„Ich muss dir etwas Unglaubliches zeigen“, rief Irina und holte ein Magazin aus ihrer riesigen Handtasche, während sie mit der anderen Hand ein großes Rouladenstück zwischen ihren unnatürlich vollen Lippen verschwinden ließ. „Da gibt es ein neues Männermagazin, MmM, eine echte Sauerei ist das! Warte, ich lese dir etwas vor. Hör mal!“ Sie blätterte in der Zeitschrift und tippte wütend auf eine Seite. „Da schreibt doch ein Typ so eine unverschämt frauenfeindliche Kolumne. Die ist so pornografisch und beleidigend, dass man am liebsten gleich das Verlagsgebäude in die Luft sprengen möchte.“ Anna riskierte einen Blick und hätte sich beinahe an ihrem Tee verschluckt. Das konnte doch nicht wahr sein, wie war das nur möglich? Sie hatte den Text doch erst vor ein paar Tagen abgeschickt und nun das! Während Irina sich weiter in Beschimpfungen erging, ihr rot gefärbtes Haupt schüttelte und den Text stellenweise laut vorlas, aber immer mit einem „Dingsbums“ an der entsprechenden Stelle, denn sie war ja eine feine Dame, schweiften Annas Gedanken ab. Die eine Hälfte ihres Herzens jubilierte, denn nun stand ein Geldsegen ins Haus, mit dem sie sich erst mal von den größten Schulden befreien konnte. Und genau deshalb hatte sie ja gleich so dick aufgetragen. Andererseits schien ihr verdorbener Text dermaßen die Gefühle von Frauen zu verletzen, dass sie jetzt ein schlechtes Gewissen bekam. Sie hörte sich selbst wie beiläufig fragen: „Und welcher Arsch hat das verbrochen?“ Irina suchte den Namen über dem Text und Annas Herz fing wie wild zu pochen an. „Brandolf Annaberg heißt dieses abscheuliche Subjekt“, stieß sie hervor, „und so was nach den Errungenschaften von Alice Schwarzer und Konsorten. Wir Frauen dürfen uns diese Herabwürdigung auf keinen Fall bieten lassen. Zum Glück sitze ich morgen wieder im Flugzeug nach Frankreich, sonst würde ich glatt noch eine Demonstration gegen diesen Menschen anzetteln.“ „So schlimm?“, wollte Anna wissen. „Nein, noch schlimmer“, rief Irina, „wenn du wüsstest, was unsere Generation und allen voran deine Mutter alles mitgemacht hat, bis die Frauen den Mut hatten, für sich selbst einzutreten, könntest du mich verstehen.“ Anna drehte sich beschämt zur Seite und sah aus dem Fenster. „Tut mir leid, Mama“, dachte sie, „was hättest du denn am meiner Stelle gemacht?“
Der Plan funktioniert
Der nächste Morgen begann mit einer glücklichen Botschaft per E-Mail. „Lieber Herr Annaberg“, stand da, „wir haben Ihre Kolumne gedruckt und wollten Ihnen heute Ihr Honorar überweisen. Sie haben aber vergessen, Ihre Bankverbindung anzugeben, bitte teilen Sie uns diese doch umgehend mit. Der von Ihnen geforderte Betrag übersteigt zwar alles, war wir unseren Autoren bisher gezahlt haben, aber angesichts Ihrer wirklich fantastischen Arbeit hat der Chef die Summe abgesegnet. Wir brauchen Sie sicherlich nicht darauf hinzuweisen, dass Sie über das Honorar absolutes Stillschweigen bewahren müssen, da wir mit jedem Autor individuelle Vereinbarungen treffen. Wenn Ihr nächster Text genauso gut ankommt wie der letzte, machen wir vielleicht eine Serie daraus. Wir freuen uns auf eine weitere gute Zusammenarbeit (Deadline: Freitag 14.00 Uhr!). Viele Grüße – Melanie Weber, Assistentin der Geschäftsführung. Anna tanzte durchs Zimmer. Ihr fiel ein, dass sie schnell ein Konto einrichten musste. Irgendein Fantasiename musste her, bisher hatte sie als freie Autorin immer ihren eigenen Namen angegeben, jetzt brauchte sie ein Pseudonym. Sie überlegte fieberhaft: „Was macht meine Arbeit aus? Einfallsreichtum, Schnelligkeit, Präzision, die perfekte Symbiose von Logik und Fantasie. Au ja, irgendwas mit Fantasie, Fanta …, das hört sich frisch an, Fantalogik? Bescheuert! Auf englisch: Fantalogic?“ Ja, warum nicht. Sie sprach es langsam aus und mit einem kleinen amerikanischen Akzent. Fantalogic, das war‘s! Jetzt schnell zur Bank und dann die Rechnung schreiben. In Kürze würde sie hoffentlich all ihre Schulden begleichen können und vielleicht blieb sogar noch etwas übrig für eine schöne Aktion mit den Kindern. Ganz in der Nähe hatte ein neuer Freizeitpark eröffnet und sie wollte mit den Mädchen längst einmal hin. Die saftigen Eintrittspreise hatten sie bislang daran gehindert und nun war dieses Vorhaben in greifbare Nähe gerückt. Sie ballte die Faust: „Strike, strike, strike – und ich schaff es doch!“
Als sie später das Haus verließ und gerade in den Bus einsteigen wollte, traute sie ihren Augen kaum. Das Werbeplakat von MmM, das noch immer auf der Flanke des Busses prangte, war völlig verschmiert und auf den blanken Brüsten der Schönheit stand jetzt in roten Lettern: „Annaberg du Sau, wir schneiden dir die Eier ab!“ „Oje“, dachte sie, „scheint ja tatsächlich große Wellen zu schlagen meine Kolumne, Hilfe!“ Sie blickte sich in alle Richtungen um, aus Angst, von irgend jemandem als Brandolf Annaberg erkannt zu werden. Gleichzeitig fiel ihr ein, dass dies ja gar nicht möglich war. Einen Moment lang war ihr sehr unbehaglich zumute, doch dann kehrte die Freude über das viele Geld zurück und sie lächelte, als der Bus losfuhr und der Busfahrer ihr im Rückspiegel ein freundliches Grinsen schenkte. Sie war eine schöne Frau und obendrein gesund und erfolgreich, was wollte sie mehr!
Anna stand mit Lisa und Carlotta unten an der Straße. Moritz, ihr Ex-Mann und Vater ihrer Kinder, wollte die beiden für ein langes Wochenende in Kitzbühel abholen. Missbilligend stellte Anna fest, dass auf dem Beifahrersitz der schwarzen E-Klasse eine hübsche Blondine wartete. „Fährt die auch mit?“, fragte sie kalt und nickte Richtung Straße. „Ach, du meinst Sabine. Ja klar, die Kinder kennen sie schon. Du musst keine Bedenken haben, die mögen sich total gern!“ Anna schluckte und holte tief Luft. „Bevor du mir die Frau nicht vorgestellt hast, steigen die Kinder nicht ins Auto. Sag ihr, sie soll ihren Hintern hierher bewegen und zwar dalli.“ „Hey Sweety, so kenne ich dich ja gar nicht.“ Moritz hob erstaunt die Augenbrauen, bemerkte aber Annas Entschlossenheit und winkte Richtung Wagen. „Komm doch mal schnell rüber“, rief er in seiner beherrschenden Art über die Straße. Sabine kam mit einem betont lässigen Hüftschwung angestöckelt und streckte Anna fröhlich die Hand entgegen. „Schön, dass ich Sie einmal kennen lerne“, flötete sie mit viel zu hoher Stimme und Anna konnte nicht anders, als sie sofort unsympathisch zu finden. „Ganz meinerseits“, sagte sie höflich, „kommt ihr noch rauf auf einen Kaffee?“ „Ein andermal gerne“, winkte Moritz ab, „aber wir wollen noch vor der Rushhour aus der Stadt sein. Kommt Kinder, wir müssen uns beeilen.“ Anna nickte und verabschiedete sich von ihren Mädchen, die es plötzlich ganz eilig hatten, sich von ihr loszureißen. Mit einem Kloß im Hals sah sie zu, wie die vier ins Auto stiegen und einem Urlaub entgegen brausten, in dem sie keinen Platz mehr hatte. Einen Moment lang kämpfte sie gegen die Tränen an, doch dann gewann ihre Vernunft die Oberhand und sie erinnerte sich, dass es jetzt Zeit wurde, eine neue Kolumne zu verfassen. Und diesmal wollte sie noch einen drauf setzen, sie war in der richtigen Stimmung! Es musste etwas derart Provozierendes sein, dass selbst Frauen das Blatt aus lauter Sensationsgier kauften. Je größer die Auflage war, desto schneller konnte sie das ohnehin schon horrende Honorar noch weiter in die Höhe treiben. Im Eisfach lag eine Flasche Finlandia. Sie goss sich einen Eierbecher voll ein und stürzte das eiskalte Zeug in einem Zug hinunter. Sie dachte an die Blondine, die heute Abend mit ihren Mädchen in irgend einem Nobelrestaurant in Kitzbühel an einem Tisch sitzen würde. Moritz würde während des gesamten Essens wie ein Tiger vor dem Eingang hin- und herlaufen und lautstark telefonieren und Sabine würde alleine da sitzen mit den zwei streitenden Gören und sicherlich darüber nachdenken, ob sie sich einen Kurztrip zu viert jemals wieder antun würde. Anna lächelte diabolisch. Wie wäre es mit einer aus der Luft gegriffenen, hanebüchenen Theorie zum Thema „Wie sich die orale Fähigkeit der Frau an der Amplitude ihres Hüftschwungs ableiten lässt?“ Au ja, dazu fällt ihr bestimmt etwas ein. Sie rieb sich die Hände, bevor sie in die Tasten griff. „Auf ein Neues, mögen die Spiele beginnen. In ihrer Story kam eine blonde und etwas unterbelichtete Frau vor.
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