Gleich beim Erscheinen dieser Doktrin war das Wahlvolk so erledigt, dass ich mir weitere Erläuterungen dazu ersparen konnte. Die dadurch gewonnene Zeit nutzte ich ökologisch unbedenklich so lange aus, bis endlich hinten etwas heraus kam. Es war eine weitere Doktrin. Eigentlich hätte ich sie nun einfach als „zweite Doktrin“ bezeichnen können, aber das war natürlich sehr unromantisch, und außerdem musste das Wahlvolk ja auch nicht alles so genau wissen, wie bereits näher erläutert. Nachher wurde es deswegen noch krank. Deshalb gab ich ihr den Namen: „Doktrin 1+1“. Das hörte sich gut an, so wie früher in der Grundschule beim Rechnen. Man vertraute mir wie einer Mutter. Dagegen gab es kein legales Mittel. Mit diesem alten Ministerpräsidententrick hatte ich es geschafft, die zweite Doktrin gekonnt zu verkleiden und unter falschen Vorstellungen durchzuwinken. Als ich danach noch das nun wehrlose Wahlvolk mit meiner dritten Doktrin konfrontierte, die ich, um es zu überfordern als „Dritte Doktrin“ bezeichnete, gab es auf und ging wieder arbeiten.
Ich war sehr stolz auf mich, denn ich beherrschte sie also noch, die alte Kunst des Regierens. So konnte ich mir die überteuerten, schamanischen Wochenendkurse zu ihrer Auffrischung sparen. Es hätte, was mich anging, somit gleich losgehen können mit der praktischen Regierungsarbeit, aber die Minister waren noch nicht da. Ich ließ mich mit dem Engländer verbinden. Er saß gerade bei meinem Friseur und ließ sich über den letzten Stand der Dinge informieren. Ich war zufrieden. Auf den Engländer konnte ich mich verlassen. Eines Tages, bevor ich ihn feuern würde, würde ich ihm noch den „Großen Spürhundorden im Schuhkarton“ leihen. So wie ich ihn kannte, würde er ihn aber niemals wieder zurück bringen. Er war mein bester Mann, doch das durfte ich nicht so laut sagen. Denn diese Information war top secret. Und damit war er ein ebenso überzeugendes As in meinem Ärmel wie die Sau es gewesen wäre, die aber leider dem Sarg den Vorzug vor meinem Ärmel gegeben hatte. Ich war mir sicher, dass die beiden sich dort nicht nur sehr gut verstanden hätten sondern auch ergänzt. Oder sogar noch mehr.
Nach und nach trudelten alle, die sich für Minister oder Staatssekretäre hielten, in meinem Hobbykeller ein. Es waren lauter alte Freunde und Bekannte. Jeden Tag diese ganze Rasselbande mit ihren ungesunden, rotbackigen Gesichtern am Kabinettstisch mit offenen Augen schnarchen zu hören, das wäre eine schöne Sache gewesen, aber noch schöner wäre es natürlich für meine überstrapazierten Ohren gewesen, wenn sie alle weit weg auf dem Mond gesessen hätten. Ich entschied mich daher sofort für die noch schönere Sache und schickte sie alle auf den Mond zu meinem alten Freund MiM, der bekanntlich einst dahin ausgewandert war. (Vergleiche auch die nicht vorhandene Fußnote). Der würde sich sicher über ihre Gesellschaft freuen. Natürlich vergaß ich nicht, ihnen einen Kühlschrank mitzugeben, vollgestopft mit Bierdosen, und eine tägliche Neubefüllung auf Kosten der Firma zu garantieren, um ihre Rotbackigkeit nicht zu gefährden. Das hieß: Dauerparty auf dem Mond. Und wenn die einer verdient hatte, dann der MiM.
Mir gab das endlich freie Hand, und zwar von hier bis ganz nach da. Denn meine Mission hieß nicht Party, meine Mission hieß Mission. Das versicherte mir auch der einbeinige Briefträger. Aus leicht heraus zu findenden Gründen wusste er immer alles. Ich nahm ihn sofort gefangen, damit er es nicht ausplauderte und steckte ihn in meinen Harem, wo er bis heute lebte, zumindest bis heute morgen. Danach hatte er sich von ein paar Brieftauben abholen lassen und war seitdem verschwunden. Ob er das überlebt hatte, wurde noch vom Geheimdienst ermittelt. Aber das interessierte im Moment weniger. Für mich kam es jetzt darauf an, mit der freien Hand irgendetwas zu machen. Weil es praktischer war, befreite ich auch noch die andere Hand aus der engen Hosentasche und hatte augenblicklich eine Zunahme des Handlungsvolumens um 100%. Das war nicht schlecht für einen Ministerpräsidenten, der gerade erst angefangen hatte, und für das Wahlvolk bedeutete es natürlich viel Arbeit. Denn 100% auf einen Schlag, das musste erst einmal verkraftet werden, auch seelisch. Ich machte ihm den Vorschlag, eine Abordnung zum Rat der fünf Weisen zu schicken, und so lange, bis diese mit den Ratschlägen zurück kamen, lieber nicht mehr zu denken. In dieser Zeit konnte ich mich dann mit meinen freien Händen um mein Wohlergehen kümmern.
Gerade, als es richtig schön zu werden versprach, kam überraschend der Polizist, der mich damals nicht erschossen hatte, weil er aus Versehen absichtlich daneben gezielt hatte. Aber heute kam er ausnahmsweise nicht, um es noch einmal zu versuchen, sondern weil wir Freunde waren. Er brachte mir ohne Vorwarnung einen Hut, einen neuen, nicht den, den er mir einst angeboten hatte und den ich zuerst nicht haben wollte später aber doch, weil es mich plötzlich juckte, ein Hutträger zu werden.
„Hier kommt dein neuer Hut“, sagte er zu mir.
„Vielen Dank, das ging ja schneller, als ich ihn anfordern konnte“, antwortete ich und setzte ihn sogleich auf.
„Das liegt an der modernen Zeit“, sagte er, „da ist das Tempo um 1000% höher als in der unmodernen Zeit.“
„Das hört sich gefährlich an“, meinte ich.
„Ja“, sagte er „Mathematik ist schon eine gefährliche Sache.“
„Verstehe“, sagte ich und nickte hoch erfreut. „Mathematik ist Action!“
„Genau“, sagte er, „ich habe dir aber noch etwas anderes mitgebracht.“
„Da bin ich aber neugierig“, sagte ich, „aber nicht wieder schießen, bitte!“
„Nein, Wiederholungen sind polizeilich verboten“, beruhigte er mich.
Damit griff er mit einer seiner freien Hände hinter seinen Nacken ins Polizeihemd und zog einen Spazierstock heraus. Ohne diesen im Rücken sah er sofort viel menschlicher aus. Feierlich überreichte er ihn mir. Er war aus purem Holz.
„Vielen Dank“, sagte ich wieder zu ihm, „ich freue mich schon auf den Tag, an dem ich heraus kriege, was ich damit anfangen soll.“
Dieser Tag kam schneller als erwartet. Der Tag hieß Heute. Ein Stock, ein Hut und plötzlich wusste ich, was zu tun war. Ich marschierte los in die weite Welt hinein. Ich würde diese ganzen versteckten Minister und Staatssekretäre schon finden, egal, wo sie sich verkrochen hatten und sie am Schlafittchen zu einer Vereidigungsorgie ins Möbelmuseum schleifen. Danach würden sie so fest auf ihren Stühlen und Sesseln sitzen, als wären sie angeschweißt. An ihrem eigenen Fleisch würden sie erfahren, dass meine Mission jedenfalls keine billige Mathematik war.
Als erstes ging ich zu meinem Regierungssitz und nahm Platz. Da stellte sich heraus, dass es gar kein Sitz war, sondern dass ich auf dem pelzigen Rücken eines Gummibären saß. Ich war froh, als ich es merkte. Ihr Bestand hatte sich wohl offensichtlich wieder erholt, seit der ekligen Epidemie vom letzten Jahr. Die rote Liste hatte sie gerettet. Sofort, einer spontanen Eingebung folgend, setzte ich mein ganzes, im Moment noch flüchtiges Personal ebenfalls auf die rote Liste und rettete es. Den Hut behielt ich während der ganzen Aktion auf dem Kopf und den Stock in der Hand. Es waren die Fleisch gewordenen Auswüchse meiner Insignien, und sie halfen mir bei meiner Mission in unerklärbarer Weise. Sie waren die Garantie dafür, dass ich meine Mission jederzeit abbrechen konnte, wenn ich keine Lust mehr hatte oder großen Hunger bzw. Durst oder müde war oder krank. Und im Kleingedruckten waren noch viel mehr Gründe aufgeschrieben. Damit mich die ganze Litanei auf meiner Mission nicht störte, habe ich das Kleingedruckte natürlich sehr klein gedruckt. Jetzt konnte man es nicht mehr sehen, aber es war trotzdem noch da. Wieder so ein alter Ministerpräsidententrick, der für klare Verhältnisse sorgte. Das war eben Erfahrung in der dritten Generation. Da wackelte nichts, nicht mal ein wackeliger Regierungssitz.
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