Adrienne Träger
Willkommen in Amberland
Ein Flüchtlingskrimi
©2015 Adrienne Träger
Umschlaggestaltung: Adrienne Träger
Coverfoto: ©2015 Ingeborg Heck-Böckler
Verlag:
Amnesty International, Asylgruppe Aachen
Adrienne Träger
Adalbertsteinweg 123 a/b
52070 Aachen
www.amnesty-aachen-asylgruppe.de
buecher@amnesty-aachen-asylgruppe.de
http://facebook.com/amnesty.asylgruppe.aachen
Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin
ISBN 978-3-7375-5719-1
Printed in Germany
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Irgendwo am Stadtrand von Carlshaven, 01. Dezember 2015
Maziar rannte durch die Gänge des Wohnheims Richtung Ausgang. Die beiden Männer waren hinter ihm her. Warum, wusste er nicht genau. Aber er wusste, dass er Angst hatte. So viel Angst, wie seit seiner Flucht aus Afghanistan nicht mehr. Er bog um die Ecke des Flurs und sah die Ausgangstür. Nur noch wenige Meter, dann wäre er im Freien. Draußen auf der Straße waren vielleicht Menschen, die ihm helfen konnten.
Doch so weit kam er nicht mehr. Einer seiner Verfolger warf ihm einen Baseballschläger zwischen die Beine. Er fiel der Länge nach hin und wurde im nächsten Augenblick an den Füßen in einen Raum gezogen, in dem ein weiterer Mann wartete. Er erkannte ihn wieder und jetzt war ihm auch klar, wieso die Männer ihn wie eine Meute blutrünstiger Jagdhunde durch die Einrichtung gehetzt hatten.
Die drei schrien etwas, das er nicht verstand. Dann spürte er einen Tritt in seine Seite. Weitere Tritte folgten. Gegen seinen Kopf, die Beine. Er riss instinktiv die Arme hoch, um sein Gesicht zu schützen und krümmte sich seitlich zusammen. Der nächste Tritt traf ihn in den Magen. Dann kamen Fäuste, die auf ihn einschlugen. Kurz darauf, wurde er bewusstlos.
Carlshaven, Waldrand, 02. Dezember 2015
Es war kalt und die letzten Tage hatte es fast ununterbrochen geschneit, sodass die Räumfahrzeuge den Schneemassen schon nicht mehr Herr wurden. Normalerweise brauchte man mit dem Auto etwa eine dreiviertel Stunde bis hier. Heute hatte die Fahrt mehr als zwei Stunden gedauert, die halbe Stunde, die er gebraucht hatte, bis die Schneeketten endlich montiert waren, nicht eingerechnet. Kommissar Björn Handerson war erstaunt, dass er es überhaupt bis zum Tatort geschafft hatte.
Ein Schatten löste sich aus der weißen Wand vor ihm und eine in weiße Schutzkleidung gehüllte Gestalt bewegte sich auf ihn zu. In dem dichten Schneetreiben musste er schon zweimal hinschauen, um zu sehen, dass es seine Kollegin, Sergeantin Anna Carenin, war. Es erstaunte ihn immer wieder, dass die junge, ehrgeizige Polizistin es regelmäßig schaffte, noch vor ihm am Tatort zu sein. Und das sogar bei einem solchen Mistwetter.
„Und?“
„Ein Mann in den Dreißigern. Sieht ausländisch aus.“
„Wie hat man den denn bei dem Wetter hier überhaupt gefunden?“
„Oh, der klischeehafte Klassiker: Der Hund einer alten Dame hat sich beim Gassi gehen losgerissen und ist dahinten zu den Bäumen gelaufen und in dem kleinen Wäldchen verschwunden. Als er nicht zurückkam, hat sie sich einen Weg durch den Schnee gebahnt, um ihn zu suchen. Sie hat wohl einen mordsmäßigen Schreck bekommen, als sie sah, dass der Hund eine Hand aus dem Schnee ausgebuddelt hatte.“
„Sind Peter und Weidmann schon da?“
„Ja. Und die hier wirst du brauchen“, sie hielt ihm ein paar Schneeschuhe unter die Nase.
„Wo hast du die denn her?“
„Eine kleine Aufmerksamkeit von Rune aus der Kriminaltechnik. Der Mann denkt einfach an alles.“
Er zog sich die Schutzkleidung und die Schneeschuhe an und folgte seiner Kollegin zum Tatort. In diesem Aufzug fühlte er sich wie ein wandelnder Schneemann.
Sergeant Peter Müller sprach mit einer älteren Dame. Handerson hob die Hand zum Gruß, den Peter stumm erwiderte, während er sich weiter mit der Frau unterhielt. Ein Stückchen weiter stand ein kleines Zelt, das man um die Leiche herum errichtet hatte, damit sie nicht wieder zuschneite. Darin saß der kleine, dickliche Gerichtsmediziner, Morton Weidmann, mit gerunzelter Stirn über die Leiche gebeugt.
„Hallo Mort“, grüßte Handerson ihn. „Kannst du schon etwas sagen?“
„Nicht viel. Die Leiche scheint frisch zu sein, noch keine vierundzwanzig Stunden alt. Das kann aber auch täuschen. Die Umgebungstemperatur ist ja nicht gerade lauschig.“
Handerson warf einen genaueren Blick auf die Leiche. Anna hatte Recht. Der Mann musste in den Dreißigern sein. Die Nase sah krumm aus und im Gesicht war Blut. Auch die Augen wirkten, als ob ihn jemand geschlagen hatte.
„Hat man ihm die Nase gebrochen?“
„Zumindest hat er wohl ordentlich eine drauf bekommen. Ob die wirklich gebrochen ist, kann ich erst sagen, wenn ich ihn auf dem Tisch habe.“
„Ich sehe keine Einstiche oder Einschüsse.“
„Ich gerade auch nicht. Es kann aber auch sein, dass sich unter ihm eine Blutlache befindet, die wir nur wegen des vielen Schnees nicht sehen. Ich wollte ihn vor deinem Eintreffen nicht umdrehen lassen, damit du ihn in der Originalstellung siehst. Der Fotograf hat das hier schon alles Dokumentiert und die Spurensicherung hat auch schon erste Spuren genommen. Das da auf dem Hemd und der Hose scheint Erbrochenes zu ein. Wer weiß, vielleicht ist er auch erstickt. Sollen wir mal nachsehen, wie er von der anderen Seite aussieht?“
„Ja, lass uns mal schauen.“
Sie drehten den Toten um. Auch unter dem Leichnam war kein Blut zu sehen und der Rücken schien ebenfalls keine Einstich- oder -schussstellen aufzuweisen.
„Ok, du kannst ihn jetzt abtransportieren lassen“, sagte Handerson zu Weidmann.
„Na hoffentlich kommen wir bei dem Scheißwetter überhaupt mit der Leiche bis ins Institut“, grummelte Weidmann und erhob sich. „Tschüss dann.“
„Ja, Tschüss, Weidmann“, sagten Handerson und Anna wie aus einem Munde. Die junge Polizistin hatte ihnen die ganze Zeit aufmerksam zugesehen, aber keinen Ton gesagt. Peter gesellte sich zu ihnen.
„Die alte Dame heißt Petra Kaasmann. Viel habe ich nicht aus ihr herausbekommen, nur dass sie hier regelmäßig Gassi geht, weil sie in der Nähe wohnt. Der Hund war ihr heute ausgekommen, ist hierhin gelaufen und hat die Leiche ausgebuddelt. Sie ist recht geschockt und hat nach eigener Aussage fast einen Herzinfarkt erlitten, als sie die Hand aus dem Schnee ragen sah. Den Mann hat sie noch nie gesehen, weiß also auch nicht, wer er ist. Ihre Personalien habe ich aufgenommen und ihr gesagt, dass sie jetzt gehen kann. Sie will sich zu Hause erstmal einen steifen Grog machen. Ich habe ihr gesagt, das sei eine exzellente Idee.“
„Oh, ja, ich könnte auch etwas Warmes vertragen,“ sagte Handerson. „Das ist aber auch ungemütlich hier draußen. Und kalt.“
„Könntet ihr euch noch kurz auf den Tatort konzentrieren?“, fragte Anna leicht genervt. „Fällt euch nichts auf?“
„Doch“, antwortete Peter. „Der Tote hat keine Jacke an. Und eine Mütze auch nicht. Wenn ich bedenke, dass es schon seit Tagen schneit, ist das recht ungewöhnlich. Es deutet irgendwie alles darauf hin, dass der Fundort nicht der Tatort ist.“
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