„Siehst du nicht, dass ich meine Pferde nicht allein lassen kann? Komm, faß an, mein Guter, das Fräulein wird dir ein Bier spendieren“, rief John mit wieherndem Gelächter, denn er hatte keinen Respekt mehr vor Miss Sharp, jetzt, da ihre Verbindung mit der Familie abgebrochen war und sie beim Abschied den Dienstboten nichts gegeben hatte.
Der kahlköpfige Mann folgte der Aufforderung, nahm nun die Hände aus den Hosentaschen, trat näher, warf Miss Sharps Koffer auf die Schulter und trug ihn ins Haus.
„Nehmen Sie bitte diesen Korb und diesen Schal und machen Sie die Tür auf“, kommandierte Miss Sharp und stieg entrüstet aus der Kutsche. „Ich werde Mr. Sedley schreiben und ihm Ihr Betragen melden“, sagte sie zu dem Stallburschen.
„Lassen Sie's lieber bleiben“, erwiderte der Mann. „Haben Sie auch nichts vergessen? Miss Melias Kleider, die eigentlich die Kammerjungfer bekommen sollte? Hoffentlich passen sie Ihnen. Mach die Tür zu, Jim, von der hier kommt doch nichts“, fuhr John fort und deutete mit dem Daumen auf Miss Sharp, „ein böses Weibstück, sage ich bloß, ein böses Weibstück“, und mit diesen Worten fuhr Mr. Sedleys Stallbursche davon. In Wahrheit hatte er mit der fraglichen Kammerjungfer ein Verhältnis und war ganz empört, sie ihrer Nebeneinkünfte beraubt zu sehen.
Als Rebekka nach Aufforderung des Menschen in Gamaschen das Speisezimmer betrat, fand sie es genauso ungemütlich, wie solche Räume gewöhnlich sind, deren vornehme Bewohner sich nicht darin aufhalten, sondern außerhalb der Stadt leben. Die treuen Gemächer scheinen gleichsam die Abwesenheit ihrer Herren zu betrauern. Der Perserteppich hat sich aufgerollt und verdrießlich unter das Büfett zurückgezogen ; die Gemälde haben ihre Gesichter hinter alten Packpapierbogen verborgen; der Kronleuchter ist in einen trübseligen grauen Sack gehüllt; die Fenstervorhänge sind unter allerlei schäbigen Hüllen verschwunden; Sir Walpole Crawleys Marmorbüste schaut aus ihrem finstern Winkel auf die leeren Regale, die eingeölten Kamingeräte und die leeren Visitenkartenständer auf dem Kaminsims; der Flaschenständer hat sich hinter dem Teppich versteckt; die Stühle sind mit den Beinen nach oben an den Wänden aufgestellt, und in dem dunklen Winkel gegenüber der Büste steht ein altmodischer, zerkratzter Besteckkasten verschlossen auf einem Drehtischchen.
Zwei Küchenstühle, ein runder Tisch, ein altersschwaches Schüreisen und eine Feuerzange hatten sich indes um den Kamin versammelt, und über einem schwach sprühenden Feuer brodelte ein Topf. Auf dem Tisch waren ein paar Käse- und Brotstückchen, ein Zinnleuchter und ein Krug mit Porter.
„Vermutlich schon gegessen? Ist es Ihnen zu warm hier? Wollen Sie vielleicht einen Schluck Bier?“
„Wo ist Sir Pitt Crawley?“ fragte Miss Sharp majestätisch.
„Haha! Sir Pitt Crawley bin ich. Vergessen Sie nicht, dass Sie mir noch ein Bier fürs Gepäcktragen schuldig sind. Haha! Fragen Sie nur die Tinker, ob es stimmt. Mrs. Tinker, Miss Sharp; Fräulein Gouvernante, Frau Scheuerfrau. Hoho!“
Die mit Mrs. Tinker angesprochene Dame erschien in diesem Augenblick mit einer Pfeife und einem Paket Tabak, wonach sie eine Minute vor Miss Sharps Ankunft ausgeschickt worden war. Sie übergab beides Sir Pitt, der sich inzwischen ans Feuer gesetzt hatte.
„Wo ist der Farthing?“ fragte er. „Ich habe Ihnen doch drei Halfpence gegeben. Wo ist das Wechselgeld, alte Tinker?“
„Da!“ erwiderte Mrs. Tinker und warf die Münze hin. „Nur Baronets kümmern sich um Farthings.“
„Ein Farthing pro Tag macht sieben Shilling im Jahr“, erwiderte das Parlamentsmitglied; „sieben Shilling pro Jahr sind die Zinsen von sieben Guineen. Nehmen Sie Ihre Farthings in acht, alte Tinker, dann werden die Guineen bei Ihnen von ganz alleine kommen.“
„Sie können sich drauf verlassen, dass es Sir Pitt Crawley ist, junges Fräulein“, gab Mrs. Tinker mürrisch von sich; „nämlich weil er so hinter den Farthings her ist. Sie werden ihn schon noch gründlich kennenlernen.“
„Und mich darum nicht weniger gern haben, Miss Sharp“, ergänzte der alte Herr geradezu höflich. „Ehe ich freigebig bin, muß ich genau sein.“
„In seinem ganzen Leben hat er noch keinen Farthing verschenkt“, brummte Mrs. Tinker.
„Niemals, und auch in Zukunft nicht; das ist gegen meine Grundsätze. Holen Sie sich noch einen Stuhl aus der Küche, Tinker, wenn Sie sitzen wollen; und dann wollen wir ein bißchen Abendbrot essen.“
Darauf stach der Baronet mit einer Gabel in den Topf über dem Feuer und angelte ein Stück Kaldaunen sowie eine Zwiebel heraus. Beides schnitt er in einigermaßen gleiche Teile und teilte es mit Mrs. Tinker. „Wissen Sie, Miss Sharp, wenn ich nicht hier bin, bekommt die Tinker Kostgeld, wenn ich aber in der Stadt bin, so speist sie mit der Familie. Haha! Ein Glück, dass Miss Sharp keinen Hunger hat, nicht wahr, Tink?“ Und nun fielen sie über ihr kärgliches Abendbrot her.
Nach dem Essen rauchte Sir Pitt Crawley seine Pfeife, und als es ganz dunkel geworden war, zündete er die Funzel im Zinnleuchter an. Sodann kramte er aus einer unergründlichen Tasche eine erstaunliche Masse von Papieren hervor und fing an, sie zu lesen und zu ordnen.
„Ich bin wegen einiger Gerichtsangelegenheiten hier, meine Liebe, und so kommt es, dass ich morgen das Vergnügen habe, in einer so netten Begleitung zu reisen.“
„Er hat andauernd mit dem Gericht zu tun“, sagte Mrs. Tinker und griff nach dem Bierkrug.
„Trinken Sie, und geben Sie es weiter“, sagte der Baronet. „Ja, meine Liebe, die Tinker hat ganz recht: ich habe mehr Prozesse verloren und gewonnen als irgendeiner in England. Sehen Sie her: Crawley, Baronet, gegen Snaffle. Den Mann schaffe ich, oder ich will nicht Pitt Crawley heißen. Oder hier: Podder und noch jemand gegen Crawley, Baronet. Die Gemeindevorsteher vom Flecken Snailby gegen Crawley, Baronet. Sie können nicht beweisen, dass es Gemeindeland ist; ich werde ihrer schon Herr werden, es ist mein Land und gehört dem Kirchspiel ebensowenig wie Ihnen oder der Tinker da. Ich werde sie schlagen, und sollte es mich auch tausend Guineen kosten. Sehen Sie sich die Akten an; tun Sie es ruhig, meine Liebe. Haben Sie eine schöne Handschrift? Ich werde Sie schon ausnutzen, wenn wir in Queen's Crawley sind, darauf können Sie sich verlassen, Miss Sharp. Jetzt, wo die Alte tot ist, brauche ich jemand anders.“
„Die war um kein Haar besser als er“, sagte die Tinker. „Alle ihre Kaufleute belangte sie gerichtlich, und in vier Jahren hat sie nicht weniger als achtundvierzig Diener entlassen.“
„Sie war sparsam – sehr sparsam“, sagte der Baronet einfach, „allein sie war mir viel wert und ersparte mir einen Verwalter.“ In dieser vertraulichen Weise wurde das Gespräch zur großen Belustigung der Neuangekommenen eine ganze Weile fortgesetzt. Welche Eigenschaften, ob gute oder schlechte, Sir Pitt Crawley auch haben mochte, er machte kein Hehl daraus. Er sprach beständig von sich, bisweilen im rohesten und gemeinsten Hampshire-Dialekt, nahm aber hin und wieder auch den Ton eines Weltmannes an. Und so wünschte er Miss Sharp eine gute Nacht, nachdem er ihr eingeschärft hatte, am nächsten Morgen um fünf Uhr bereit zu sein. „Heute nacht werden Sie zusammen mit der Tinker schlafen“, sagte er, „es ist ein großes Bett, und zwei Personen haben gut Platz. Lady Crawley starb darin. Gute Nacht!“
Mit diesem Segenswunsch entfernte sich Sir Pitt, und auch die feierliche Tinker ging mit dem Nachtlicht in der Hand voran, die große, öde Steintreppe hinauf, an den hohen, düsteren Salontüren vorüber, deren Klinken papierumwunden waren – bis sie endlich in das große, vordere Schlafzimmer gelangten, wo Lady Crawley ihren letzten Schlaf geschlafen hatte. Das Bett und das Zimmer waren so grabesdüster, dass man sich nicht allein gut vorstellen konnte, dass Lady Crawley da gestorben war, sondern auch, dass ihr Geist es noch bewohnte. Rebekka hüpfte indessen lebhaft im Zimmer herum, schaute in die ungeheuren Kleider- und Wandschränke, versuchte die verschlossenen Schubfächer zu öffnen und musterte die düsteren Gemälde und Toilettengegenstände, während die alte Aufwärterin ihr Gebet verrichtete. „Ich möchte in diesem Bett da nicht gern ohne ein gutes Gewissen schlafen, Miss“, sagte das alte Weib. „Es gibt darin Platz genug für uns und ein halbes Dutzend Gespenster“, meinte Rebekka. „Erzählen Sie mir alles, was Sie über Lady Crawley und Sir Pitt Crawley und alle anderen wissen, meine liebe Mrs. Tinker.“
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