimelnden Räume geführt. Du kannst glauben, dass sie nicht freundlicher werden, wenn die Fensterläden stets zu sind; fast in jedem erwartete ich, beim ersten Lichtschein ein Gespenst zu erblicken. Wir haben ein Schulzimmer im zweiten Stock, in das mein Schlafzimmer und das der jungen Mädchen mündet. Dann folgen die Räume von Mr. Pitt – er wird Mr. Crawley genannt und ist der älteste Sohn – und die von Mr. Rawdon Crawley – er ist Offizier, wie ein gewisser Jemand, und befindet sich bei seinem Regiment. Raummangel gibt es hier nicht, das kann ich Dir versichern. Ich glaube, man könnte alle Leute von Russell Square im Hause unterbringen, und es bliebe immer noch Platz übrig.
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