Mein Herz klopfte wie wild, raste aufwärts bis in die Schläfen. Wenn sie jetzt unterhalb der Gleise auf dem Schotterbett nur wenige Schritte weitergingen, würden sie direkt auf mich zulaufen und über meine Füße stolpern. Damit wäre schon in wenigen Sekunden mein Schicksal besiegelt. In meiner großen Angst fantasierte ich wie im Fieber, und hörte schon das Schreien: »Halt, wer da?« Ich erinnerte mich an den gestrigen Traum und sah mich in Handschellen in den Knast gehen. All diese blitzartigen Fantasien dauerten nur einen kurzen Moment, dann gab ich endgültig auf, ließ den Kopf nach unten sinken, schloss die Augen und drückte mein Gesicht fest auf die scharfkantigen Steine des Schotterbodens. Ohne irgendein Schmerzempfinden ergab ich mich meinem Schicksal.
Wie aus einem Traum rissen mich plötzlich die Worte des einen Grenzers ganz schnell wieder in die Wirklichkeit zurück: »Du spinnst, ich werd`s dir beweisen...wir nehmen beide am Sonnabend Ausgang und dann lassen wir’s drauf ankommen.« »Du musst verrückt sein, ich glaub’s nicht,« empörte sich der Andere. Wieder Stille.
Reglos wie ein Toter lag ich auf dem Schotter, mir stockte der Atem, mein Schädel drohte beinahe zu zerspringen. In höchster Anspannung lauschte ich auf jedes ihrer Worte, zählte jeden ihrer Schritte, wartete auf den alles vernichtenden Augenblick.
Plötzlich glaubte ich, meinen Ohren nicht mehr zu trauen, denn ich merkte, dass meine akustische Wahrnehmung, dass das Gespräch der Grenzer auf einmal wieder abflaute, unverständlicher und kontinuierlich wieder leiser wurde. Offensichtlich hatten sie ihren Plan geändert und eine Kehrtwendung gemacht.
An den Gott, der nicht der meine war, schickte ich weiter Hilferufe, hoffte inständig, dass mich mein Gehör nicht getäuscht hatte, dass ich keiner Halluzination aufgesessen war, dass die Grenzer wirklich ihre Richtung geändert hatten und ihren Wachgang in die vorgegebene Richtung fortsetzten. Schon nach wenigen Minuten war mein Gebet erhört und meine Hoffnung belohnt worden. Das abschwellende Gemurmel der beiden Grenzer war die Bestätigung dafür, dass sie sich wieder auf ihrem an gestammten Pfad befanden und in Richtung Wachturm marschierten. In der von ihnen zurückgelassenen Stille blieben Bruchstücke einzelner Wörter, auf dem Gleisbett das Knirschen ihrer Stiefel zurück.
Erst jetzt spürte ich, wie das in meinem Kopf aufgestaute Blut, wie das Hämmern in meinen Schläfen in kleinen Schüben in meinen leblosen Körper zurücksackte. Ich merkte wie ein gewaltiger Stein lautlos von meinem Herzen fiel. Der beinahe aussichtslose Versuch wieder in die Senkrechte zu gelangen, war für mich nur unter großen Schmerzen zu ertragen. In meinem Schädel summte es wie in einem Bienenstock, Schultergelenk und Arm versagten vorerst gänzlich ihren Dienst, sodass ich mich mit nur einer Hand vom Boden abstützen musste, um wenigsten in eine sitzende Haltung zu gelangen. Die Zeit drängte, eine neue Patrouille konnte hier jederzeit wieder aufkreuzen, trotzdem wollte ich meinem Körper eine kurze Verschnaufpause gönnen, und deshalb für einige Minuten hier sitzen bleiben.
Erst als ich völlig sicher war, dass die Grenzer wieder in der Nähe des Wachturms angelangt waren, und vermutlich von einem neuen Wachtrupp abgelöst wurden, begann ich mich mental auf meinen Rückzug vorzubereiten. Vor mir würden jetzt die gleichen Hindernisse liegen, die ich vordem mit Alex überwunden hatte, aber jetzt hatte ich sie allein zu nehmen, und mich allen Gefahren noch einmal auszusetzen. Der erste Abschnitt des Rückweges verlief zwischen Sträuchern und Zaun, lag im völligen Dunkel und würde es mir ermöglichen, ihn ein ganzes Stück aufrecht zurückzulegen. Ich unterdrückte so gut es ging meine ungeheuer schmerzenden Glieder, und humpelte zügig auf dem Pfad zwischen Zaun und Bahngleis voran. Vor mir das drohend auf mich zukommende, gleißende Licht des Wachturms, hinter mir die verlorene Freiheit.
Es ist mir wie eine Ewigkeit vorgekommen, bis ich mich nach etwa zwanzig Minuten meiner letzten gefährlichen Hürde näherte. Ganz vorsichtig musste ich wieder in Deckung gehen, um auf allen vieren in unmittelbarer Nähe des Lichtkegels, der grell vom Turm herunter die Bahngleise absuchte, wie ein geprügelter Hund am Wachturm vorbei zu kriechen. Erst auf dem letzten kurzen Wegstück bis zum Bahnübergang konnte ich es endlich wieder wagen ganz nach oben zu kommen, und probte im Schatten der Büsche mehr schlecht als recht den aufrechten Gang.
Wenige Schritte vor der Bahnschranke angekommen, drängte es mich ungeheuer, einen lauten Erlösungsschrei auszustoßen. Aber ich besann mich ganz schnell wieder und unterdrückte, mit Rücksicht auf mein sicheres Durchkommen, erst mal diese leichtsinnige Gefühlsäußerung. Die Angst, erwischt zu werden, saß mir nach wie vor noch fest im Nacken. Ein letzter Schritt, und ich trat mit schlotternden Knien aus dem dunklen Gebüsch heraus, um am gelblichen Licht des Wärterhäuschens endgültig wieder aufzutauchen.
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