Oliver Bukowski - LETZTE MENSCHEN

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Tom Schildhauer und seine Kampffamilie wollen eine Gesellschaft «ohne Oben und Unten, ohne Führer und Geführte». Schildhauer, die alternde Galionsfigur der Revolution, der durch einen Kopfschuss fast getötet wurde und das Gehen und Sprechen mühsam neu erlernen musste, ist endlich auf dem Wege der Besserung. Auf seinem ersten selbstständigen Ausflug nach der Attacke besucht er ausgerechnet seinen Angreifer, Stefan Bachler, im Gefängnis. Denn er muss herausfinden, warum der ehemalige Revolutionär ihn umbringen wollte. Bachler aber will nicht mit der Sprache rausrücken, was Schildhauer zunehmend frustriert. Trotzdem treibt ihn der Wunsch, Bachlers Beweggründe zu verstehen, immer wieder zu ihm zurück. Derweil geht für Schildhauers Frau Karen, seine Tochter Fari und seinen Freund Herrmann der Protest weiter. Sascha, der Neue, ist auch mit dabei. Schildhauers Verletzung hat auch zuhause einiges verändert. Allmählich beginnen Familie und Freunde Schildhauers harte Linie zu hinterfragen. Doch der will keine Kompromisse eingehen. Sogar einen mit 300.000 € dotierten Preis für Zivilcourage lehnt er ab, denn er lässt sich nicht kaufen.

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© 201 5 Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs-GmbH

Schweinfurthstraße 60, 14195 Berlin

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Sämtliche Rechte der öffentlichen Wiedergabe (u. a. Aufführungsrecht, Vortragsrecht, Recht der öffentlichen Zugänglichmachung und Senderecht) können ausschließlich von der Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs-GmbH erworben werden und bedürfen der ausdrücklichen vorherigen schriftlichen Zustimmung. Nicht genehmigte Verwertungen verletzen das Urheberrecht und können zivilrechtliche und ggf. auch strafrechtliche Folgen nach sich ziehen.

ISBN 978-3 - 7375-5596-8

Der Autor dankt dem Deutschen Literaturfonds e. V., Darmstadt, für die Unterstützung der Arbeit an diesem Theaterstück.

PERSONEN

TOM SCHILDHAUER

KAREN - seine Frau

FARI (eigentlich FAHRENHEID) - Tochter Tom und Karens

SASCHA

HERRMANN VORBERG - Schildhauers langjähriger Freund und „Kampfgefährte“

STEFAN BACHLER

Und noch: Schildhauer leidet infolge seiner Verletzung immer noch an leichten Sprachstörungen. Im Text (gerade anfangs) ist das angedeutet. Es kann/sollte aber auch später und an beliebig anderen Stellen damit gearbeitet werden - in Maßen, bitte keine Clownerie!

1

Karen, Fari, Herrmann und – neu dabei – Sascha in den letzten Vorbereitungen einer Blockade oder Flächeninvasion. Ein zweiteiliger, evtl. grell bemalter Betonklotz (ein sogenannter Drache): unten ein Sockel, oben eine Art Pyramide.

SASCHA… Vergiss es, das zieh ich nicht an!

FARIDu hast Kaffe gesoffen wie’n Loch.

SASCHAUnd?

FARIEin Liter trinken, zwei Liter pissen.

SASCHADas wird mehr? Das wird in mir mehr?

FARIErfahrungswerte.

SASCHAJedenfalls ziehe ich keine Windel an.

FARIPinkelst du eben ein. Viel Vergnügen.

SASCHAIch kann schon was für mich behalten. Und wenn nicht, finde ich schon ne leere Flasche.

KARENGeht nicht, Sascha. Das kann Stunden dauern, bis sie uns losflexen. Wir stecken in Armrohren. Um die Handgelenke Schnappschlösser. Keine Schlüssel – du kommst da nicht ran, selbst wenn du willst nicht. Sie müssen wissen, dass wir uns nicht selbst befreien können.

HERRMANNUnd kommen wir nicht selber los, kriegen sie uns schlecht wegen Hausfriedensbruch.

SASCHAIch komm da nicht ran?

FARIAn deinen Schwanz, Mann.

SASCHAAn meinen … Klar. Also ich denke, das schaff ich. Ich muss da nicht mehr ständig ran. Da bin ich übern Berg: lange, schlimme Jahre.

FARIOho, Herrenwitz, ja? Junge, die werden an dir zerren, auf dich einsäuseln, dich bedrohen, dir Wasserwerfer oder Lautsprecher auf die Rübe drehen, vielleicht sogar Reizgas einsetzen; die fetzen deine Jacke auf, dass dir der Hintern abfriert oder schleifen dich in die pralle Sonne! Ich meine, du brauchst zum Psychodruck nicht auch noch den auf der Blase. Kapiert?

SASCHAKapiert. Außerdem finde ich es toll, wie du dich um mich sorgst.

FARIIch sorge mich einen Scheiß um dich. Geht hier nicht um den Einzelnen.

SASCHAAh ja, mal wieder nicht.

HERRMANNDoch. Sie meint nur, dass du hier nicht den Helden geben kannst. Jedenfalls nicht als Solo-Nummer. Biegen sie dich um oder klappst du zusammen, sind wir alle geliefert. Das mit der Kette und dem schwächsten Glied ist hier mal kein Bauernkalender.

FARIArme hoch!

Tastet ihn ab – es wirkt fast wie eine polizeiliche Leibesvisitation.

FARIPersonalausweis, Papier und Stift, okay. Abgezähltes Geld für zwei Anrufe?

SASCHAArschtasche links.

FARIDie Nummern von Anwalt und Ermittlungsausschuss?

SASCHAUnterarm.

FARIDoch nicht beide auf derselben Stelle!

Reißt ihm ein Hosenbein hoch und schreibt eine der Nummern auf seinen Unterschenkel.

SASCHADu kannst mich nicht allzu gut leiden, wie?

FARI während sie an ihm weiter arbeitet Doch, doch. Du bist ein Wahnsinns-Gipfelhopper, ein regelrechter Protestwellensurfer bist du. Gestern Stuttgart, heute Hamburg, morgen per easyJet wieder Barcelona und Reclaim the Streets, so lange Papis Geld reicht. Doch, ich kann dich gut leiden. Ich werde richtig schwach bei so viel Kosmopolitismus und Feinripp-Unterhemd. Wollen wir im Berghain heiraten, Sonntagnachmittag?

SASCHAEs geht doch nichts über eine kleine Galerie von Feindbildern. Und wir sind dann wirklich aneinander gekettet? Für Stunden?

FARINoch kannst du dich verpissen.

KARENFari, halblang, wir brauchen hier jeden. Und es ist unerträglich, in welchem Ton du mit ihm redest. Du hast auch mal angefangen.

FARIAber nicht, um was zu twittern zu haben. WAS. IST. DAS?!

h ält Saschas Handy hoch

SASCHAEin Tenorsaxophon? Ein Kasten Bier?

Fari drückt das Gerät durch, kontrolliert den Inhalt.

SASCHAHe, das ist privat!

FARIIch sag’s doch: Der Blödmann hat fotografiert. Uns alle. Karen, dich, Herrmann, voll frontal beim Tripod-Bau und … stutzt

SASCHAGut, nicht? Im Halbprofil kommst du wie die junge Juliette Lewis. Ich meine, wenn du was mit deinen Haaren machst.

FARIOkay. atmet tief durch In Ordnung, du bist also brunzdumm UND sexistisch, das wissen wir jetzt. Die Frage ist nun: Bist du auch noch ein Spitzel?

SASCHAHä?

FARIDu willst an ihn ran, nicht wahr? Bist du nur ein Groupie, oder wie viel zahlen sie dir?

SASCHAAn ihn ? Also wenn ich überhaupt an jemanden ran wollte, dann vielleicht …

FARI… vergiss es!

SASCHALängst passiert.

HERRMANNWenn ich den Flirt mal unterbrechen darf: das Problem ist, dass du uns gefährdest.

SASCHAIch?! Ich gefährde niemanden. Kann ich gar nicht. Konnte ich noch nie. Ich war mein Leben lang so komplett antigefährlich wie …. wie ne Schlummerrolle. DAS ist wohl eher das Problem!

KARENSascha, wirklich, so naiv kannst du unmöglich sein. Sind auf deinem Handy auch noch Adressen? Namen? Telefonnummern?

SASCHANa ja. Hm. Was der Mensch so braucht. Aber ich kann die auch löschen. Gut, ich müsste vorher synchronisieren, aber dann … He, noch alle Latten am Zaun?!

Fari hat das Smartphone aber schon auf den Boden geworfen und zertreten.

FARISchon mal was von Computer-Forensik gehört?

SASCHADu liebe Güte, was glaubt ihr, wer ihr seid! Che und die Weltrevolution? Ne Wagenladung Commandantes? Das ist doch schon … paranoid , ist das!

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