»Ich höre, daß das Theesammeln allerdings etwas anderes ist als ich mir gedacht habe. Es gleicht dem Leben eines Fallenstellers oder eines Bienenjägers in den Vereinigten Staaten.«
»Dieser Vergleich ist sehr zutreffend, wenn auch nicht erschöpfend. Sie werden andrer Meinung sein, wenn Sie Länder und Völker durch den Augenschein kennen lernen.«
»Das ist eben mein Bestreben. Darum reise ich! Ganz besonders wollte ich die Pampas kennen lernen.«
»Den Urwald nicht?«
»Natürlich auch.«
Und sind Sie an eine bestimmte Zeit gebunden? Giebt es einen Zeitpunkt, an welchem Ihre Reise zu Ende sein muß?«
»Nein. Ich bin vollständig Herr meiner Zeit.«
»Aber, Sennor, was hält Sie denn ab, mit uns auf einige Wochen nach dem Urwalde zu kommen?«
»Eigentlich gar nichts.«
»So kommen Sie doch mit uns! Lernen Sie das Leben eines Yerbatero kennen! Haben Sie vielleicht schon einmal vom Gran Chaco gehört? Eine hochinteressante Gegend, wie Sie erfahren werden, wenn Sie sich entschließen, mit uns zu kommen. Wir treffen dort den Sendador, welchen ich Ihnen als den besten Führer empfohlen habe. Er wartet auf uns. Ich habe da etwas Besonderes zu thun.«
»Darf ich nicht erfahren, was das ist?«
»Hm!« brummte er. »Es ist eigentlich ein Geheimnis; aber Ihnen können wir es anvertrauen, vorausgesetzt, daß Sie uns nicht auslachen wollen.«
»Was denken Sie von mir, Sennor! Ich, der Neuling, welcher von den hiesigen Verhältnissen so gut wie gar nichts kennt, sollte Sie auslachen, Männer, welche mir so weit überlegen sind, wie ein Professor dem Schulknaben!«
Er strich sich geschmeichelt den Bart, warf einen fragenden Blick auf seine Kameraden, und als sie ihm beistimmend zunickten, wendete er sich an mich:
»Sie sind jahrelang bei den nördlichen Indianern gewesen und verstehen also, mit Waffen und Pferden umzugehen. Heute habe ich bemerkt, daß Sie geistesgegenwärtig sind und mehr Kenntnisse haben, als wir sechs zusammengenommen. Ich denke also, daß Sie der Mann sind, welchen wir brauchen können. Ich werde Ihnen einen Vorschlag machen. Vorher aber muß ich eine Frage aussprechen, um deren aufrichtige Beantwortung ich Sie dringend ersuche.«
»Fragen Sie!«
»Gut! Ich werde fragen. Aber lachen Sie uns ja nicht aus. So sagen Sie uns einmal, was würden Sie thun, wenn Sie einen Ort wüßten, an welchem ein Schatz vergraben liegt?«
»Ich würde den rechtmäßigen Besitzer darauf aufmerksam machen.«
»Rechtmäßigen Besitzer! So! Hm! Aber wenn nun kein solcher rechtmäßiger und überhaupt kein Besitzer vorhanden wäre?«
»So würde ich den Schatz für mich heben.«
»Verstehen Sie sich denn auf Magie?«
»Unsinn! Magie giebt es gar nicht. Und Magie hat man nicht nötig, um einen Schatz zu heben. Weiß man, wo einer vergraben liegt, da mag man getrost nachgraben, zu jeder beliebigen Zeit des Tages oder der Nacht; man wird ihn sicher finden.«
»So! Hm!« brummte er nach seiner Gewohnheit. »Wenn das wahr wäre, so sollte es mich freuen.«
»Es ist wahr.«
»Nun, Sennor, Sie sind gelehrter als wir alle, und wie Sie Ihre Ueberzeugungen vorbringen, haben sie einen Klang, daß man ihnen glauben muß. Ich sehe ein, daß Sie der Mann sind, den wir brauchen. Wir wissen nämlich einen Ort, an welchem ein Schatz zu heben ist, sogar zwei solche Orte.«
»So eilen Sie hin, die Schätze schleunigst zu heben.«
»Hm! Ja, wenn das so schnell ginge! Ich bin schon dort gewesen, habe aber nichts entdeckt. Den Ort kennen wir ganz genau; aber die betreffende Stelle konnten wir nicht finden, weil wir nicht gelehrt genug waren, die Schrift zu verstehen.«
»Aha! Es handelt sich also um eine Schrift?«
»Ja, leider! Sie sind ein Gelehrter, und darum – –«
»Bitte!« unterbrach ich ihn. »Muten Sie mir nicht zu viel zu. In welcher Sprache ist die Schrift verfaßt?«
»In der Inkasprache, aber mit lateinischen Buchstaben geschrieben, im sogenannten Kitschua.«
»Das ist im höchsten Grade interessant, zumal für mich!«
»Warum für Sie?«
»Ich habe während meines Aufenthaltes unter den nordamerikanischen Indianern mich sehr bemüht, ihre Sprachen zu erlernen. Ebenso habe ich, bevor ich jetzt nach Südamerika ging, mir einige Bücher gekauft, welche die Sprachen der hiesigen Indianerstämme behandeln. So habe ich mich über zwei Monate lang mit dem Kitschua beschäftigt. Also muß die Schrift, von welcher Sie sprachen, mich lebhaft interessieren. Wer ist denn im Besitze derselben?«
»Eben der Kamerad, welchen ich Ihnen als den besten Sendador empfohlen habe.«
»Er ist der Eigentümer des Dokumentes?«
»Ja. Er hat es von einem sterbenden Mönch erhalten.«
»Warum wurde gerade ihm das Geschenk gemacht?«
»Weil er den Mönch als Führer begleitete. Sie waren nur zu zweien! Kein Mensch befand sich bei ihnen. Er brachte den frommen Herrn von jenseits der Anden herüber und sollte ihn bis nach Tucuman ins Kloster der Dominikaner geleiten. Unterwegs aber wurde der Padre, welcher sehr alt war, plötzlich so krank, daß er starb. Kurz vor seinem Tode übergab er dem Sendador die Schrift. Ich habe sie früher gesehen. Es sind zwei Zeichnungen dabei.«
»Konnten Sie sie nicht lesen?«
»Nein. Aber der Sendador ist ein halber Gelehrter. Er hat sie jahrelang durchstudiert. Er glaubte, seiner Sache ganz sicher zu sein, und nahm mich mit an die beiden Orte, aber er hatte sich doch nicht richtig informiert, denn wir fanden nichts.«
»Hat er Ihnen denn nichts über den Inhalt der Schrift mitgeteilt?«
»Alles, was er wußte.«
»Darf ich das erfahren, was Sie sich gemerkt haben?«
»Jener Padre war ein gelehrter Mann. Er hatte sich die Erlaubnis ausgewirkt, nach Peru zu gehen und gelehrte Schnuren aufbinden zu dürfen – –«
»Nicht aufknüpfen? Sie meinen entziffern.«
»Ja. Es hat da ein Volk gegeben, die Inkas genannt, welche, anstatt zu schreiben, Schnuren knüpften. Ich habe gewußt, wie diese Schnuren genannt werden, es aber wieder vergessen.«
»Kipus?«
»Ja, so war das Wort.«
»Jeder Kipus besteht aus einem Schnurenbündel, das heißt aus einer Hauptschnur, an welche dünnere Nebenschnüre von verschiedener Farbe verschiedenartig angeknotet wurden. Jede Farbe und jede Art der Knoten hatte ihre eigene Bedeutung.«
»So ist es. Grad so hat mir auch der Sendador gesagt. Solcher Kipus sollen viele vergraben und verborgen liegen. Der Padre hat nach ihnen gesucht und auch welche gefunden. Er hat sich lange, lange Jahre bemüht, ihre Bedeutung zu enträtseln, und das ist ihm endlich auch gelungen. Eine alte Indianerin, welche er von einer Krankheit geheilt hatte und die ihm deshalb wohlwollte, schenkte ihm zwei Kipus, welche sie von ihren Vorfahren überkommen hatte. Sie konnte sie nicht lesen, aber sie hatte überliefert bekommen, daß es sich um große Schätze handle. Der Padre hatte auch diese beiden enträtselt. Ueber die andern Kipus hat er ein Buch geschrieben, welches aber nicht gedruckt worden ist. Den Inhalt dieser beiden hat er geheim gehalten; er hat sie nach Tucuman bringen wollen und sie vorher übersetzt, oder, wie es wohl richtiger ist, die Knoten und Farben in Buchstaben verwandelt. Leider ist er, wie bereits erwähnt, unterwegs gestorben und hat die Uebersetzung dem Sendador vermacht.«
»Nicht auch die Kipus?«
»Nein. Die hat er in Peru in seiner Sammlung gelassen, wohin er zurückkehren wollte.«
»Hm! Vielleicht ist er nur der Schätze wegen über die Anden gegangen. Und nach Tucuman hat er gewollt, zu den Dominikanern?«
»Ja.«
»So kommt mir Ihr Sendador verdächtig vor.«
»Warum?«
»Sagen Sie mir erst, was Sie über den Inhalt des Schreibens wissen.«
»Nun, es hat zwei berühmte Inkas gegeben, welche sich durch sehr glückliche Kriege ausgezeichnet haben. Während dieser Kriege sind große Schätze versteckt worden, welche bis heute noch nicht gehoben sind. Eine Stadt hat am See gelegen. Die Bewohner derselben haben, bevor die Belagerung begann, alle ihre silbernen und goldenen Gefäße in den See gesenkt. Sie wurden besiegt und ausgerottet. Die Schätze liegen noch jetzt auf dem Grunde des Sees, und niemand, als nur der eine Kipu, weiß davon.«
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