„Wahrscheinlich weißt du es am besten“, meinte Dobbin, wenn auch etwas zweifelnd. „Du bist immer Tory gewesen, und ihr seid eine der ältesten englischen Familien; aber...“
„Komm mit zu den Mädchen und mach Miss Sharp selbst den Hof“, unterbrach der Leutnant seinen Freund; aber Hauptmann Dobbin lehnte es ab, Osborne zu seinem täglichen Besuch bei den jungen Damen am Russell Square zu begleiten.
Als George von Holborn die Southampton Row hinabging, sah er im Sedleyschen Haus, in zwei verschiedenen Stockwerken, zwei Köpfe auf der Lauer liegen.
Miss Amelia schaute nämlich vom Balkon des Salons angestrengt nach dem Leutnant aus, der auf der anderen Seite des Russell Square wohnte; Miss Sharp dagegen war in ihrem kleinen Schlafzimmer im zweiten Stockwerk auf Wachposten, um Mr. Josephs mächtige Gestalt auftauchen zu sehen.
„Schwester Anne sitzt auf dem Wachtturm, aber niemand kommt“, rief er Amelia lachend zu und freute sich königlich über den Spaß, als er Miss Sedley mit den komischsten Ausdrücken den trübseligen Zustand ihres Bruders beschrieb.
„Es ist doch aber sehr grausam von Ihnen, zu lachen, George“, sagte sie und sah recht unglücklich aus; allein George lachte nur um so mehr über ihren kläglichen und verwirrten Gesichtsausdruck und blieb dabei, dass der Spaß doch höchst gelungen sei. Als Miss Sharp die Treppe herabkam, neckte er sie munter wegen der Wirkung ihrer Reize auf den dicken Zivilisten.
„Oh, Miss Sharp! Könnten Sie ihn heute morgen in seinem geblümten Schlafrock sehen“, sagte er, „wie er stöhnt und sich auf seinem Sofa windet. Hätten Sie nur sehen können, wie er Gollop, dem Arzt, seine Zunge zeigte.“
„Wenn ich wen sehen könnte?“ fragte Miss Sharp.
„Wen? Ach, wen? Hauptmann Dobbin natürlich, dem wir alle, beiläufig gesagt, gestern abend so viel Aufmerksamkeit gewidmet haben.“
„Wir waren sehr unfreundlich zu ihm“, sagte Emmy und errötete. „Ich – ich hatte ihn ganz vergessen.“
„Das ist ganz natürlich“, rief Osborne, immer noch lachend. „Man kann doch nicht immer an Dobbin denken, nicht wahr, Amelia. Oder doch, Miss Sharp?“
„Abgesehen von dem Weinglas, das er bei Tisch umstieß“, sagte Miss Sharp hochmütig und warf den Kopf zurück, „habe ich keinen Augenblick einen Gedanken an Hauptmann Dobbins Existenz verschwendet.“
„Sehr gut, Miss Sharp, ich will es ihm sagen“, sagte Osborne, und während er sprach, beschlich Miss Sharp ein Gefühl von Mißtrauen und Haß gegen diesen jungen Offizier, dessen er sich ganz und gar nicht bewußt war. Er will sich über mich lustig machen, ganz bestimmt, dachte Rebekka. Hat er mich bei Joseph lächerlich gemacht? Hat er ihn abgeschreckt? Vielleicht kommt er gar nicht.
Ein Schleier legte sich über ihre Augen, und ihr Herz schlug zum Zerspringen. „Sie sind immer zu Spaßen aufgelegt“, sagte sie und lächelte, so unschuldig sie konnte. „Scherzen Sie nur weiter, Mr. George, mich verteidigt ja keiner.“ Als George Osborne ging und Amelia ihn mißbilligend ansah, empfand er als Mann doch eine gewisse Zerknirschung, dass er sich gegen das schutzlose Geschöpf unnötigerweise so unfreundlich benommen hatte. „Meine liebste Amelia“, sagte er, „Sie sind zu gut – zu freundlich. Sie kennen die Welt nicht. Ich kenne sie aber. Und Ihre kleine Freundin, Miss Sharp, sollte sich überlegen, wo sie hingehört.“
„Glauben Sie nicht, dass Joe ...“
„Ehrenwort, meine Liebe, ich weiß es nicht. Vielleicht, vielleicht auch nicht; ich habe ihm nichts vorzuschreiben. Ich weiß nur, dass er schrecklich dumm und eitel ist und dass er mein kleines liebes Mädchen gestern abend in eine sehr peinliche und schiefe Lage gebracht hat. Mein Lirum-larum-liebchen!“ Und abermals lachend, verschwand er, und weil es so drollig geschah, mußte auch Emmy lachen.
Den ganzen Tag ließ sich Joe nicht blicken. Amelia aber machte sich deshalb keine Gedanken, denn die kleine Ränkeschmiedin hatte doch tatsächlich den Pagen, Mr. Sambos Adjutanten, in Mr. Josephs Wohnung geschickt, um ihn um ein versprochenes Buch zu bitten und sich nach seinem Befinden zu erkundigen. Die Antwort von Joes Diener, Mr. Brush, lautete, sein Herr liege krank im Bett und der Doktor sei soeben bei ihm gewesen. Morgen wird er bestimmt kommen, dachte sie, hatte aber nicht den Mut, mit ihrer Freundin darüber zu sprechen; auch Rebekka erwähnte die Sache während des ganzen Abends nach der Vauxhall-Partie mit keinem Wort.
Am nächsten Tage jedoch, als die beiden jungen Damen auf dem Sofa saßen und so taten, als arbeiteten sie oder schrieben Briefe oder läsen Romane, kam Sambo mit seinem üblichen gewinnenden Grinsen ins Zimmer, mit einem Paket unter dem Arm und einem Billett auf dem Präsentierbrett. „Ein Billett von Mr. Joe, Miss“, verkündete Sambo.
Wie Amelia zitterte, als sie es öffnete!
Es lautete wie folgt:
Liebe Amelia!
Anbei schicke ich Dir die „Waise vom Walde“. Ich war gestern zu krank, um Euch zu besuchen. Heute fahre ich nach Cheltenham. Wenn möglich, entschuldige mich bei der liebenswürdigen Miss Sharp wegen meines Benehmens in Vauxhall und bitte sie doch, jede Äußerung, die ich während dieses unglückseligen Soupers in der Erregung gemacht habe, zu verzeihen und zu vergessen. Sobald ich mich wieder erholt habe, denn meine Gesundheit ist einigermaßen erschüttert, werde ich auf einige Monate nach Schottland gehen. Unterdessen verbleibe ich
Dein Joe Sedley.
Das war das Todesurteil. Alles war vorüber. Amelia wagte es nicht, in Rebekkas blasses Gesiebt und ihre brennenden Augen zu blicken; sie ließ den Brief in den Schoß der Freundin fallen, stand auf, ging in ihr Zimmer und weinte sich das kleine Herz aus dem Leibe.
Mrs. Blenkinsop, die Haushälterin, suchte sie dort bald auf, um sie zu trösten; an ihrer Schulter weinte sich Amelia vertrauensvoll aus und fand Erleichterung. „Nehmen Sie sich die Sache doch nicht so zu Herzen, Miss. Ich wollte es Ihnen nur nicht sagen; aber keiner von uns im Haus hat sie gern gehabt, höchstens am Anfang. Ich habe mit meinen eigenen Augen gesehen, wie sie Briefe von Ihrer Mama gelesen hat. Die Pinner hat erzählt, dass sie andauernd an Ihrem Schmuckkästchen und an Ihrer Kommode war, und auch an anderen Kommoden, und sie glaubt fest, dass sie sich Ihr weißes Band in den Koffer getan hat.“
„Das habe ich ihr doch geschenkt, ganz bestimmt“, versicherte Amelia.
Allein das konnte Mrs. Blenkinsops Meinung über Miss Sharp nicht ändern. „Ich für mein Teil traue den Gouvernanten nicht über den Weg, Pinner“, bemerkte sie gegenüber dem Kammermädchen. „Sie tun, als wären sie Damen, und dabei ist ihr Lohn nicht höher als meiner oder Ihrer.“
Allen im Hause, außer der armen Amelia, wurde klar, dass Rebekka nicht länger bleiben dürfe, und hoch und niedrig (immer mit der einen Ausnahme) war man sich einig, dass die Abreise sehr bald erfolgen müsse. Das gute Kind durchstöberte all ihre Kommoden, Schränke, Handarbeitsbeutel und andere Behältnisse, in denen sie ihren Kleinkram verwahrte, musterte all ihre Kleider, Halstücher, Spitzenbesätze, Bänder, Seidenstrümpfe und dergleichen Firlefanz und suchte das eine oder das andere heraus, um Rebekka ein Häufchen zurechtzulegen. Dann ging sie zu ihrem Vater, der, großmütiger britischer Kaufmann, der er war, ihr versprochen hatte, ihr so viele Guineen zu geben, wie sie Jahre zählte, und bat den alten Herrn, das Geld lieber der guten Rebekka zukommen zu lassen, die es sicher brauchen könnte, während es ihr selbst doch an nichts fehlte.
Sie bewegte sogar George Osborne, dazu beizusteuern, und bereitwillig (denn so freigebig wie er war kaum ein zweiter in der Armee) begab er sich in die Bond Street und kaufte den schönsten Hut und die hübscheste Jacke, die für Geld zu haben war.
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